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NRW-Beamten fordern Lohnerhöhung

Die Kürzungen bei den Beamtengehältern bringen Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) zum ersten Mal in ihrer Amtszeit Ärger mit den Gewerkschaften und dem Beamtenbund ein. Die Staatsdiener wollen nicht von der Lohnentwicklung ausgeschlossen werden.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 14.05.2013
    "Sie haben hier die Möglichkeit, bei unserem Gewinnspiel mitzumachen! Ja, versuchen Sie mal Ihr Glück!"

    Mit Schirmmütze und knallgrüner Gewerkschafts-Weste steht Jan Vellemann vor dem Glücksrad der Polizeigewerkschaft. Ein Rentner holt kräftig Schwung und dreht am Rad:

    "Aaaaah, auch das Reallohnminus … hahaha – tut mir leid."

    Der Pfeil landet nicht etwa im grünen Bereich namens "Reallohn Plus", sondern auf der viel größeren roten Glücksrad-Fläche: Reallohn Minus. Dem Rentner winkt nur ein Trostpreis: eine Tüte Gummibären.

    "Die Landesregierung hat ja für ihre Beamten auch immer Trostpreise. Wir kriegen immer erzählt, wie toll wir die Arbeit machen, nur in der Lohntüte merken wir es halt nicht. Aber ein Zückerchen mit warmen Worten, das kriegen wir ja immer. Deswegen kriegen Sie jetzt ein paar Gummibärchen von uns. Oh schön! Und in der Zeit könnt Ihr schon nach vorne kommen und drehen …"

    Bei allem Glücksrad-Spaß – die Polizisten sind stinksauer. Dass die nordrhein-westfälische Landesregierung für die kommenden zwei Jahre Nullrunden für höhere Beamte und Pensionäre plant, ist das beherrschende Thema beim Gewerkschaftstag in Duisburg. Für Werner Dominke ist das ein …

    Kraftvoller Wortbruch!

    Diesen Vorwurf an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat der pensionierte Hauptkommissar auf sein Plakat gepinselt, dass er direkt neben dem Glücksrad in die Höhe hält.

    "Ich komm aus Bochum, bin extra heute Morgen hierher gefahren, weil ich Frau Hannelore Kraft heute mal zeigen will, dass wir uns das nicht einfach gefallen lassen. Vor der Wahl wurde viel versprochen, nach der Wahl wurde alles gebrochen. Und so geht dat nicht!"

    Zum ersten Mal in ihrer knapp dreijährigen Amtszeit schlägt der umfrageverwöhnten Hannelore Kraft die Wut der Gewerkschaften entgegen. Im März hatte die rot-grüne Landesregierung entschieden, den Tarifabschluss für die Angestellten lediglich für die unteren Besoldungsgruppen der Beamten zu übernehmen. Der ehemalige A13-Beamte Werner Dominke soll künftig 150 Euro weniger pro Monat bekommen:

    "Wie oft denn noch?! Weihnachtsgeld ist weg, Urlaubsgeld ist weg. Das 13. Gehalt kriegen wir nur noch abgestuft. Wir haben Gehaltsrunden gar nicht mitgemacht vor Jahren usw. Wir sind zu wenig auf der Straße. Wir reißen uns den Arsch auf – kann nicht sein. Und vor allem kann man mit den Gewerkschaften doch sprechen! Nichts ist mit der Gewerkschaft der Polizei gesprochen worden – gar nichts!"

    DGB und Beamtenbund schlagen in die gleiche Kerbe, gemeinsam sei man vor vollendete Tatsachen gestellt worden, erklärt Meinolf Guntermann, NRW-Landesvorsitzender des Beamtenbundes. Eine ganze Flut von "Wut-Briefen" landet in diesen Tagen auf seinem Schreibtisch, und überall, wo die Ministerpräsidentin derzeit öffentlich auftritt, wird sie mit Buhrufen und lauten Pfiffen empfangen – in Düsseldorf, in Siegen und an diesem sonnigen Tag im Mai auch in Duisburg:

    "Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann verstehen, dass viele diesen Tag nutzen, um ihren Protest gegen die Entscheidung der Landesregierung deutlich zu machen. Aber ich würde herzlich darum bitten, dass ich die Gelegenheit habe, auch einiges dazu zu sagen …"

    Über eine Stunde hat Hannelore Kraft auf ihren Auftritt warten müssen, ganz am seitlichen Rand der Rednertribüne. Während ein Gewerkschafter nach dem nächsten Schimpftiraden ins Mikrofon brüllt, hat Kraft nervös ihre Finger geknetet. Sie fühlt sich zu Unrecht angegriffen:

    "Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen, aber die komplette Übertragung des Tarifergebnisses hätte für das Land NRW Mehrausgaben in zwei Jahren von 1,3 Milliarden bedeutet, bei einem Gesamthaushalt von 60 Milliarden."

    So in die Enge getrieben klingt Hannelore Kraft sonst nur, wenn die Opposition sie im Landtag wegen ihrer Haushaltspolitik angreift. Es ist der wunde Punkt der Ministerpräsidentin. Drei Niederlagen hat sie deshalb bereits vor dem Landesverfassungsgericht einstecken müssen. Offenbar will Kraft keine vierte riskieren:

    "Das konnten wir so nicht entscheiden, vor dem Hintergrund einer Nullschulden-Bremse, die wir 2020 erreichen müssen – das war nicht machbar!"

    "Die Argumentation, dass die Schuldenbremse eingehalten werden soll, das halte ich für ein nicht stichhaltiges Argument,"

    findet Erika Buschhüter, 59 Jahre alt und Grundschullehrerin in Viersen.

    "Die allgemeine Wirtschaftsleistung ist so, dass drei Prozent wohl drin gewesen wären. Und da sehe ich nicht ein, dass wir abgekoppelt werden von der allgemeinen Lohnentwicklung."

    Fast auf den Tag genau ein Jahr liegt der fulminante Wahlsieg von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen zurück. Als Hanni und Nanni wurden Hannelore Kraft und ihre grüne Koalitionspartnerin Sylvia Löhrmann lange gefeiert, jetzt nennen die Beamten sie "Lügen-Hanni" und werfen ihr Wortbruch vor. Das geht an die Substanz:

    "Ich persönlich habe, und wir auch, nie versprochen, dass der Personalbereich von jeglichen Kürzungen ausgenommen wird. Ich verstehe, dass Ihr nicht einverstanden seid, aber ich weiß, wann ich mein Wort gebe, und ich habe dieses Wort nicht gegeben, weil ich den Landeshaushalt kenne!"

    Das hat der Beamtenbund anders in Erinnerung und verweist auf einen entsprechenden Brief der Ministerpräsidentin aus dem Dezember 2011. Doch das eigentliche Problem sind für Hannelore Kraft nicht ihre Worte, sondern die Hoffnungen, die sie geweckt hat. Dazu ein sorgsam gezimmertes Image als sozialdemokratische Landesmutter, die sich kümmert und dafür im Zweifel auch, Zitat, "gute Schulden" in Kauf nimmt. Dieser Politik-Stil hat Hannelore Kraft in den Umfragen bundesweit nach oben katapultiert, weit vor dem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Dass die Stimmung in NRW jetzt erstmals zu kippen droht, könnte auch den Bundestagswahlkampf noch belasten. Werner Dominke, der pensionierte Hauptkommissar, hat sein Parteibuch bereits zurückgegeben:

    "Dat hab ich ihr geschrieben in meinem Brief, du kannst dann 2017 ja in die Bundespolitik gehen, denn hier wird sie kein Bein mehr in die Erde kriegen. In NRW gewinnt man die Wahlen mit den Beamten und verliert sie mit den Beamten. Und das ist für mich ein ganz guter Satz. Denn sollte sie sich hinter die Ohren schreiben."

    Heute will Rot-Grün das Besoldungsgesetz in den Landtag einbringen. Und schon wieder werden mehrere Tausend Beamte im Düsseldorfer Regierungsviertel mit Trillerpfeifen auf Hannelore Kraft warten.