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NSA-Affäre
Snowden muss kommen

Die Linken-Politikerin Renner appelliert an die Bundesregierung, dem Informanten Snowden die Einreise zu ermöglichen, damit er im NSA-Untersuchungsausschuss aussagen kann. Eine Befragung in Moskau komme nicht in Frage, sagte Renner im Deutschlandfunk.

02.05.2014
    Die Obfrau der Linksfraktion im NSA-Untersuchungsausschuss, Martina Renner.
    Die Obfrau der Linksfraktion im NSA-Untersuchungsausschuss, Martina Renner. (dpa / picture-alliance / Daniel Naupold)
    In Russland könne Snowden wegen seiner Asylauflagen gar nicht frei und umfassend aussagen, erläuterte Renner, die auch Obfrau der Linksfraktion im NSA-Untersuchungsausschuss ist. Außerdem stehe es im Untersuchungsausschuss-Gesetz, dass das Gremium öffentlich und in Berlin arbeite. Sie habe zudem große politische Bedenken, als Abgeordnete die Arbeit in einem Land wie Russland auszuüben, das die Grundrechte missachte. Darum seien eine Befragung durch eine Reise nach Moskau oder eine Videoschalte kein Weg.
    Renner kritisierte die Bundesregierung, die sich auf ein neues Gutachten berufe. Darin werde dargelegt, warum man Snowden aus "Staatsruhegründen" die Einreise verweigere. Das sei politisch fatal und ein verfassungsrechtlicher Irrweg. Das Parlament könne dabei Schaden nehmen. Es gehe in dieser Sache um einen massenhaften Eingriff in die Internetkommunikation, um Grundrechtsverletzungen. Damit sei auch das Grundgesetz tangiert, und der Schutz von Grundrechten habe Vorrang vor der Staatsräson. Die Bundesregierung müsse diesen Schutz zu garantieren. Daher müsse sie Snowden die Einreise ermöglichen - und habe keine andere Wahl.
    In dem einschlägigen Gutachten heißt es unter anderem, dass es eine "kriminelle Verabredung" darstelle, wenn Parlamentarier sich mit Snowden träfen, etwa für eine Befragung im Ausschuss. Zudem könnten die Abgeordneten dann nicht sicher sein, ob sie bei der Einreise in die USA nicht verhaftet würden. Das Gutachten, so Renner, solle wohl Druck auf Parlamentarier auszuüben und eine Drohkulisse aufbauen. Davon lasse man sich im Ausschuss aber nicht abschrecken. Sie lasse sich dadurch auch nicht von einer Reise in die USA abbringen, betonte Renner.
    Fest stehe, dass Linke und Grüne am kommenden Donnerstag den Beweisantrag einbringen wollten, um Snowden vorzuladen. Wenn der Antrag wieder von der Tagesordnung genommen werde oder man Mängel feststelle, dann seien der Bundesgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht zuständig. Grundsätzlich stehe auch im Raum, den Sachverhalt höchstrichterlich klären zu lassen. Auch die Grünen hatten bereits in Aussicht gestellt, dass sie den Gang zum Bundesverfassungsgericht wählen könnten, um Snowdens Befragung in Deutschland durchzusetzen.


    Das Interview in voller Länge
    Dirk-Oliver Heckmann: Vor wenigen Jahren noch, da war alles eitel Sonnenschein zwischen den USA und Deutschland. Juni 2011, der Rosengarten im Weißen Haus, Angela Merkel erhält aus der Hand von Präsident Obama die Freiheits-Medaille der USA. Eine höhere Auszeichnung kann es für einen ausländischen Staatsgast nicht geben. Doch diese Zeiten sind vorbei. Sie schienen vorbei, zumindest seit bekannt ist, dass der amerikanische Geheimdienst NSA die Kommunikation von Millionen Deutschen kontrolliert und auch das Handy der Bundeskanzlerin nicht ausnahm. Die Empörung war groß in Berlin, auch bei Angela Merkel.
    O-Ton Angela Merkel: "Ich habe, seitdem wir über die NSA sprechen, auch immer wieder gegenüber dem amerikanischen Präsidenten deutlich gemacht, Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht."
    Heckmann: Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht. Doch daraus folgte mehr oder weniger nichts. Das von Berlin geforderte Anti-Spionage-Abkommen mit den USA ist kein Thema mehr, weil Washington das ablehnt. Überhaupt ist das ganze Thema bei Merkels Besuch im Weißen Haus heute enorm nach unten gerutscht, wegen der Krise um die Ukraine. Am Telefon ist jetzt Martina Renner von der Partei Die Linke. Sie ist Obfrau im NSA-Untersuchungsausschuss. Schönen guten Morgen, Frau Renner.
    Martina Renner: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Die Bundesregierung, die scheint sich ja damit abgefunden zu haben, in Sachen NSA, No-Spy-Abkommen ist mit den Amerikanern kein weiteres Entgegenkommen zu erwarten, beziehungsweise von ihnen kein weiteres Entgegenkommen zu erwarten. Haben Sie sich auch schon damit abgefunden?
    Renner: Nein, natürlich nicht. Aber seit gestern wissen wir ja, dass Frau Merkel ein Geschenk im Gepäck hat. Es gibt wohl ein Gutachten der Bundesregierung, das heute vorgestellt wird, das klar sagt, aus Staatswohlgründen verweigert man Edward Snowden, also dem wichtigsten Zeugen des NSA-Untersuchungsausschusses, die Einreise, und das halten wir politisch für fatal, verfassungsrechtlich tatsächlich für einen Irrweg, und wir befürchten, dass dann auch das Parlament und auch die Abgeordneten gegebenenfalls Schaden nehmen werden.
    Ich will das kurz erläutern. Es wird ja argumentiert, die guten wirtschaftlichen, politischen Beziehungen zu den USA seien wichtiger als die Aufklärung im NSA-Untersuchungsausschuss. Aber um was geht es da? Da geht es um massenhaften Eingriff in die Internet-Kommunikation, also Grundrechtsverletzungen, und damit ist tatsächlich das Grundgesetz und die europäische Grundrechte-Charta tangiert. Grundrechtsschutz muss für uns immer vor Staatswohlinteressen - in dem Falle, glaube ich, muss man es eher Staatsräson nennen - gehen. Da irrt die Bundesregierung, wenn sie sagt, das wäre ein höheres Rechtsgut, und eigentlich hätte sie auch als Hoheitsträger die Aufgabe, Grundrechtsschutz zu garantieren und dort, wo es Verletzungen gibt, zu verfolgen, zu ahnden, aufzuklären. Sie muss eigentlich Edward Snowden die Einreise ermöglichen. Sie hat gar nicht die Wahl, dies zu verweigern. Wir verstehen diese Rechtsposition überhaupt nicht.
    Heckmann: Aber, Frau Renner, Fakt ist auch: Edward Snowden wird per Haftbefehl gesucht von den amerikanischen Behörden, und sobald Edward Snowden hier nach Deutschland einreisen würde, wäre die Bundesregierung verpflichtet, Snowden auszuliefern. Und wenn sie das nicht tut, dann wäre der außenpolitische Schaden natürlich enorm.
    Renner: Da gibt es natürlich zwei Fragen, die die Bundesregierung zu beantworten hat. Erstens: Wie beurteilt sie die Frage, ob es eine politische Verfolgung von Edward Snowden gibt? Und die zweite ist: Wir sagen ganz klar, auch nach den rechtlichen Möglichkeiten der Bundesregierung - und wir berufen uns da auf Paragraph 22 im Aufenthaltsgesetz - hat sie die Möglichkeit, Edward Snowden hier einen sicheren Aufenthalt zu geben, wenn es ein höherwertiges politisches Interesse gibt, dass er hier ist und geschützt wird, und daraus würde sich dann auch ein Abschiebeschutz ergeben. Also es ist nicht so eindeutig, wie derzeit in diesem Gutachten wohl formuliert, dass sich Parlamentarier, wenn sie Edward Snowden hören oder die Bundesregierung seine Einreise ermöglicht, dass sich irgendjemand hier strafbar machen würde
    Heckmann: Das sieht die Bundesregierung ganz offensichtlich anders. Heute wird ja eine entsprechende Stellungnahme dem NSA-Untersuchungsausschuss zugestellt. Sie haben es gerade schon zusammengefasst. Demnach gestattet die Bundesregierung eine Befragung Edward Snowdens in Deutschland und eine Einreise Edward Snowdens nicht. Und sie hat, die Bundesregierung, in einer amerikanischen Kanzlei, war gestern zu hören, ein Gutachten eingeholt.
    Heckmann: Frau Renner, mit einer Befragung Snowdens würden Sie sich (laut Gutachten, Anmerkung der Redaktion) womöglich strafbar machen, und bereits der Plan, ihn zu vernehmen, könnte eine kriminelle Verabredung darstellen. Was sagen Sie dazu?
    Renner: Na ja, ich sage mal, ich finde, das klingt sehr nach einem Gefälligkeitsgutachten. Wenn man sich diese Kanzlei ansieht, dann kann man sehr leicht recherchieren, dass sie schon in den vergangenen Jahren oftmals Aufträge für die deutsche Botschaft ausgeführt hat, und sicherlich ist es auch möglich, jetzt in den USA ein anderes Gutachten zu bekommen, das das Gegenteil sagt. Das ist nicht die Frage. Dahinter steht aber sicherlich der Versuch, Druck auf Parlamentarier und Parlamentarierinnen auszuüben, eine Drohkulisse aufzubauen, weil natürlich stehen auch diverse Reisen in die USA an. Der Innenausschuss wird zum Beispiel im September dort hinreisen, ich werde auch an dieser Reise teilnehmen, andere Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses möglicherweise auch. Das Manöver ist relativ durchsichtig. Ich glaube, wir sollten uns da gar nicht strecken lassen als Untersuchungsausschuss. Ich weiß es ganz persönlich auch aus meiner Arbeit in Thüringen im NSU-Untersuchungsausschuss. Es gibt immer diese Versuche, wenn man an unangenehme Wahrheiten verstößt, auch Parlamentarier und Parlamentarierinnen Angst zu machen, sie würden sich an der einen oder anderen Stelle strafbar machen. Aber so etwas darf eine Aufklärungsarbeit gerade in diesem Fall, wo es um einen der größten Geheimdienst-Skandale in der Bundesrepublik geht, überhaupt nicht gehen und ich sehe der Sache relativ gelassen entgegen, zumal man jetzt auch noch abwarten muss, wie das gesamte Gutachten aussieht, und wir werden uns natürlich auch sicherlich als Untersuchungsausschuss noch mal selbst rechtlichen Beistand und Sachverstand einholen, um das eine oder andere Argument auch relativ einfach dann entkräften zu können.
    Heckmann: Das heißt, Sie schrecken vor der nächsten Reise in die USA nicht zurück?
    Renner: Nein, überhaupt nicht, und wir werden auch - und das ist klar verabredet auch mit Bündnis 90/Die Grünen - in der nächsten Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses, die wird nächsten Donnerstag sein, den Beweisantrag zur Vorladung Edward Snowdens beschließen. Und wir sagen auch ganz deutlich, für uns kommt eine Vernehmung per Videoschaltung oder aber durch Reise nach Moskau überhaupt nicht in Frage - aus drei Gründen. Erstens sind die Auflagen des Asyls von Herrn Snowden in Moskau so, dass er dort nicht frei und umfassend aussagen kann, aber genau das wollen wir ja als Untersuchungsausschuss, dass er all sein Wissen auch zu den Dokumenten und möglicherweise auch der Beteiligung bundesdeutscher Behörden, aber auch zum Ausmaß oder den technischen Hintergründen der massenhaften Überwachung der Telekom- und Internet-Kommunikation preisgibt. Zweitens sagt das Untersuchungsausschuss-Gesetz eindeutig, der Ausschuss arbeitet öffentlich und in Berlin. Und drittens habe ich tatsächlich auch große politische Bedenken, unter den Bedingungen eines Landes meine Arbeit als Parlamentarierin ausüben zu müssen, das selbst Grundrechte und Menschenrechte missachtet, also Russland. Unter den Bedingungen kommt es gar nicht in Frage, Herrn Snowden per Schaltung oder aber durch Besuch in Moskau zu vernehmen.
    Heckmann: Frau Renner, sollte die Bundesregierung dabei bleiben, Edward Snowden eine sichere Einreise nach Deutschland zu verwehren - und danach sieht es ja auch aus -, haben die Bündnis-Grünen bereits eine Klage in Karlsruhe angekündigt. Die Grünen haben da mal wieder die Nase vorn. Weshalb sind Sie da so zurückhaltend?
    Renner: Wir sagen auch ganz klar, wir werden das höchstrichterlich prüfen lassen. Aber wir müssen natürlich jetzt abwarten, was am Donnerstag passiert. Wenn unser Beweisantrag erneut aus irgendwelchen Verfahrenstricksereien heraus von der Tagesordnung genommen wird, oder man dort inhaltliche Mängel sieht und sagt, er ist nicht verhandlungsfähig, dann ist wohl nicht das Bundesverfassungsgericht zuständig, sondern der Bundesgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht, und wenn es grundsätzlich um die Frage geht, dass man die Einreise verhindern will, dann das Bundesverfassungsgericht. Und egal wie die Sitzung dann am Donnerstag verlaufen wird, steht möglicherweise dann die Frage im Raum, dass wir eine höchstrichterliche Klärung herbeiführen werden. Da sind wir uns mit den Grünen vollkommen einig. Wir müssen aber jetzt auch genau sehen, wie mit unserem Beweisantrag und den Fragen des Gutachtens auch von den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen umgegangen wird. Vielleicht sagt man ja auch dort, wir sind souverän und selbstbewusst genug als Parlamentarier und Parlamentarierinnen und schlagen das, was die Bundesregierung uns aufoktroyieren will, jetzt in den Wind.
    Heckmann: Bundeskanzlerin Angela Merkel wird heute zu Gesprächen im Weißen Haus erwartet, Thema unter anderem natürlich auch die NSA-Spionageaffäre und eine mögliche Befragung von Edward Snowden. Wir haben gesprochen mit Martina Renner, Obfrau der Linken im NSA-Untersuchungsausschuss. Frau Renner, danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Renner: Ja. Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.