Dienstag, 19. März 2024

Archiv

NRW-Bildungsministerin
"Schulaustausch, eine sehr gute Investition in die Zukunft"

Die NRW-Bildungsministerin Sylvia Löhrmann war in Frankreich und hat auch eine deutsch-französische Schule in Paris besucht. Auf ihrer Reise habe sie an keiner Stelle eine Art von Ressentiments erlebt, sagte die Grünen-Politikerin im DLF. Das habe sie zuversichtlich gestimmt angesichts von aufkommendem Nationalismus in Frankreich und Deutschland.

Sylvia Löhrmann im Gespräch mit Markus Dichmann | 27.02.2017
    Sylvia Löhrmann (Die Grünen), Bildungsministerin in Nordrhein-Westfalen.
    Sylvia Löhrmann (Die Grünen), Bildungsministerin in Nordrhein-Westfalen. (imago / IPON)
    Markus Dichmann: Französische Schüler lernen wer die Namensgeber ihrer deutschen Partnerschule sind, nämlich die Geschwister-Scholl und lernen so natürlich auch ein Stück deutsche Geschichte kennen. Im Gegenzug schreiben sie Aufsätze über ihren Alltag und ihr Leben in Frankreich, auch über Themen wie Migration und Integration und ihre Herkunft und schicken sie ihren befreundeten deutschen Schülern, damit die etwas über Frankreich im Hier und Jetzt erfahren können. Eines von vielen schönen Konzepten, wie durch Schüleraustausch die deutsch-französische Freundschaft gelebt werden kann. Gemacht wird das genau so an einer Pariser Schule, die heute Sylvia Löhrmann besucht hat, die nordrhein-westfälische Schulministerin.
    Sie haben die Deutsch-Französische Schule in Paris besucht. Was für einen Eindruck, Frau Löhrmann, haben Sie von der gelebten deutsch-französischen Freundschaft 2017?
    Sylvia Löhrmann: Das war für mich sehr interessant. Ich habe die Schüler auch genau danach gefragt, wie sie das wahrnehmen. Und die Schülerinnen und Schüler sagen schon, dass gerade die deutsch-französische Freundschaft sehr wahrgenommen wird und auch gelebt wird und trotz der Anschläge sie daran keinen Zweifel haben, dass das was Wichtiges ist auch für Europa. Also die Schülerinnen und Schüler waren sehr europäisch aufgestellt, das hat mich sehr gefreut.
    Dichmann: Vordergründig ging es bei Ihrem Besuch ja auch darum, einen Kooperationsvertrag mit der Académie de Versailles, das ist, sagen wir, die für Paris zuständige Schulbehörde, diesen Kooperationsvertrag zu schließen, zu erneuern. Was steht drin in diesem Kooperationsvertrag?
    Löhrmann: Ja, das ist mir und uns sehr wichtig. Das ist die westliche Region um Paris. Das ist die größte Akademie und die größte regionale Bildungsbehörde. Und als größtes Bundesland mit dieser Behörde Kontakte zu pflegen, ist natürlich sehr wichtig im internationalen Austausch. Es sind ganz konkret neun Schulen, die durch diesen Kooperationsvertrag neu in Kontakt gekommen sind und, wie von Ihnen eben beschrieben, den Austausch pflegen. Die Schülerinnen und Schüler besuchen dann die Partnerschulen und umgekehrt. Und vor allem treffen sich einmal jährlich Verantwortliche jeweils in Nordrhein-Westfalen oder aber hier in der Region, um Fragen der Bildung und auch der beruflichen Bildung zu besprechen. Und neben dem Spracherwerb und neben dem kulturellen Austausch gibt es dann zum Beispiel auch ganz konkret Betriebspraktika in der Partnerregion. Und das bildet natürlich auch und bereitet auf den Beruf vor.
    "Von dem Austausch der Schulen sind wir wirklich auch Spitzenreiter"
    Dichmann: Bei aller Begeisterung für die Zusammenarbeit muss man allerdings auch sagen, was jetzt die bloßen Sprachkenntnisse angeht, und damit steht und fällt das ja auch alles, da hinkt die deutsch-französische Zusammenarbeit doch ein wenig hinterher. In Frankreich lernen viel mehr Kinder Englisch und Spanisch als Deutsch, und laut Statistischem Bundesamt können hierzulande auch nur 18 Prozent der Deutschen Französisch halbwegs gut verstehen.
    Löhrmann: Ja. Das Ziel in der Europäischen Union ist, dass alle Jugendlichen zwei Fremdsprachen lernen, und da arbeiten wir auch dran. Da sind wir in Nordrhein-Westfalen allerdings, finde ich, so schlecht nicht aufgestellt. Natürlich ist Englisch als Weltsprache die erste Sprache, die in der Regel gelernt wird. Aber immerhin, auch 316.000 Schülerinnen und Schüler lernen Französisch. Und von dem Austausch der Schulen sind wir wirklich auch Spitzenreiter. Wir haben nämlich 472 von 832 uns bekannten Schulpartnerschaften sind französisch. Also da ist Französisch weit mehr als die Hälfte. Und das, finde ich, ist eine gute Basis, auf der wir arbeiten können und die Jugendlichen sich begegnen können.
    "Mir ist an keiner Stelle irgendeine Art von Ressentiment begegnet"
    Dichmann: Aber man muss natürlich schon sagen, Frau Löhrmann, dass in beiden Staaten, in Deutschland und Frankreich auch der Nationalismus als erkennbare politische Strömung wieder stärker wird. Muss man da nicht berechtigte Sorgen haben, dass auch Ressentiments zwischen diesen beiden Ländern wieder stärker werden könnten?
    Löhrmann: Die Sorge muss man haben. Ich habe bewusst diese Frage immer angesprochen, weil ich diese Reise nicht nur gemacht habe, um die beiden Schulen zu besuchen, sondern auch genau, um dem nachzuspüren. Mir ist an keiner Stelle irgendeine Art von Ressentiment begegnet, und das hat mich sehr zuversichtlich gestimmt. Und was wir tun müssen, wir Erwachsene, ist eigentlich, auch dem aufzubauen, was junge Menschen ja normalerweise tun. Sie sind nämlich neugierig aufeinander, sie wollen sich kennenlernen. Und dass wir diese Begegnungen noch stärker fördern müssen, einmal in der Schulerfahrung ein Austausch wäre so eine Zielsetzung, die ich habe, damit das deutsch-französische, aber auch das europäische Lernen untereinander mit Leben gefüllt wird. Ich glaube, dass das eine sehr gute Investition in die Zukunft ist, um die europäische Idee wach und lebendig zu halten. Da dürfen wir uns nicht ausruhen auf dem Erreichten, sondern müssen genau dem Nationalismus vorbeugen.
    Dichmann: Auf der anderen Seite gibt es eine Präsidentschaftskandidatin in Frankreich namens Marine Le Pen. Die sagt, Bildung solle für Ausländer kosten und nicht mehr kostenfrei sein. Das würde auch bedeuten, dass jeder deutsche Schüler, der so ein Austauschprogramm macht, wie Sie es vorschlagen, wahrscheinlich nur noch gegen Bezahlung an eine französische Schule kommen könnte. Das erscheint mir wenig freundschaftlich.
    Löhrmann: Absolut. Deswegen schauen wir mit Sorge und mit Spannung auf die französischen Präsidentschaftswahlen. Sie wissen, eine Landesschulministerin macht keine Außenpolitik, aber ich hab mich natürlich auch danach erkundigt. Hier in Frankreich wird es natürlich auch intensiv beobachtet. Die Menschen, die ich jetzt getroffen habe, die wollen auch eher eine globale und eine europäische Politik. Aber das bleibt abzuwarten. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das zukunftsweisend ist und dass das im Interesse auch der Französinnen und Franzosen ist. Und es ist natürlich nicht im Interesse Deutschlands.
    "Die Herausforderungen sind überall genau gleich"
    Dichmann: Zuletzt, Frau Löhrmann, gibt es natürlich auch bildungspolitische Großbaustellen, die die Franzosen genauso beschäftigen wie uns, nehme ich mal an: Integration, Inklusion, digitale Medien, das wären jetzt vielleicht mal die drei ganz Großen. Gibt es da einen französischen Kniff, den Sie beobachtet haben, den Sie benennen können, den es sich lohnt, nachzumachen?
    Löhrmann: Die Herausforderungen sind überall genau gleich, das haben Sie benannt. Das sind die drei großen Is, will ich mal sagen, individuelle Förderung, Integration, Inklusion. An denen müssen alle Schulen weltweit im Grunde arbeiten. Es gibt aber den gleichen Ansatz, dass wir viel stärker auf die Potenziale von Kindern und Jugendlichen gucken müssen statt auf die Defizite. Und dieser bildungspolitische Wandel, der ist hier genauso, der steht hier genauso im Zentrum wie bei uns, und das zeigt immer, dass es richtig ist, die Ärmel aufzukrempeln, um genau diesen bildungspolitischen Zielen Tag für Tag näher zu kommen. Also das sind die Aufgaben …
    "Hier ist Inklusion etwas mehr Normalität"
    Dichmann: Aber gibt es da einen handwerklichen Trick, wo die Franzosen uns vielleicht schon voraus sind?
    Löhrmann: Ich glaube, hier ist Inklusion etwas mehr Normalität. Das wird überhaupt nicht infrage gestellt. Das hat der EU-Ministerrat ja auch noch mal festgestellt. Vielfalt leben. Das wird hier mit größerer Selbstverständlichkeit schon praktiziert. Da hat Deutschland sicherlich insgesamt noch ein bisschen Nachholbedarf. Dagegen habe ich mit Schrecken gehört, dass 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. Das ist auch eine Zahl, die kann nicht zufriedenstellen. Da sind wir in Deutschland erfreulicherweise um die fünf bis sechs Prozent, weil das ja natürlich ganz wichtig ist, dass junge Leute einen Schulabschluss haben, in den Beruf oder ins Studium gehen können. Da können beide Länder voneinander lernen – umso wichtiger, die Zusammenarbeit zu pflegen.
    Dichmann: Sagt Sylvia Löhrmann, die Schulministerin von Nordrhein-Westfalen. Sie ist zu Besuch in Frankreich. Ich danke Ihnen, Frau Löhrmann!
    Löhrmann: Gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.