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Nouvelle Chanson Sängerin Camille
Wortspiele über das Familienleben

Camille Dalmais hat ursprünglich Ballett, Literatur und Politikwissenschaften studiert. Doch vor 15 Jahren gelang ihr der erfolgreiche Einstieg in die Musikszene. Seitdem gehört sie zu den bekanntesten Vertreterinnen des Nouvelle Chanson. Ihr neues Album "Ouï" ist von den Veränderungen in ihrem Umfeld geprägt.

Von Christiane Rebmann | 27.05.2017
    Die französische Sängerin Camille Dalmais aka Camille bei einem Konzert im Rahmen der 41. Ausgabe des Musikfestivals "Le Printemps de Bourges" in Bourges am 19. April 2017.
    Die französische Sängerin Camille Dalmais aka Camille bei einem Konzert im Rahmen der 41. Ausgabe des Musikfestivals "Le Printemps de Bourges". (Guillaume Souvant / AFP)
    Die langen, dunklen Haare locker zusammengebunden, der helle Teint und die blauen Augen gänzlich ungeschminkt - Die französische Musikerin Camille hat diese natürliche Schönheit, die durch Make-up nur zerstört würde. Die 39-jährige hat inzwischen zwei kleine Kinder. Die Mutterrolle sieht sie mit einer gewissen Ambivalenz.
    "Ich hoffe, dass ich sehr schnell Großmutter werde. Als ich meine Kinder bekam, sagte ich: Lass uns Kinder bekommen. Ich möchte nämlich Großmutter sein. Es muss großartig sein. Du hast nicht all diese Pflichten und diesen ganzen Erziehungskram."
    Metapher für die Liebe
    Das ist auch das Thema auf ihrem neuen Album "Ouï". In Songs wie "Fontaine de Lait" staunt sie darüber, zu was der weibliche Körper fähig ist: Sich Lieben, Kinderkriegen, Stillen.
    "Das ist eine Milchorgie. Es ist eine Hymne an die Flüssigkeiten der Liebe. An die Milch, die ihr Dasein letzten Endes dem Sperma verdankt. Du hast dich mit jemandem geliebt und ein Baby bekommen. Insofern ist es natürlich auch eine Metapher für die Liebe. Sie materialisiert sich durch das Stillen. Es zeigt dir auf konkrete Weise, was Liebe ist. Das ist wie mit den kommunizierenden Röhren. Du bekommst Liebe und du gibst Liebe. Du gibst sie weiter. Das versuche ich über meine Musik."
    Für die Arbeit an "Ouï" zog Camille in eine Künstlerresidenz im ehemaligen Kloster La Chatreuse bei Avignon. Dort konnte sie ein Jahr lang in Ruhe mit verschiedenen Sounds experimentieren. Und sie entschied sich, statt der Beatbox Technik, für die sie auch bekannt ist, diesmal Schlagzeugelemente zu verwenden. Ein Sub-Bass Rhythmus simuliert einen Herzschlag. Und die schwebenden, ätherischen Klänge erzeugt ein analoger Moog-Synthesizer.
    "Er klingt sehr organisch und sehr mysteriös. Sehr beruhigend. Man kann damit Millionen von Sounds erzeugen. Aber wir haben uns hier eher an die tiefen Töne gehalten. So klingt es wie eine Flüssigkeit, die dich umgibt."
    Spiel mit Wörtern
    Außerdem spielt sie viel mit der Sprache und ihrer Vielseitigkeit. Wer das Titelwort "Ouï" sagt, kann "ja" meinen, aber auch "das Hören", erklärt sie.
    "Dieses "Whaaaa, Wheeee - Im Französischen hat man selten die Gelegenheit, Vokale so lang zu ziehen. Sie klingen eher trocken: a e i o u. Hier spiele ich mit den Wörtern und dem Fluss der Sprache."
    Im Song "Lasso" demonstriert sie, wie kreativ man damit umgehen kann.
    "Lasso" ist eines der Lieder, in denen die Nouvelle Chanson Künstlerin die Unwägbarkeiten einer Beziehung auslotet.
    "Es geht hier um einen Konflikt, der nie ausgetragen wird, der nie wirklich explodiert. Er ist immer latent da. Das ist wie eine Art Rätsel für Erwachsene, für ein Paar. Wer fängt mit dem Kampf an? Soll ich auf diesen Angriff eingehen?"
    Faible für Tierstimmen
    Für Camille hat nicht nur die Musik, sondern auch die Sprache etwas Sinnliches.
    "Je ne mâche pas mes mots", das heißt: Ich kaue meine Wörter nicht – also: Ich sage meist, was ich denke. Es geht aber auch um Gier und darum, wie gut die Wörter schmecken. Ich kaue meine Wörter. Ich nehme sie in den Mund und spiele mit ihnen. Ich singe sie."
    Camille hat ein Faible für Tierstimmen. Auf fast jedem ihrer Alben sind sie zu hören.
    "Als wir uns das letzte Mal trafen, war es ein Hahn. Nächstes Mal vielleicht Wölfe. Ich mag Wölfe."
    Im traditionellen Lied "Les Loups" heult allerdings kein Wolf. Camille lässt lieber ein harmloseres Tier imitieren.
    "Ich sagte zu meinen Backgroundsängerinnen: Blökt wie ein Schaf: Die alten traditionellen Lieder waren davon inspiriert, dass die Menschen den ganzen Tag mit ihren Tieren verbrachten, und das meistens draußen. Sie mussten also laut singen. Es gab ja keine Mikrofone. Heute haben nur noch wenige von uns diese Fähigkeit. Aber mit dem Mikrofon kann man das kompensieren. So kann ich sehr intim klingen."
    "Ich mag keine Pools"
    Der Song "Piscine" über die Suche nach Freiheit und Wildheit hat etwas geradezu Hymnisches.
    "Da ist ein Swimming Pool, der gern ans Meer ziehen würde. Er ist ein Hotel-Swimming Pool, er ist ganz allein, und er fühlt sich einsam. Dort wo ich lebe, gibt es viele Swimming Pools. Für mich ist so ein Pool fades Wasser. Ich mag keine Pools.
    Es gibt hier übrigens noch eine zweite Ebene. Auf Französisch heißt la mer nicht nur das Meer, sondern auch: die Mutter. Es geht hier um eine Metamorphose. Ein junges Mädchen wird zur Frau. Sie wird Mutter und entdeckt ein neues Leben."
    Die Songs auf "Ouï" sind sehr persönlich, ohne dass Camille Anekdoten aus ihrem Privatleben zum Besten gibt. Das ist auch gar nicht nötig. So charmant hat lange keiner über die Schattenseiten des Familienlebens gesungen. "Ouï" ist ein spannendes, ein außergewöhnliches Album, weil die Künstlerin so lustvoll und mit einer hinreißenden Leichtigkeit mit Sprache und Sounds spielt. Die Instrumentierung ist zum Glück sparsam. Mehr wäre eher im Weg.