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NSA-Affäre
Vertrauen in die USA "nachhaltig gestört"

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz empfindet die Strafanzeige gegen die halbe Bundesregierung wegen des NSA-Skandals als abwegig. Er sei aber auch dagegen, in der Beziehung mit den USA einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen, sagte er im Deutschlandfunk.

Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Gerd Breker | 04.02.2014
    ILLUSTRATION - Durch eine Lupe ist am 16.01.2014 in Berlin das Logo des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA) auf einem Monitor zu sehen. US-Präsident Obama stellt am 17. Januar 2014 seine Reformen für den Geheimdienst NSA vor. Foto: Nicolas Armer/dpa
    Bürgerrechtsgruppen erstatteten Anzeige gegen Mitglieder der Bundesregierung. (dpa/Nicolas Armer)
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz. Guten Tag, Herr Wiefelspütz.
    Dieter Wiefelspütz: Guten Tag.
    Breker: Muss man diesen drei Organisationen nicht dankbar sein, dass sie diese Anzeige erstellt haben?
    Wiefelspütz: Für Rundumschläge muss man nicht dankbar sein. Wichtig ist, dass Bürger sich für diese Dinge interessieren, sich aufregen. Auch eine Strafanzeige zu erstatten, ist völlig in Ordnung. Aber dass hier gleich die halbe Bundesregierung verdächtigt wird, Straftaten begangen zu haben, und insoweit eine Anzeige erstattet wird, das halte ich für vollkommen abwegig. Da geht es eher um eine Schlagzeile, um Spektakel. Und das wird dem ja durchaus ernsthaften Anliegen meines Erachtens nicht wirklich gerecht.
    Breker: Aber ist es nicht so, Herr Wiefelspütz, dass bislang einfach sehr wenig geschehen ist. Und Obama hat ja in seiner Rede zur NSA-Reform auch klargestellt, so viel wird sich gar nicht ändern?
    Wiefelspütz: Wir haben es mit einer Riesenaufgabe zu tun. Das ist ein ganz, ganz ernstes Thema, was Sie ansprechen, bezieht sich übrigens keineswegs nur und ausschließlich auf NSA, aber das will ich gar nicht ausklammern. Das ist die Spitze des Eisberges. Es geht im Grunde um die ganz große Frage: Was bedeuten eigentlich unsere Grundrechte im digitalen Zeitalter? Wie kriegen wir Freiheit und Schutz unserer Rechte im Internet auf die Reihe? Gilt der Rechtsstaat, wirkt er im Bereich der digitalen Kommunikation überhaupt effektiv? Das sind doch die großen Fragen, die wir national beantworten müssen, die wir im Rahmen der Europäischen Union beantworten müssen und die wir im transatlantischen Umgang mit den USA beantworten müssen, aber auch weltweit, wenn Sie so wollen. Also eine ganz, ganz große Agenda. Wir haben erneut, zum wiederholten Male, eine gigantische Großtechnologie in die Welt gesetzt, gegen die ich ja persönlich gar nichts habe, die ja auch wundersame Qualitäten hat, und kümmern uns jetzt um die Bedingungen, unter denen diese Großtechnologie Internet genutzt wird. Weil es ja eben halt nicht nur ein wunderbarer Raum der Freiheit ist, sondern inzwischen begreifen alle: Es ist auch ein Ort für Verbrechen, es ist ein Ort für Überwachung. Und die Frage lautet, wie kriegen wir das geregelt, sodass Freiheit und Recht auch in diesen Bereichen gilt. Und das ist eine gigantische Aufgabe. Und da, glaube ich, ist es nicht angemessen, wenn man jetzt pauschal Frau Merkel oder den Innenminister de Maizière anklagt.
    Breker: Herr Wiefelspütz, müssen wir nicht einräumen, muss nicht Politik auch einräumen, diese Frage bislang, bis anhin verpennt zu haben? Das heißt, da sind technische Möglichkeiten entstanden. Und erst jetzt, nachdem sie missbraucht werden, machen wir uns, macht sich Politik Gedanken darüber, wie man das regeln kann, wie man das einschränken kann, wie man da Leitplanken setzen kann.
    Wiefelspütz: Wenn Sie den Vorwurf so erheben wollen, ist das in Ordnung. Wir haben auch die Atomenergie eingeführt, das Auto, das Flugzeug, alles mögliche. Und erst anschließend reden wir über Recht und Gesetz, über Ethik und vieles andere, um die Dinge so in den Griff zu kriegen, dass sie den Menschen dienen, ihnen nutzen und ihnen nicht übermäßigen Schaden zufügen. So ist das jetzt auch, allerdings vielleicht in einer besonders potenzierten Form, mit dem Internet. Da sind auch weder Sie, noch ich gefragt worden, ob das Internet eingeführt wird. Es ist da, es ist heute Big Business, es ist heute Big Data, stark dominiert von US-Firmen, die inzwischen auch begriffen haben, dass es möglicherweise geschäftsschädigend ist, wenn da Manipulationen stattfinden. Und jetzt müssen wir Leitplanken einziehen. Und zwar so, dass nicht jetzt manipuliert wird, die Freiheit beeinträchtigt wird, sondern wir brauchen Rechtsstaat im Netz, der transparent ist, der wirksam ist. Und das müssen wir nicht nur national, wir müssen es in der EU umsetzen, wir müssen es mit den USA umsetzen. Wir müssen es im UNO-Bereich umsetzen. Eine gigantische Agenda. Sie haben natürlich Recht: Da ist der Zeitpunkt verpasst worden. Jetzt reden wir über Urheberrechtsfragen, jetzt reden wir über Grundrechtsfragen und überall eher mehr Fragen als Antworten, aber so ist das. Ich glaube, dass wir sehr viel Öffentlichkeit brauchen in dieser Angelegenheit. Und insoweit sind ja auch diese Ermittlungen, die ja laufen beim Generalbundesanwalt – Vorermittlungen sind ja eingeleitet -, auch ein Beitrag. Wir werden jetzt hoffentlich in wenigen Wochen den Untersuchungsausschuss haben im Deutschen Bundestag. Wir brauchen eine breite Öffentlichkeit und eine breite Agenda, um in diesem Bereich Schritt für Schritt den Nebel zu lichten, im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger.
    Breker: Aufklärung ist das eine. Das andere, Herr Wiefelspütz, ist die Frage: Welche Möglichkeiten hat denn die Bundesregierung überhaupt, um zum Beispiel auf die USA Druck auszuüben?
    Über Dieter Wiefelspütz
    Geboren 1946 in Lünen, Nordrhein-Westfalen. Nach der mittleren Reife absolvierte der SPD-Politiker zunächst eine Ausbildung zum Buchhändler, holte das Abitur nach. Im Anschluss studierte er Rechtswissenschaften in Bochum und war nach dem zweiten Staatsexamen als Richter tätig. 2002 promovierte er. Der SPD trat Wiefelspütz 1972 bei. Von 1987 bis 2013 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, dabei unter anderem Mitglied im Innenausschuss.
    Wiefelspütz: Die Möglichkeiten sind sicherlich nicht unbeschränkt. Aber ich bin auch dagegen, dass man jetzt sozusagen das Buch resignierend zuklappt und sagt, die Welt ist halt so. Nein! Die Bundesrepublik Deutschland ist ein wichtiges Land. Wir sind ein souveränes Land. Wir sind ein ganz wichtiges Land in der Europäischen Union. Und ich fände es unglaublich wichtig, dass wir sowohl als Bundesrepublik Deutschland wie auch Deutschland innerhalb der EU ein klares Konzept in dieser Angelegenheit vorantreiben. Und ich denke, es ist in den USA angekommen, dass wir hier in Deutschland tief verärgert sind über das, was da über unser Land gekommen ist mit NSA und dem ganzen Komplex. Ich bin strikt dagegen, dass man da zur Tagesordnung zurückkehrt, sondern das Vertrauen zu unseren sehr wichtigen Bündnispartnern in den USA ist gestört. Ich glaube, sogar nachhaltig gestört. Wir werden es nicht alleine mit Druck aus Europa und in Deutschland schaffen, eine Veränderung herbeizuführen. Letzten Endes wird diese Schlacht, glaube ich, in den USA gewonnen. Und ich hoffe sehr auf Diskussionsprozesse in den USA, auch bürgerliche Diskussionsprozesse in diese Richtung. Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass unter dem Label, unter der Überschrift "Nationale Sicherheit" die Grundrechte der Bürger weltweit aus der Sicht der USA überhaupt keine Rolle mehr spielen. Das ist nicht hinnehmbar und deswegen muss da der Zorn, der Unmut von uns hier in Deutschland unseren Freunden in den USA immer wieder deutlich gemacht werden. Und Resignation ist nicht die Antwort, sondern Nachhaltigkeit. Wir bohren aber ganz, ganz dicke Bretter, das muss jedem klar sein.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung des SPD-Innenpolitikers Dieter Wiefelspütz. Herr Wiefelspütz, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Wiefelspütz: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.