Samstag, 20. April 2024

Archiv


NRW-Innenminister über Abwehrzentrum: "Alles ist völlig unausgegoren"

Viele waren offenbar völlig überrascht, dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich den Start des Abwehrzentrums gegen Extremismus für diesen Donnerstag ankündigte. "Ein solcher Schnellschuss, das dient nicht der Sicherheit", sagt NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD).

Ralf Jäger im Gespräch mit Dirk Müller | 12.11.2012
    Dirk Müller: Und einer der Kritiker, NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Ralf Jäger: Guten Morgen, Herr Müller. Ich grüße Sie!

    Müller: Herr Jäger, von dem alles nichts mitbekommen – sind Sie vielleicht in Urlaub gewesen?

    Jäger: Nein, das auf gar keinen Fall! Grundsätzlich war die Einrichtung eines solchen Terrorzentrums ja auch verabredet. Wir haben noch im August auf der Innenministerkonferenz ja klare Schritte beschlossen: Was wollen wir tun, damit die Erkenntnisse aus dem Auffliegen der NSU-Zelle umgesetzt werden, damit so etwas nie wieder passiert. Und jetzt dieses Vorpreschen kam für alle schon überraschend.

    Müller: Jetzt sagt Herr Friedrich selbst, er versteht die Aufregung nicht, im September sei das alles schon klar gewesen.

    Jäger: Es ist klar gewesen, welche Schritte wir miteinander abgesprochen haben. Aber eben das Auffliegen der NSU-Zelle hat doch gezeigt, solche Dinge passieren dann, wenn Behörden nicht ordentlich zusammenarbeiten. Ich habe das Gefühl, Herr Friedrich hat nicht verstanden, dass die Zusammenarbeit das entscheidende Moment ist. Und wenn einer etwas verkündet und alle anderen davon überrascht sind, kann man nicht von Zusammenarbeit reden.

    Müller: Also Sie sind gar nicht informiert worden in irgendeiner Form?

    Jäger: Ich habe das erfahren über einen Einladungsbrief zur Eröffnung einer entsprechenden Pressekonferenz. Das ist eine Umgehensweise, die nicht in Ordnung ist.

    Müller: Also auch nicht viel früher als wir über die Agenturen?

    Jäger: Nein, überhaupt nicht! Übrigens das hat nicht nur mich so getroffen, auch alle anderen Innenminister der Länder. Prinzipiell geht es ja darum, alles, was der Sicherheit des Landes dient, ist ja gut. Nur ein solches Zentrum einzurichten ohne Konzeption, ohne mit den Beteiligten vorher darüber zu reden, klarzuziehen, was die Trennung von polizeilichen Erkenntnissen und Verfassungsschutzerkenntnissen angeht. Ein solcher Schnellschuss, das dient nicht der Sicherheit.

    Müller: Reden wir über die Kommunikation, Herr Jäger. Telefonieren Sie gelegentlich mit dem Bundesinnenminister?

    Jäger: Ich habe ihn letzte Woche Freitag noch versucht, zu erreichen; mir ist es nicht gelungen. Das ist aber auch nicht so selten. Man hat ja auch selbst seine Termine und darum geht es nicht, dass man da nicht miteinander redet und nicht miteinander spricht, sondern es geht hier ganz offensichtlich darum, dass jemand versucht hat, einen Überraschungscoup zu starten, mit einer Pressekonferenz sozusagen, die Fachwelt zu überraschen, um da vielleicht auch im Rahmen des anstehenden Bundestagswahlkampfes zu punkten. Das darf aber nicht die Motivation sein. Es geht hier um die Sicherheit des Landes und der Menschen in diesem Land. Und das ist so ein hohes Gut, dass man das ordentlich machen muss und nicht als Schnellschuss.

    Müller: Das wollte ich Sie gerade fragen. Könnte das Parteipolitik sein?

    Jäger: Herr Friedrich besticht ja schon seit Längerem dadurch, dass er gelegentlich uns alle mal überrascht. Das war ja im August auch so, als er versucht hat, den gesamten Extremismus und die Bekämpfung des Extremismus auf Bundesebene hochzuziehen. Davon haben wir auch nur aus der Presse erfahren. Ich weiß nicht, ob das Parteitaktik und Wahlkampftaktik ist oder einfach die mangelnde Erkenntnis, dass man Sicherheit nur durch Zusammenarbeit erlangen kann.

    Müller: Geht das denn Unions-Kollegen auch so? Wir haben ja eben einige Stimmen gehört, aus Sachsen beispielsweise, die da gesagt haben, das geht völlig in Ordnung. Wir sind im Zeitplan, da machen wir mit.

    Jäger: Ja, gut, aber es gibt andere Kollegen von mir aus den Ländern, die auch derselben Partei angehören beziehungsweise der Union angehören wie Herr Friedrich, die sich anders geäußert haben. Ich glaube, dass der Unmut sehr groß ist bei allen Länderkollegen. Das wird natürlich Thema sein auf der anstehenden Innenministerkonferenz am 4., 5. Dezember, wo Herr Friedrich zu Gast sein wird.

    Müller: Jetzt wird dieses Abwehrzentrum, weil der Innenminister es ja angekündigt hat, der Bundesinnenminister, um hier korrekt zu sein, Ralf Jäger, am Donnerstag kommen, in Köln und in Meckenheim bei Bonn. Für Sie ist das, wenn ich Sie richtig verstanden habe, eine klare Sache: Das kommt zu schnell, weil nicht koordiniert?

    Jäger: Es kommt zu schnell, weil es nicht konzeptioniert ist: Wer macht da eigentlich was, wer liefert da eigentlich zu? Wir haben ein bestehendes Abwehrzentrum Rechts, wo jetzt das Klingelschild ausgewechselt wird. Und dieses gleiche Zentrum soll mal eben Spionage und andere ausladende Extremismusformen mit bearbeiten. Es ist nicht klar, wie ist das verfassungsrechtliche Trennungsgebot eingehalten zwischen Polizei und Verfassungsschutz. Also, alles eigentlich offen, aber am Donnerstag soll es schon eröffnet werden.

    Müller: Und die Länder sitzen in der zweiten Reihe?

    Jäger: Die Länder liefern das Personal dazu, die Erkenntnisse dazu aus den regionalen Behörden, sie sind da sozusagen faktisch nur Zaungast. Und das kann nicht sein, wenn es um die Sicherheit in diesem Land geht.

    Müller: Aber Sie sind schon bereit, da vernünftig mitzuarbeiten?

    Jäger: Natürlich müssen wir zusammenarbeiten. Die NSU-Zelle und die zehn Morde haben doch gezeigt, wir müssen ganz konsequent Informationen miteinander austauschen, miteinander bündeln. Aber das muss in einer vernünftigen organisatorischen und konzeptionellen Art und Weise geschehen und nicht, dass einer verkündet, ich habe ein Zentrum. Und alle anderen werden davon überrascht.

    Müller: Blicken wir auf das Zentrum. Bevor Sie Innenminister wurden, wussten Sie, dass es das alles gibt in Deutschland, das Bundeskriminalamt, der Verfassungsschutz, der Länderverfassungsschutz, der BND, der Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst, Bundespolizei? Das ist eine Superbehörde, die dort geschaffen wird. Wie soll die funktionieren?

    Jäger: Also dass das alles existiert, das wusste ich schon. Ich hätte nicht gedacht, dass die einzelnen Behörden nur ansatzweise gut zusammengearbeitet haben. Dass so Dinge wie die NSU-Morde überhaupt haben geschehen können. Das ist ja die Verpflichtung daraus, so etwas zu verhindern. Das, was nicht sein kann, ist, dass das abgelöst wird durch eine Megabehörde. Sicherheit kann man nicht bis in den letzten Winkel eines so großen Landes durch eine Behörde aus Berlin oder Meckenheim steuern und koordinieren, sondern da müssen viele Beteiligte ihre Erkenntnisse an einem Tisch zusammentragen und emotionslos und ohne Hierarchien zusammenarbeiten und diese Informationen austauschen. Aber diese Bereitschaft kann ich im Bund leider noch nicht erkennen.

    Müller: Gibt es ein Jahr danach immer noch diese Eitelkeiten, gibt es immer noch diesen Wettbewerb und dieses Konkurrenzdenken der Sicherheitsbehörden untereinander?

    Jäger: Ich glaube, es hat sich einiges geändert, sowohl organisatorisch als auch mental. Aber die Vorgehensweise von Herrn Friedrich zeigt, dass er immer noch glaubt, dass der Bund sozusagen Leadership ist im Rahmen der Sicherheit. Das ist er nicht, sondern diese Sicherheitsarchitektur funktioniert nur, wenn alle Puzzle-Stücke zusammenpassen und wenn auch die regionalen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden ordentlich zusammengetragen werden, wenn es gelingt, zusammenzuarbeiten. Aber dieses Hierarchiedenken, das ist da fehl am Platz.

    Müller: Sie sind, Herr Jäger, jetzt richtig sauer. Sie sind schon etwas abgekühlt über das Wochenende, nehme ich an. Aber wann signalisieren Sie denn, jetzt wieder mitzumachen?

    Jäger: Wir machen mit, natürlich! Es geht um die Sicherheit in diesem Land. Aber wir müssen jetzt sofort wichtige Dinge klären, beispielsweise das verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz, weitere konzeptionelle Dinge. Es kann doch nicht sein, dass jetzt plötzlich Spionage und Waffenhandel, die Bearbeitung solcher Phänomene, den Kampf gegen Rechtsextremismus überdeckt. Das alles ist völlig unausgegoren und muss jetzt schnellstens nachgeholt werden.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Jäger: Ich danke Ihnen, Herr Müller. Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.