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NSA-Untersuchungsausschuss
"Die Bundesregierung dürfte Snowden nicht ausliefern"

Die Bundesregierung lehnt eine Einladung Edward Snowdens zur Befragung vor dem NSA-Untersuchungsausschuss bisher ab - mit dem Argument, dass sie ihn ausliefern müsste. Der Jurist Nikolaos Gazeas hält dies für rechtlich unbegründet. Nach deutschem Recht werde Snowden eine politische Straftat zur Last gelegt - das befreie Deutschland von einer Auslieferung an die USA, sagte Gazeas im DLF.

Nikolaos Gazeas im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.11.2016
    NSA-Whistleblower Edward Snowden bei einer Videokonferenz mit dem Europarat in Straßburg.
    NSA-Whistleblower Edward Snowden bei einer Videokonferenz mit dem Europarat in Straßburg. (AFP - Frederick Florin)
    Der NSA-Untersuchungsausschuss hatte einen Antrag an die Bundesregierung gestellt, um Edward Snowden nach Deutschland zu holen und ihn hier befragen zu können. Über diesen Antrag müsse die Bundesregierung nun entscheiden, so Gazeas. Ablehnen können sie ihn nicht einfach, da es sich um ein Amtshilfeersuchen handele: "Zur Amtshilfe sind alle Behörden in Deutschland verpflichtet und dazu gehört auch die Bundesregierung."
    Damit Snowden nach Berlin kommen könne, müssten zwei Voraussetzungen geschaffen werden, so Gazeas: Er brauche einen Aufenthaltstitel und den Schutz vor Auslieferung. Von Rechts wegen her seien diese Voraussetzungen einfach zu erfüllen. Denn der "Vorwand" der Bundesregierung, sie müsse Snowden ausliefern, sei nicht zutreffend, so der Jurist. Laut den Auslieferungsverträgen zwischen Deutschland und den USA sowie zwischen der EU und den USA entfalle die Pflicht zur Auslieferung, wenn es um eine politische Straftat gehe. Und die Bewertung, ob eine politische Straftat vorliege, erfolge in Deutschland und nicht in den USA, sagte Gazeas.
    "Abwägung müsste zugunsten des Ausschusses ausfallen"
    Dennoch könne sich die Bundesregierung gegen eine Einladung Snowdens aussprechen, meint Gazeas - das erwarte er sogar. Als Begründung werde sie wohl dieselbe wie vor zwei Jahren anführen: nämlich, dass man die transatlantischen Beziehungen nicht gefährden wolle. Eine solche Entscheidung könne die Opposition nur noch vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen - sie sei aber nur schwerlich zu beanstanden, sagte Gazeas. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits in der Selektoren-Entscheidung vom Oktober deutlich gemacht, dass es eine Einschätzung und Bewertung des Verhältnisses der Nachrichtendienste nur eingeschränkt kontrollieren könne.
    Er würde eine solche Entscheidung allerdings nicht befürworten, so Gazeas. Er verstehe zwar die Bedenken der Bundesregierung, aber das Recht der parlamentarischen Kontrolle habe einen hohen Rang. "Die Abwägung der Bundesregierung müsste zugunsten des Untersuchungsausschusses ausfallen, mit dem Ergebnis, Snowden nach Deutschland einzuladen."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Edward Snowden ist auf einmal wieder ganz oben in der politischen Debatte bei uns in Deutschland, der Mann also, der der Welt die Arbeitsweise des US-Geheimdienstes NSA erklärt hat, der offengelegt hat, wie auch deutsche Politiker von den USA überwacht und ausspioniert wurden. Und der deshalb seit drei Jahren im Exil in Moskau sitzt. Oppositionspolitiker haben im zuständigen NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag immer wieder gefordert, Edward Snowden persönlich als Zeugen zu laden, aber sie wurden dabei immer wieder überstimmt. Nun hat in dieser Woche der Bundesgerichtshof entschieden, dass dieser Wunsch nicht einfach abgelehnt werden darf. Die Richter verpflichten den Ausschuss sozusagen, einen entsprechenden Antrag an die Bundesregierung zu stellen.
    - Wir können darüber jetzt sprechen mit dem Kölner Juristen Nikolaos Gazeas. Er ist Experte für internationales Strafrecht und für Nachrichtendienstrecht, und er lehrt diese Fächer an der Universität in Köln. Schönen guten Morgen, Herr Gazeas.
    Nikolaos Gazeas: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Gazeas, muss die Bundesregierung Edward Snowden jetzt einladen?
    Gazeas: Die Bundesregierung muss jetzt jedenfalls über ein Amtshilfeersuchen entscheiden, was aller Voraussicht nach heute von dem Untersuchungsausschuss gestellt werden wird. Und im Rahmen dieses Amtshilfeersuchens wird die Bundesregierung ersucht werden, die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass Edward Snowden nach Deutschland kommen kann. In diesem Zusammenhang muss sie sich natürlich die Frage stellen, möchte sie diese Voraussetzung schaffen, oder lehnt sie dies ab. Eine Ablehnung ist hier allerdings nicht ohne Weiteres möglich, denn zur Amtshilfe verpflichtet sind in Deutschland alle Behörden, und dazu zählt auch die Bundesregierung. So ist es in unserem Grundgesetz verankert.
    Armbrüster: Sie haben da jetzt von Voraussetzungen gesprochen, die die Bundesregierung schaffen müsste. Welche Voraussetzungen wären das?
    Gazeas: Es sind im Kern zwei Voraussetzungen, die hier geschaffen werden müssen, damit Edward Snowden der Weg nach Berlin in den Untersuchungsausschuss geebnet wird. Das sind zum einen die, wenn Sie so wollen, aufenthaltsrechtlichen Bedingungen. Edward Snowden kann als Ausländer nicht einfach so zu uns nach Deutschland kommen, sondern benötigt irgendeine Befugnis, irgendeinen Aufenthaltstitel dafür. Und das Zweite und der hier auch mindestens genauso wichtige Punkt ist, dass Edward Snowden als Bedingung gestellt hat, dass ihm Auslieferungsschutz gewährt wird, dass in irgendeiner Art und Weise ihm in rechtlich wirksamer Weise zugesichert wird, dass er nicht an die USA ausgeliefert wird, wenn er deutschen Boden betritt.
    Armbrüster: Kann man ihm das beides nicht garantieren, einen Aufenthaltstitel und einen Schutz vor Auslieferung? Ist das nicht relativ einfach für die Bundesregierung?
    Gazeas: Es ist von Rechts wegen gesehen recht einfach, dies zu tun. Unterm Strich gesagt ist es letztlich nur eine politische Entscheidung, ob man das tut oder nicht, denn rechtlich ist es so, dass wir bei uns Instrumentarien haben, um in Fällen wie diesem, der freilich besonders ist und so noch nie vorgekommen ist, einer Person den Aufenthalt hier in Deutschland zu erlauben. Und zwar auch in Fällen, in denen wie etwa bei Edward Snowden jemand nicht über ein gültiges Reisedokument oder Ähnliches verfügt. Gleichwohl kann er hier einreisen und sich entsprechend in Deutschland aufhalten. In der Sache selbst wäre das eine Entscheidung, die in der Hand des Bundesministers des Innern liegen würde, der über eine bestimmte Regelung, die bei uns im Aufenthaltsgesetz steht, die Erlaubnis erteilen kann, dass jemand hier nach Deutschland kommt. Da ist der Bundesminister rechtlich gesehen relativ frei, ob er das tut oder nicht.
    "Bundesregierung darf nicht in die USA ausliefern"
    Armbrüster: Jetzt kann ich mir vorstellen, Herr Gazeas, dass diese eine Entscheidung mit dem fehlenden Reisepass, dass das relativ einfach tatsächlich zu klären wäre. Allerdings die Auslieferung an die USA, die haben die USA ja quasi eingefordert bei der Bundesregierung für den Fall, dass Snowden nach Deutschland kommt. Kann die Bundesregierung, könnte die Bundesregierung dann in diesem Fall tatsächlich einfach sagen, nein, das machen wir nicht, wir liefern ihn auf keinen Fall aus, auch wenn die USA unser engster Verbündeter sind?
    Gazeas: Das kann die USA, denn im Falle von Edward Snowden ist die Bundesregierung nicht verpflichtet, an die USA auszuliefern. Mehr noch: Sie dürfte es sogar nicht. Es besteht zwar grundsätzlich eine Auslieferungspflicht. Es bestehen entsprechende Auslieferungsverträge zwischen Deutschland und den USA und auch der EU und den USA. Im Fall Snowden besteht jedoch, Herr Armbrüster, eine Besonderheit, nämlich dass Edward Snowden in den Vereinigten Staaten Straftaten zur Last gelegt werden, die bei uns hier in Deutschland unter die Rubrik der politischen Straftaten fallen. In diesem Fall besteht nach dem deutsch-amerikanischen Auslieferungsvertrag und auch dem EU-amerikanischen Auslieferungsvertrag keine Auslieferungspflicht. Entscheidend ist hier nicht, ob in den USA die Bewertung erfolgt, das ist eine politische Straftat oder nicht, sondern ob das bei uns in Deutschland der Fall ist. Und das ist eindeutig so. Das heißt, der Vorwand, den die Bundesregierung auch 2014 erhoben hat, man müsste Snowden sofort festnehmen und an die USA ausliefern, ist so nicht ganz zutreffend. Und wenn man sich die vorläufige Stellungnahme anschaut, etwas genauer anschaut, die die Bundesregierung damals 2014 für den Untersuchungsausschuss ausgefertigt hat, wird diese Problematik des Auslieferungshindernisses auch erkannt. Sie wird damals nicht abschließend entschieden. Jetzt muss die Bundesregierung in diesem Punkt ebenso Farbe bekennen wie in dem Punkt, ob sie die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen schaffen möchte. Ich erwarte, dass sie zu dem zweiten Punkt, der ausländerrechtlichen Aufenthaltsmöglichkeit, hier den Vorwand vortragen wird, den sie auch damals 2014 vorgetragen hat, nämlich dass man zur Wahrung der transatlantischen Beziehungen zu den USA Snowden schlicht nicht nach Deutschland kommen lassen könne, weil dann die diplomatischen Beziehungen zu den USA gefährdet werden würden.
    "Opposition könnte Bundesverfassungsgericht anrufen"
    Armbrüster: Wäre das ein Argument, das auch vor Gericht bestand hätte, wenn sich der BGH noch einmal damit beschäftigen muss?
    Gazeas: Der BGH selbst würde sich dann damit nicht noch mal beschäftigen. Wenn die Bundesregierung sich auf diese Argumentationslinie einlassen würde, könnte die Opposition dann nur noch mal das Bundesverfassungsgericht anrufen. Es ist so, dass das Bundesverfassungsgericht dann die Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen würde. In der Sache ist der Umfang, in dem das Verfassungsgericht dann überprüfen kann, allerdings recht eingeschränkt. Es ist so, das hat das Bundesverfassungsgericht noch mal ganz deutlich gemacht in einer Entscheidung, die erst recht jung ist von Mitte Oktober des Jahres zur NSA-Selektorenliste. Es hat nämlich gesagt, dass diese Einschätzung und die rechtliche Bewertung des Verhältnisses von ausländischen Nachrichtendiensten und Partnerdiensten zu Deutschland und ob und wie das gefährdet wird, dass das angesichts des Einschätzungs- und Prognosespielraums der Bundesregierung nur einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle standhält. Das heißt unterm Strich: Wenn die Bundesregierung sich hinstellt und sagt, wir haben konkret die USA konsultiert und man hat uns gesagt, dass man das nicht nur nicht möchte, sondern man hat uns "damit gedroht", den Informationshahn zu unseren Nachrichtendiensten zuzudrehen, wenn tatsächlich Snowden nach Deutschland kommt, dann würde diese Entscheidung vermutlich von dem Bundesverfassungsgericht nur schwerlich beanstandet werden. Auf einem ganz anderen Blatt steht, ob diese Entscheidung rechtlich in der Sache korrekt ist. Ich meine nämlich nein. Ich meine, dass wir hier zum einen, anders als es 2014 noch der Fall war, von einer konkreten Gefährdung der rechtlichen Beziehungen ausgehen können. Und zum anderen ist der Fall auch mit Snowden anders gelagert als der der NSA-Selektorenliste.
    Armbrüster: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Gazeas, Sie verstehen die rechtlichen Bedenken oder die Bedenken gegen eine Einladung von Edward Snowden?
    Gazeas: Nein. Dass man grundsätzlich Bedenken prüft, verstehe ich. Im Ergebnis würden die Bedenken in meinen Augen nicht durchgreifen, und das liegt vor allem daran, dass auch das Recht, was hier wahrgenommen werden soll, einen recht hohen Rang hat, nämlich das Untersuchungsrecht des Parlaments. Es geht ja nicht um irgendjemanden, der hier einen Zeugen verlangt. Und die Abwägung, die da zu erfolgen hat, müsste in meinen Augen korrekterweise zugunsten des Untersuchungsausschusses ablaufen mit dem Ergebnis, dass Edward Snowden nach Deutschland zu laden wäre.
    Armbrüster: Und darüber werden wir heute sicher im NSA-Untersuchungsausschuss mehr hören. - Das war der Rechtsexperte Nikolaos Gazeas. Ich danke Ihnen vielmals für diese Einschätzungen zum Fall Edward Snowden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.