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NSA und BND
Mühsame Aufklärung der Geheimdienstaffäre

Seit gut einem Jahr versucht der Untersuchungsausschuss des Bundestages herauszufinden, ob die NSA deutsches Recht verletzt hat. Außerdem soll geklärt werden, ob der BND Recht verletzt oder von Rechtsverletzungen gewusst hat. Ein Problem dabei ist die Bundesregierung.

Von Falk Steiner | 20.05.2015
    Blick auf das Gebäude der neuen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND) am 27.04.2015 in Berlin.
    Die Spionage-Affäre um den Bundesnachrichtendienst und den US-Geheimdienst NSA setzt zunehmend auch das Bundeskanzleramt unter Druck. (picture-alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    "Ich kann nur hier in der Öffentlichkeit sagen, dass jeder nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet hat, das gilt für die heutigen Kanzleramtsminister, aber auch die Vorgänger und auch Ronald Pofalla."
    Programmhinweis

    Am Mittwoch sprechen wir in den Informationen am Morgen mit dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg (CDU). Das Interview können Sie um 8:10 Uhr hören. Anschließend wird es auf deutschlandfunk.de nachzuhören und nachzulesen sein.
    Es ist der 11. Mai 2015, als Angela Merkel sich in der NSA-Affäre öffentlich verteidigen muss. Aber war denn nicht damals, am 12. August 2013, gut vier Wochen vor der Bundestagswahl, von Merkels Kanzleramtsminister Ronald Pofalla alles für beendet erklärt worden?
    "Der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung in Deutschland ist nach den Angaben der NSA, des britischen Dienstes und unserer Nachrichtendienste vom Tisch. Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung, wie immer wieder fälschlich behauptet wird."
    "Vom Tisch", wie Pofalla damals sagte, ist nun aber immer noch nichts. Seit gut einem Jahr versucht nun der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages herauszufinden, ob der technische Nachrichtendienst der USA, die National Security Agency NSA, und ihre Partnerdienste in Deutschland spioniert und deutsches Recht verletzt haben. Und auch die Frage, ob der deutsche Auslandsgeheimdienst, der Bundesnachrichtendienst, Recht verletzt oder Kenntnis von Rechtsverletzungen der Staaten des Five-Eyes-Spähverbundes USA, Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien hatte, gehört zum Aufklärungsauftrag. Seit einem Jahr kämpfen die Parlamentarier dabei immer wieder mit der Bundesregierung:
    "Alle Materialien aus dem Kanzleramt und, zum Teil ist das ja noch im Prozess, auch vom BND werden diesem Untersuchungsausschuss zugeleitet, das ist für uns eine Selbstverständlichkeit"
    Alles, das heißt, so erläutert später ihr Regierungssprecher Steffen Seibert: alles, was möglich sei. Und einiges ist nicht möglich.
    "Wir bekommen viele Akten nur geschwärzt, andere Akten gar nicht, weil zum Beispiel Großbritannien generell die Herausgabe verweigert und bei anderen Unterlagen jeweils die USA angefragt werden..."
    Martina Renner ist Obfrau der Linken im Untersuchungsausschuss. Einige der Akten können die Obleute der Fraktionen nur im Kanzleramt einsehen - Akten, die so heikel sein sollen, dass die Bundesregierung sie nicht einmal in der Geheimschutzstelle des Bundestages hinterlegen will.
    2003 unterzeichnete der damalige Kanzleramtsminister und heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der US-Seite ein "Memorandum of Agreement", eine Übereinkunft über die Zusammenarbeit der National Security Agency und des Bundesnachrichtendienstes. Der Schwerpunkt der Kooperation: die gemeinsame elektronische und die Signalaufklärung - das Spionieren mit modernen Methoden. Der Bundesnachrichtendienst war um die Jahrtausendwende technisch rückständig. Die NSA sollte Entwicklungshilfe leisten.
    Sinnbild dafür: die Satellitenstation in Bad Aibling, zwischen München und Rosenheim. Die wurde dem BND von den USA fast zeitgleich mit dem Abkommen überlassen. Doch das Geschenk war an eine Bedingung geknüpft: Die NSA bekommt weiterhin Daten aus der Satellitenüberwachung und darf eigene Selektoren dafür liefern - Suchbegriffe wie Telefonnummern oder E-Mail-Adressen.
    Abhöranlagen des BND in Bad Aibling
    Abhöranlagen des BND in Bad Aibling (imago stock & people)
    Auf dem Gelände der Mangfall-Kaserne Bad Aibling sind bis heute auch NSA-Mitarbeiter im Einsatz, in einem kleinen Häuschen, zu dem niemand außer ihnen Zugang hat. Dort landen die Daten aus der gemeinsamen Spionage. Und Bad Aibling war nur der Startschuss für die Kooperation. Christian Flisek, Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss, beschreibt sie so:
    "Da handelt es sich zum einen um Satellitenkommunikation, die über Bad Aibling läuft, aber es geht auch um Kabelzugriffsprojekte, zum Beispiel am Knoten Frankfurt."
    Der Sündenfall Eikonal
    In den ersten Jahren nach dem 11. September 2001 verdichtet sich im Namen der Terrorbekämpfung die Zusammenarbeit von NSA und BND. 2003 wollen die beiden Geheimdienste an einem Knotenpunkt bei Frankfurt, betrieben von der Deutschen Telekom, gemeinsam Telekommunikationsverkehre aus den Kabeln abgreifen. Frankfurt ist einer der wichtigsten Datenumschlagplätze der Welt. Die NSA dürfte nach deutschem Recht dort nicht zugreifen, der BND schon. "Eikonal" nennen die Partner das Kooperations-Projekt.
    Der BND schließt Anfang 2004 einen Vertrag mit der Deutschen Telekom zum Kommunikationsabgriff. "Transit" wird der Vertrag benannt. Offener Himmel, Weltraum, Transit: im BND gibt es viele Bezeichnungen für Kommunikation, die vom Ausland ins Ausland geht.
    Die Fernmeldeoberamtsräte der "Regionalstelle für staatliche Sonderaufgaben" der Telekom kopieren nun Telefonie-, Fax- und Datenverkehre, der BND lässt diese Daten mit von der NSA bereitgestellter Hard- und Software auswerten. Alles was interessant ist, wird weiterverarbeitet. Nicht nur in Afghanistan oder Somalia miteinander telefonierende Terrorverdächtige landen in den Datenbanken der NSA und des BND, so Konstantin von Notz, Obmann der Grünen:
    "Da gibt es ein paar berechtigte Zweifel, dass da tatsächlich auch noch ein paar ganz andere Daten reinlaufen, und eben nicht nur aus Satellitenverkehren schon gar nicht nur aus Krisenregionen."
    Krisenregionen? Ein österreichischer Grünen-Abgeordneter im Nationalrat erhebt derzeit schwere Vorwürfe gegen BND und Deutsche Telekom: Sie hätten spätestens ab Februar 2005 Leitungen, die die österreichische Telekom von der Deutschen Telekom für durchlaufende Verkehre gemietet hatte, angezapft - für die NSA, sagt Peter Pilz. Dabei, so der Österreicher, sei eindeutig, dass es sich nicht um Leitungen in Drittländer und Krisenregionen handele:
    Das "T" der Deutschen Telekom
    Der BND schließt Anfang 2004 einen Vertrag mit der Deutschen Telekom zum Kommunikationsabgriff. (JOHN MACDOUGALL / AFP)
    "Das ist vollkommen klar, weil das sind die Hauptleitungen der Telekom Austria AG und wo, wenn nicht über die Hauptleitungen, geht der Großteil des österreichischen Datenverkehrs."
    Er wirft dem BND vor, als Staubsauger für die NSA den wichtigen Datenknotenpunkt Frankfurt für das Ausspähen befreundeter Staaten genutzt zu haben. Strecken in 27 europäischen Ländern seien das Ziel des BND gewesen, sagt Pilz - alles keine Krisenregionen.
    "Ich kenn die Feindbilder des Bundesnachrichtendienstes nicht. Sollte der Bundesnachrichtendienst der Meinung sein, dass sich bei uns in den Alpen wesentliche, bewaffnete Heere der Mudschaheddin verbergen, dann wäre es gut, wenn er uns das mitteilt, dann würden wir sie selbst auch verfolgen."
    Wenn Leitungen nicht nur reinen Auslandsverkehr beinhalten, braucht der BND eine Genehmigung einer speziellen Kommission des Deutschen Bundestages, der G10-Kommission - benannt nach Artikel 10 Grundgesetz, der das Fernmeldegeheimnis schützt.
    Im Oktober 2005 holt der BND doch eine G10-Anordnung ein. Nur: Die Mitglieder der Kommission werden nicht darüber informiert, dass Eikonal vorher bereits betrieben wurde. Und auch nicht darüber, dass es dem BND tatsächlich um Auslandsverkehre geht, wie Hans de With, der von 1999 bis 2014 G10-Kommissionvorsitzender war, im Untersuchungsausschuss feststellt. Und über eine Datenweitergabe an die NSA sei die G10-Kommission schon gar nicht ins Bild gesetzt worden.
    Eikonal mit der NSA endete im Jahr 2008, dazu gab es Glotaic mit der CIA und seit 2012 Monkeyshoulder mit dem britischen GCHQ. Monkeyshoulder, möglicherweise noch problematischer als die NSA-Kooperationen, ist im Ausschuss noch kaum erforscht, auch deshalb weil die Briten dem Ausschuss bislang gar nicht zuarbeiten wollen.
    Jeder ist Ausländer, fast überall
    Mitte des vergangenen Jahrzehnts stand der Bundesnachrichtendienst vor einem neuen, einem technischen Problem. Mit dem Internet hielt ein ganz neues Prinzip der Datenübermittlung Einzug: die sogenannte Paketvermittlung.
    Telefonate, E-Mails, Faxe, sie alle werden heute als digitaler Datenstrom auf einem Weg, der selten streng geografischen Regeln folgt, in Paketen durchs Netz geschickt. Ein Häppchen E-Mail hier, ein bisschen Telefonie dort.
    "Wir haben, glaube ich zeigen können, dass die geltende Verfassungsrechtslage, nicht vom Bundesnachrichtendienst in dieser Form aktuell praktiziert wird, sondern dass hier, wie es ein Zeuge im Untersuchungsausschuss einmal sagte, Daten von Ausländern grundsätzlich ‚zum Abschuss freigegeben' sind."
    Zum Abschuss freigegeben - diese Formulierung hat sich Christian Flisek eingebrannt, dem Obmann der SPD im Untersuchungsausschuss. Bei Kommunikation mit Inlandsbezug greife selbstverständlich der Grundgesetzartikel 10, so Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Aber auch darüber hinaus gelte:
    "Sofern beide Endpunkte der Telekommunikation oder des Telekommunikationsverkehrs im Ausland liegen, sind die den Eingriff in das Grundrecht vornehmenden deutschen Behörden aber grundsätzlich gleichfalls an Artikel 10 gebunden."
    Der BND hingegen meint, dass Artikel 10 nur das Fernmeldegeheimnis deutscher Bürger, Institutionen oder Firmen schütze. Sollten ihre E-Mails, Telefonate, Faxe doch einmal miterfasst werden, dann sollten sie eigentlich durch den "G10-Filter" automatisch aussortiert werden.
    Die Idee, dass Bürger und Interessen des jeweils eigenen Landes zu schützen sind, andere hingegen nicht, ist weltweit verbreitet. Die Kommunikation jedes Menschen ist für die Geheimdienste der anderen Staaten "zum Abschuss freigegeben", überall dort, wo er Ausländer ist. Ein veraltetes Prinzip in Zeiten der digitalen Kommunikation, sagt der frühere Beauftragte für Menschenrechte der Bundesregierung, Markus Löning:
    "Die Praxis, Deutsche sind zu schützen und alle anderen sind rechtlos, muss beendet werden. Die Autorisierung muss in Zukunft so erfolgen, dass gesagt wird: Jeder hat ein Recht auf Schutz seiner Grundrechte, das heißt jeder Eingriff in das Fernmeldegeheimnis muss durch die G10-Kommission genehmigt werden."
    Der FDP-Politiker Löning ist nach dem Auszug seiner Partei aus dem Bundestag zum Think Tank "Stiftung Neue Verantwortung" gegangen, hat dort ein international vergleichendes Forschungsprojekt zur Zukunft der Nachrichtendienstkontrolle begonnen. Deutschland habe sich international in vielen Abkommen dem Fernmeldegeheimnis verpflichtet, betont er:
    "Rechtsbruch ist Rechtsbruch, und wenn wir wollen, dass sich etwas ändert, dann sollten wir als Deutschland an der Stelle mal vorangehen und sagen: Als Europäer arbeiten wir zusammen sehr eng, wir sind befreundet, wir haben gemeinsame Werte, die wir immer wieder nach draußen stellen, jetzt respektieren wir die auch im Nachrichtenbereich mal untereinander."
    Herr und Frau Buchstabendoppel
    Herr R. U., Herr Dr. T, Frau G. L., Herr S. L. und die anderen BND-Mitarbeiter, die in diesen Monaten im Untersuchungs-Ausschuss aussagen, haben etwas gemeinsam: Sie wirken weder furchterregend noch knallhart. Das Bild, das die Bundesnachrichtendienstler abgeben, lässt den BND wie ein Häufchen verzweifelter Beamter wirken, die gar nicht wissen, was die Bundestagsabgeordneten denn von ihnen wollen könnten. Mühsam ringen die Abgeordneten mit den Zeugen um die Wahrheit, verweisen immer wieder auf Akten, die Hinweise auf Probleme mit den Selektoren enthalten, den Suchbegriffen, die die NSA, dem BND mehrfach täglich übermittelt.
    "Wir haben diesen Vorhalt immer wieder gemacht, und es gab immer die Antwort: Ja, wissen wir, alles bei uns tipptopp im Griff, wir prüfen das bis hin bis zu einer manuellen Prüfung am Ende. Das haben alle Zeugen schlüssig gesagt, das war glaubwürdig, und wir haben jetzt festgestellt, dass dort Sachverhalte existieren, die eigentlich ziemlich genau das Gegenteil von dem sind, was wir bisher gehört haben."
    Selektoren, das sind die Suchmerkmale, mit denen Datenströme unter die Lupe genommen werden. Knapp neun Millionen Begriffe waren im August 2013 gleichzeitig aktiv. Die BND-Filiale in Bad Aibling ruft die Ziellisten bei der NSA ab, leitet sie dann nach Pullach zur BND-Zentrale weiter. Dort soll überprüft werden, ob sie gegen deutsche Interessen verstoßen. Seit Beginn der Kooperation fand der deutsche Dienst Zehntausende Suchmerkmale, die für ihn inakzeptabel schienen, und filterte diese heraus. Sie landeten auf einer Sperrliste, die in Bad Aibling gepflegt wurde. Aber, so Christian Flisek:
    "Wir haben festgestellt, dass die NSA über Jahre hinweg dem BND Selektoren geliefert hat, das sind Suchbegriffe, das sind E-Mail-Adressen, Telefonnummern, die dann zum Einsatz kamen, wo die Prüfung durch den BND offensichtlich versagt hat."
    Dr. T. ist ein Mann mittleren Alters. Der promovierte Mathematiker bekam im Sommer 2013 einen Spezialauftrag: Sein Unterabteilungsleiter, abgekürzt als D. B., wollte die Selektorenlisten prüfen lassen. Einen konkreten Verdacht oder eine Weisung von der BND-Spitze oder aus dem Kanzleramt habe es angeblich nicht gegeben, im August 2013, acht Wochen nach den ersten Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden.
    Der Zeuge Dr. T. zittert leicht, knetet die Hände, als er mit Blick auf die Spree im Untersuchungsausschuss aussagt. Er habe seinen Fund an seinen Referatsleiter gemeldet, dann an Unterabteilungsleiter D. B. Tausende Selektoren bemängelte Dr. T. in seiner Stichprobe im August 2013, tausende Suchbegriffe, nach denen der BND für die Amerikaner den Datenverkehr durchsiebte.
    "Die Dunkelziffer zu den nichtrechtmäßigen Selektoren, die durch die NSA übergeben wurden und aktiv liefen, wird weitaus mehr als 40.000 sein", sagt Linken-Obfrau Martina Renner.
    Den brisanten Fund lässt D. B. per Bote an die Station in Bad Aibling liefern, damit sie gesperrt würden. Auch die NSA-Verbindungsoffizierin in Aibling soll von dem Fund in Kenntnis gesetzt worden sein. An seine Vorgesetzten, so D. B., habe er den brisanten Fund des Dr. T. jedoch nicht weitergemeldet. Dabei agiert D. B. in jenem August sogar auf der Hierarchie-Ebene, die bereits selbst mit dem Kanzleramt in Kontakt ist - als Stellvertreter für den erkrankten Abteilungsleiter.
    Doch im Kanzleramt will man erst im März 2015 erstmals von dem Fund gehört haben - als die Opposition im NSA-Untersuchungsausschuss gezielt nachforschen lässt.
    Außenansicht des Bundeskanzleramts in Berlin
    Außenansicht des Bundeskanzleramts in Berlin (imago / Christian Thiel)
    "Es ist für mich schlicht und ergreifend nicht zu erklären, warum ein solcher Sachverhalt, in Zeiten, wo in Deutschland über einen Untersuchungsausschuss diskutiert wurde, nach den Snowden-Veröffentlichungen, wo dann im März 2014, spätestens dann, wenn der Untersuchungsausschuss sich konstituierte, wie man sozusagen überhaupt nichts von dem nach oben meldet und eigentlich versucht, das alles unter den Teppich einer Unterabteilung zu kehren, das erschließt sich mir nicht", sagt Christian Flisek.
    Und auch der Unionspolitiker und Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg will zuerst herausfinden:
    "Ist wirklich nichts gemeldet worden? Ich möchte nicht, dass der einzelne Sachbearbeiter, der Referatsleiter oder wer auch immer als Sündenbock herhalten muss, deswegen ist es wichtig, dass wir genau prüfen: Hat auf der Ebene der Amtsleitung jemand etwas gewusst? Ist das weitergemeldet worden ans Bundeskanzleramt?"
    Immer wieder hatten Zeugen versichert, dass alle Filter funktioniert hätten. Keine Daten deutscher Bürger seien unrechtmäßig an die NSA übermittelt worden. Doch wie glaubwürdig ist diese Auskunft eines Nachrichtendienstes, dem Tausende unzulässige Selektoren durchgerutscht sind? Der BND sei aufgrund der Struktur der Ziellisten gar nicht in der Lage, Deutsche herauszufiltern, sagt Martina Renner, denn es sei:
    "Überhaupt technisch auch für den BND unmöglich zu sagen, wir gucken uns jetzt die Liste an und können dort nahezu 100 Prozent die deutschen Verkehre herausnehmen, also wer das behauptet, das ist einfach Quatsch, das können sie nicht."
    Nachdem nun der Verdacht im Raume steht, dass deutsche und europäische Unternehmen wie Airbus auf diese Weise vom BND für die NSA ausgeforscht wurden, besteht für SPD-Mann Christian Flisek in jedem Fall dringender Handlungsbedarf:
    "Wir müssen davon ausgehen, dass aufgrund des Einsatzes solcher Risikoselektoren Informationen auch an die Amerikaner gegeben worden sind, die in der Folge dann auch deutsche Interessen verletzen. Und das ist ein Zustand, der muss zum einen natürlich sofort abgestellt werden und wir müssen uns natürlich auch einen Überblick über Ausmaß und Umfang dessen verschaffen."
    Die Abgeordneten wollen jetzt die Listen sehen: die Zielliste der NSA und die Sperrliste des Bundesnachrichtendienstes. Sie wollen wissen: Was hat die NSA dem BND übermittelt, wer sollte ausspioniert werden? Das Bundeskanzleramt bittet um Geduld: Erst warte man die Antwort der US-Seite ab, dann folge eine eigene Entscheidung. Nur wann, das lässt Merkels Haus offen.
    Aufsichtsversagen?
    Es ist eine naheliegende politische Strategie der Opposition, die Rolle der Kanzlerin in der Geheimdienstaffäre hervorzuheben. Doch auch in der Sache stellt sich heraus, dass das Kanzleramt beträchtliche Probleme mit dem BND und seiner eigenen Aufsichtsfunktion hat. Am 23. April 2014 überraschte das Kanzleramt mit einer dürren Mitteilung an die Presse:
    "Im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht hat das Bundeskanzleramt technische und organisatorische Defizite beim BND identifiziert. Das Bundeskanzleramt hat unverzüglich Weisung erteilt, diese zu beheben."
    Dass das Kanzleramt seinen eigenen Geheimdienst öffentlich maßregelt, ist überaus ungewöhnlich. Doch Kanzleramtsminister Peter Altmaier und seine Geheimdienstverantwortlichen Klaus-Dieter Fritsche und Günter Heiß gingen noch weiter:
    "Das Bundeskanzleramt prüft außerdem, ob die Antworten auf die zu diesem Sachverhalt gestellten parlamentarischen Fragen weiterhin uneingeschränkt Bestand haben."
    Öffentlich stellte die Aufsichtsbehörde des Bundesnachrichtendienstes die Frage, ob dieser das Parlament angelogen habe. Hatte man denn selbst nicht genau genug hingeschaut?
    Immerhin hatte einer der problematischen Selektoren das Kanzleramt schon stark irritiert: Das Kanzlerinnen-Telefon war abgehört worden, wie der "Spiegel" im Oktober 2013 schrieb.
    Wie viel hätte das Kanzleramt wissen können - oder müssen? Wie viel dem Parlament gesagt werden müssen? Für Konstantin von Notz von den Grünen ist klar, dass der Bundesnachrichtendienst in der Vergangenheit die Aufsicht behindert hat:
    "Man hat nicht die Wahrheit erzählt, sondern ganz Entscheidendes weggelassen, um bestimmte Genehmigungen zu bekommen, man hat in verschiedenen Gremien relevanteste Vorgänge nicht erzählt, Probleme wegretuschiert und juristische Defizite geschönt."
    Wenn morgen BND-Chef Gerhard Schindler als Zeuge aussagt, wissen die Abgeordneten nun immerhin schon so viel: Die Aufsicht über die Geheimdienste hat Lücken. Lücken, die dem BND viel Spielraum ließen, auch problematische, vielleicht sogar rechtswidrige Dinge zu tun. SPD-Obmann Christian Flisek:
    "Wenn man dann sagt, das sind Organisationsmängel, das ist ein nüchterner Begriff - eigentlich haut man sich vor die Stirn und kann's eigentlich nicht begreifen."
    Das Parlament wird als Lehre aus dem Ausschuss voraussichtlich eine Reform der Aufsicht anstrengen. Vielleicht wird es eines Tages einen Geheimdienstbeauftragten geben, vielleicht ein neues Aufsichtsgremium. Für sinnvolle Beschlüsse aber wird die Zeit knapp. Spätestens im September 2017 ist die nächste Bundestagswahl.