Freitag, 19. April 2024

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NS-Regime
Systematisch enteignet und vertrieben

Am 9. November 1938 zerstörten die Nationalsozialisten jüdische Einrichtungen und ermordeten Hunderte Juden. Nur drei Tage später wurde die jüdische Bevölkerung zur Kasse gebeten: "Judenvermögensabgabe“ nannte sich der perfide Einfall des NS-Regimes. Heute vor 75 Jahren wurde sie beschlossen.

12.11.2013
    “Deutsche wehrt euch. Kauft nicht bei Juden“
    Schon nach der Machtergreifung ließen die Nationalsozialisten keinen Zweifel aufkommen, worauf sich die Juden in Deutschland einzustellen hatten. In den Dienst der braunen Bewegung stellte sich vorneweg das Finanzministerium. Seit 1934 sollten Steuergesetze streng nach nationalsozialistischer Weltanschauung ausgelegt werden. Und das taten die Finanzbeamten auch.
    Beteiligt waren sie auch an der Eintreibung der sogenannten „Judenvermögensabgabe“. Eine entsprechende Verordnung unterzeichnete Hermann Göring am 12.11.1938, drei Tage nachdem die Synagogen in der Reichspogromnacht gebrannt hatten. Die Nationalsozialisten wollten an das Vermögen der jüdischen Bevölkerung gelangen. Reichsluftfahrtminister Göring hatte einen Plan. Und präsentierte ihn auf einer Konferenz in seinem Ministerium – das Gebäude ist heute der Sitz des Bundesfinanzministeriums.
    "Ich werde den Wortlaut wählen …“
    Soll Göring gesagt haben …
    „… dass die deutschen Juden in ihrer Gesamtheit als Strafe für die ruchlosen Verbrechen eine Kontribution von eine Milliarde auferlegt bekommen. Das wird hinhauen.“
    In den nächsten Monaten mussten Juden mit einem Vermögen über 5000 Reichsmark 20 Prozent davon an die Finanzämter abführen. Die Deutsche Steuer-Zeitung, eine seit 1913 erscheinende Fachzeitschrift, die es noch heute in anderer Form gibt, jubilierte im November 1938:
    “Mit der Judenvermögensabgabe sind die Finanzämter im Kampf gegen das Judentum in vorderster Front eingesetzt".
    Drei Tage nach dem Pogrom leitete ein weiteres Gesetz die endgültige Arisierung der deutschen Wirtschaft ein. Die "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben". Weder durften Juden Einzelhandel- oder Versandgeschäfte führen, noch einen Handwerksbetrieb betreiben. Es war ihnen verboten, auf Märkten Waren anzubieten, sie mussten aus Genossenschaften austreten. Juden in leitender Position konnte binnen sechs Wochen fristlos und ohne Ansprüche auf Abfindungen gekündigt werden. Bei Juden wurde zudem unabhängig von der Höhe des Einkommens der Spitzensteuersatz angesetzt - die entsprechende Verordnung hieß im Geist der Zeit „Steueranpassungsgesetz“.
    Fiskalische Diskriminierung und Sonderabgaben - zwei Eckpfeiler der Drangsalierung der Juden, führten in der deutschen Bevölkerung zu keinem Aufschrei der Empörung.
    Der Historiker Götz Aly, der über die Sozialpolitik des Dritten Reiches schrieb, weist darauf hin, dass sich Hitler gegenüber den Volksgenossen großzügig zeigte. Kindergeld, Krankenversicherung für Rentner oder eine zehnprozentige Lohnerhöhung nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Frankreich wurden dankend angenommen, ohne dass auch nur nachgefragt wurde, woher das ganze Geld für diese Wohltaten kam. Eben auch durch die steuerliche Judenverfolgung, der sich bald darauf die physische Vernichtung anschloss.
    Zu den antisemitischen Fanatikern reihten sich auch die Finanzbeamten vor Ort ein. Die Basis der Steuerverwaltung setzte die Unrechtsmaßnahmen um und sie tat dies mit Gründlichkeit. Das Bundesfinanzministerium hat sich seiner Vergangenheit erst spät gestellt, 2010 erschien eine Untersuchung von unabhängigen Historikern. Heute Abend findet im Bundesfinanzministerium eine Gedenkfeier. 75 Jahre nach Hermann Görings Rede im gleichen Gebäude.