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NRW-Wissenschaftministerium
Schnittstellen von akademischer und betrieblicher Bildung verbessern

Die Zahl der Studierenden in Deutschland steigt seit Jahren. Während die Hörsäle platzen, gehen den Ausbildungsbetrieben die qualifizierten Bewerber flöten. Das Verhältnis von akademischer und beruflicher Bildung soll neu überdacht werden - dazu hat das NRW-Wissenschaftsministerium eine Konferenz zum Thema organisiert.

Von Katja Nellissen | 03.11.2014
    Studenten sitzen in einem Hörsaal bei der Erstsemesterbegrüßung der Universität Koblenz-Landau im April 2014 im Hörsaal.
    In den Hörsälen wird es immer voller. (dpa / picture-alliance / Thomas Frey)
    Ein Zuviel an Bildung gibt es nicht, da ist sich Svenja Schulze, Wissenschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, ganz sicher. Und für sie gibt es auch nicht zu viele Studierende.
    "Ich halte gar nichts von dieser Akademisierungsdebatte. Wir brauchen Meister und Master. Wir sind in Deutschland deshalb so stark, weil wir eine sehr innovative Industrie haben, und deshalb brauchen wir auch immer wieder Fachkräfte aus den Hochschulen. Die richtige Diskussion wäre, wie wir das System durchlässiger machen können."
    Wenn es nach dem Willen der Ministerin geht, soll demnächst mehr Berufstätigen auch ohne Abitur der Weg an die Hochschulen offen stehen. Auf der anderen Seite sollen sich Studierende, die wechseln wollen, Studienleistungen für eine Ausbildung anrechnen lassen können. In diese Richtung funktioniert es schon sehr gut. Handel und Handwerk werben in umfangreichen Programmen um Studienabbrecher und locken mit einer Verkürzung der Ausbildungszeit. In Aachen können zum Beispiel Studierende aus Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften in eine Ausbildung zum Fachinformatiker wechseln. Professor Aloys Krieg, Prorektor für Lehre an der RWTH Aachen, wäre es zwar lieber, seine Studierenden zum Abschluss zu führen, die Alternative sieht er trotzdem positiv.
    "Man hat natürlich bestimmte Ansprüche. Und da wir im Anfang nicht wirklich die Studierfähigkeit testen, bleibt einem gar nichts anderes übrig, als frühzeitig eine Rückmeldung zu geben, ein Feedback: Gibt es eine positive Prognose, dieses Studium zu schaffen oder nicht? Und diese Entscheidung muss relativ früh fallen. Wir versuchen, unseren Studierenden aufzuzeigen, wenn sie Probleme haben, welche Alternativen es gibt."
    Duale Studiengänge
    Eine andere Schnittstelle zwischen Hochschule und Industrie sind duale Studiengänge. Sie verbinden universitäre und betriebliche Ausbildung und sollen so für theoretische und praktische Qualifikation gleichermaßen sorgen. Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft bescheinigt diesem Modell in seinem aktuellen Hochschulbildungsreport allerdings bislang keinen flächendeckenden Erfolg. Volker Meyer-Guckel, stellvertretenden Generalsekretär des Stifterverbands fordert hier mehr Anstrengungen und darüber hinaus: mehr akademische Bildung in die betriebliche Ausbildung.
    "Selbst wenn sie klassische handwerkliche Tätigkeiten haben, werden sie auch dort einen hohen Anteil der Digitalisierung und Technisierung haben. Wenn die berufliche Ausbildung weiterhin attraktiv sein will, und das sollte sie sein, weil es ja unser Erfolgsmodell ist in Deutschland, dann muss sie zunehmend Differenzierung auch in den akademischen Bereich ermöglichen."
    Kritiker bemängeln zudem das schlechte Image der betrieblichen Ausbildung. Noch immer gelte das Studium als Königsweg der Ausbildung. Das genaue Gegenteil macht allerdings Katja Urbatsch Sorgen. Sie hat die Initiative Arbeiterkind ins Leben gerufen, die Jugendliche auf ihrem Weg an die Uni unterstützen sollen, auch und gerade, wenn ihre Eltern nicht studiert haben. Die aktuelle Debatte über zu viele Studierende, fürchtet Katja Urbatsch, könnte genau diese Jugendlichen wieder abschrecken.
    "Wir tendieren häufig dazu, zu sagen, wenn jemand aus einer Familie kommt, in der alle eine Ausbildung gemacht haben, dann soll derjenige auch eine Ausbildung machen. Ich denke, das ist der falsche Weg. Ich finde es sehr gefährlich zu überlegen, wie lenken wir die Menschen, und da einzuschreiten und Biografien zu beeinflussen. Da hat man eine große Verantwortung. Ich finde, wir sollten nicht darauf gucken, was brauchen wir genau, das wird sich in ein paar Jahren sowieso wieder ändern, sondern wir sollten sehen, dass wir alle Menschen entsprechend ihrer Potenziale fördern."
    Eine frühe, differenzierte Beratung und die bessere Vernetzung von Hochschulen und Wirtschaft sind die Konzepte, die derzeit diskutiert werden. Wissenschaftsministerin Svenja Schulze ist zuversichtlich.
    "Es gibt einen Bedarf an Auszubildenden, es gibt einen Bedarf an Studierenden. Der Druck wird höher, und das ist immer eine gute Motivation, um sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen."