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NS-Pilotin und "Halbjüdin"

Melitta von Stauffenberg war in der NS-Zeit eine erfolgreiche Testfliegerin und Ingenieurpilotin. Dabei war sie den Rassegesetzen der Nazis zufolge "Halbjüdin" und Schwägerin des späteren Hitler-Attentäters Claus Schenck Graf von Stauffenberg. Ihre Biografie ist ein Spiegelbild des 20. Jahrhunderts.

Von Otto Langels | 12.03.2012
    Da die Fliegerei auf mich schon als Kind einen unwiderstehlichen Zauber ausgeübt hat, so hat sich eigentlich alles fast von selbst ergeben. Mein Studium habe ich daher schon auf Flugtechnik abgestellt, und selbstverständlich erschien es danach, dass ich mit allen Mitteln meine volle fliegerische Ausbildung durchzusetzen bestrebt war.

    Mit allen Mitteln – treffender hätte auch ein Außenstehender das Lebensmotto Melitta von Stauffenbergs nicht formulieren können. Als sie im Dezember 1943 in Stockholm vor schwedischen Diplomaten und deutschen Würdenträgern einen Vortrag hielt, war sie eine hochdekorierte Sympathieträgerin des NS-Regimes, eine "Sendbotin ihres Volkes in Waffen", wie sie selbst sagte. Den Auftritt in Schweden hatte unter anderem Joseph Goebbels' Propagandaministerium organisiert. Schwere alliierte Bombenangriffe konnten sie von ihrer Mission nicht abhalten.

    1943 befand sich Melitta von Stauffenberg auf dem Höhepunkt einer beispiellosen Karriere. Ihren Lebensweg zeichnet Thomas Medicus in einer sorgfältig recherchierten Biografie minutiös nach und geht dabei insbesondere auf ihre jüdische Herkunft ein, eine Problematik, der die Literatur, wenn überhaupt, bisher nur wenig Beachtung geschenkt hat. Ihr Vater war ein zum Christentum übergetretener Jude. Nach den Rassekriterien der Nationalsozialisten war sie ein "jüdischer Mischling ersten Grades", was ihrem beruflichen Aufstieg jedoch nicht im Wege stand.

    Thomas Medicus: "Dafür wurde sie dann ja auch bekannt, dass sie nicht nur Pilotin, sondern auch Ingenieurin war, die ihre Messungen auch selbst machen konnte. Also ich habe niemanden gefunden, der diese Kombination anzubieten hätte, und das machte sie schon einzigartig."
    Sich als Frau in einer Männerdomäne durchzusetzen, war damals sehr ungewöhnlich. Aber sie besaß die notwendige Härte, war asketisch und rücksichtslos gegen sich selbst und wurde so zur ersten Diplomingenieurin in der deutschen Luftfahrtforschung, die sämtliche Flugzeugführerscheine erwarb.
    Fachkräfte wie sie waren in der deutsche Luftfahrt- und Rüstungsindustrie der 1930er-Jahre rar:

    "Sie hat durch die Aufrüstung, die ja auch ganz stark der Luftwaffe gegolten hat, spätestens seit 1935 wurde ja massiv in die Luftwaffe investiert, davon konnte sie erst mal nur profitieren. Sie war eine der Ingenieure beziehungsweise Ingenieurinnen, die sich für unpolitisch hielten, und ich würde sie auch für unpolitisch halten."
    In seinem Urteil über die politischen Konsequenzen ihrer Tätigkeit ist Thomas Medicus erstaunlich zurückhaltend. Ausführlich schreibt er über ihre behütete Kindheit, die todesmutigen Testflüge, ihre Liebe zu dem schöngeistigen Althistoriker Alexander von Stauffenberg oder die intensive, tragische Affäre mit einem jungen Fliegerkollegen. Dagegen vermeidet der Autor klare Aussagen, wie weit sich Melitta von Stauffenberg vom NS-Regime instrumentalisieren ließ und ihre Arbeit bewusst in den Dienst der nationalsozialistischen Kriegsmaschinerie stellte.

    Die rekordverdächtige Zahl von mehr als 2000 Sturzflügen diente schließlich dem Ziel, Präzisionsgeräte für Bombenabwürfe zu entwickeln. Während der Autor Melittas Geschwistern Klara und Otto Schiller deren Zugehörigkeit zur NS-Wissenschaftselite samt allen materiellen Vorteilen vorhält, fällt seine Kritik an der Gräfin Stauffenberg auffallend milde aus.

    Andererseits lässt Thomas Medicus aber keinen Zweifel daran, dass sie keine Widerstandskämpferin und auch nicht in die Attentatspläne des 20. Juli eingeweiht war. Überzeugend widerlegt er frühere Darstellungen, wonach sie nicht nur von den Plänen ihres Schwagers Claus von Stauffenberg gewusst, sondern auch logistische Unterstützung als Fliegerin geleistet haben soll:

    "Es gibt überhaupt keinen einzigen Punkt und vor allem überhaupt kein Zeugnis, kein Dokument, keine Archivalie, es gibt nichts, was dafür spricht."
    Nach dem gescheiterten Hitler-Attentat kam Melitta wie viele andere Angehörige der Stauffenberg-Familie in Sippenhaft, aber wegen ihrer kriegswichtigen Tätigkeit nach sechs Wochen wieder frei. Erneut hielt Hermann Göring seine schützende Hand über sie, so wie er 1941 dafür gesorgt hatte, dass das Reichssippenamt sie für "deutschblütig" erklärte und damit den Makel ihrer jüdischen Herkunft tilgte; ein Akt, der jedoch jederzeit rückgängig gemacht werden konnte:

    "Sie wusste, dass sie gefährdet gewesen ist und dass man ihr das Recht bzw. die Gleichberechtigung mit den anderen deutschen Staatsbürgern vielleicht auch dann mal wieder entziehen konnte. Sie stand immer unter einem sehr hohen Anpassungsdruck. Und dieser unglaubliche Ehrgeiz, den sie hatte, der drückte sich ja auch darin aus: Sie wollte sich einfach nicht zum Opfer machen lassen, wenn man so will."
    Ihr Leben endete, man könnte sagen, geradezu zwangsläufig in der Luft. Auf der Suche nach ihrem von KZ zu KZ verschleppten Mann wurde sie am 8. April 1945 in Bayern mit ihrem Flugzeug von einer amerikanischen Maschine abgeschossen. Thomas Medicus gelingt in einer anregend und anschaulich geschriebenen Biografie eine Annäherung an eine faszinierende Ausnahmegestalt. Aber auch nach der Lektüre erscheint uns Melitta von Stauffenberg immer noch als rätselhafte Frau voller Widersprüche: eine "Halbjüdin" im Dienst des NS-Regimes, die Schwägerin des Hitler-Attentäters, von Göring persönlich mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Nach dem 20. Juli 1944 kümmerte sie sich nach ihrer Freilassung aufopferungsvoll um die inhaftierten Angehörigen der Familie Stauffenberg. Ebenso beharrlich setzte sie ihre Testflüge fort. Während Berlin im Bombenhagel versank und die Deportationszüge nach Auschwitz rollten, ging sie auf dem Wannsee segeln und im Grunewald auf Kaninchenjagd. Am Ende bleibt ihr Leben, wie Thomas Medicus eingesteht, ein Mysterium.

    Otto Langels war das über: "Melitta von Stauffenberg – ein deutsches Leben" von Thomas Medicus. Erschienen ist das Buch im Rowohlt-Verlag Berlin. Es hat 416 Seiten und kostet Euro 22,95 - ISBN: 978-3-871-34649-1.