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NSA-Untersuchungsausschuss
"Halte die Befragung von Snowden für rechtlich möglich"

Die Bundesregierung will dem NSA-Untersuchungsausschuss wohl nur eingeschränkt Einblick in ihre Akten gewähren. "Für eine Verweigerung der Vorlage von Akten muss es ganz hochrangige verfassungsrechtliche Gründe geben. Die sehe ich derzeit nicht", sagte der SPD-Obmann des Ausschusses, Christian Flisek, im DLF.

Christian Flisek im Gespräch mit Silvia Engels | 05.05.2014
    Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek am Rednerpult im Bundestag
    Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek am Rednerpult im Bundestag (dpa / Maurizio Gambarini)
    Der "Spiegel" hatte zuvor einen "hochrangigen Beamten" zitiert, wonach die Akten über die Verhandlungen zu einem Geheimdienstabkommen mit den USA ein laufendes Verfahren darstellten. Es gehe um einen "Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung". Daher sollten diese Akten unter Verschluss bleiben.
    "Wir werden trotzdem die Dokumente anfordern", sagte Flisek im Interview mit dem Deutschlandfunk. "Sollte die Bundesregierung dann sagen: 'Wir legen diese Unterlagen nicht vor', dann hat sie eine erhebliche Begründungspflicht. Wir werden uns die Gründe dann sehr gut anschauen." Neben dem Staatswohl auf der einen Seite müsse bei der Abwägung auch die massenhafte Grundrechtsverletzung der deutschen Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt werden, sagte Flisek.
    Möglicher Kompromiss: Geheime Akten nur für Obleute
    Während die Linkspartei mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht droht, beschreibt Flisek solche Schritte für verfrüht. "Ich halte nichts davon, jede Woche mit einem Gang nach Karlsruhe zu drohen, wir haben noch nicht eine Akte vorgelegt bekommen." Außerdem schlägt der SPD-Politiker einen Kompromiss vor, falls Unterlagen tatsächlich "geheimhaltungsbedürftig" seien. Dann könnten diese nur den Obleuten zur Verfügung gestellt werden. Das sei schon in früheren Ausschüssen erfolgreich praktiziert worden und habe sich bewährt.
    Zur möglichen Befragung von Edward Snowden meinte Flisek: "Ich persönlich halte eine Befragung von Snowden in Berlin für möglich, für rechtlich möglich. Das habe ich mehrfach deutlich gemacht."

    Silvia Engels: Die Abgeordneten, die in einem Untersuchungsausschuss Licht in die Abhörpraxis der NSA in Deutschland bringen wollen, haben es derzeit nicht leicht. Erst bescheinigte ihnen die Bundesregierung in einem Gutachten, sie sei dagegen, den NSA-Informanten Edward Snowden in Deutschland zu befragen. Dann war diesem Bericht ein Gutachten eines US-Anwalts beigefügt, und der warnte die Abgeordneten davor, sie machten sich mit einer Befragung Snowdens nach US-Recht möglicherweise sogar strafbar. Und schließlich können die Parlamentarier heute im Magazin "Der Spiegel" nachlesen, dass die Bundesregierung sich intern darauf verständigt habe, dem Untersuchungsausschuss nur eingeschränkt Akteneinsicht zu gewähren. – Am Telefon ist Christian Flisek, er ist der Obmann der SPD in diesem Ausschuss. Guten Morgen!
    Christian Flisek: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Über was haben Sie sich in dieser Listung am meisten geärgert?
    Flisek: Na ja, in der Zusammenschau eigentlich über alles. Es ist so, dass der Ausschuss ja eigentlich gerade erst seine Arbeit aufgenommen hat. Wir haben immerhin einen gemeinsamen Einsetzungsbeschluss aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Der bildet unsere Grundlage für unsere Arbeit. Wir haben auch sehr viele Beweisbeschlüsse jetzt schon gemeinsam gefasst und es werden jetzt hoch abstrakte Diskussionen in der Öffentlichkeit geführt, die dazu führen, dass die Arbeit des Ausschusses nicht einfacher wird. Ich selber glaube, dass wir an verschiedenen Punkten doch nicht diese Probleme haben werden, die derzeit hier gerade diskutiert werden. Was die Frage Edward Snowden betrifft: Ich selber halte nach wie vor noch eine Befragung in Berlin für möglich, für rechtlich möglich. Das habe ich mehrfach auch schon deutlich gemacht. Ich glaube auch, dass es für eine Verweigerung der Vorlage von Akten ganz hochrangige verfassungsrechtliche Gründe geben muss. Die sehe ich derzeit nicht.
    Engels: Die sehen Sie nicht?
    Flisek: Die sehe ich derzeit nicht.
    Engels: Dann haken wir da direkt ein. Die Regierung verteidigt sich ja laut einem hochrangigen Beamten, der im "Spiegel" zitiert wird, damit, es gehe um einen Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung und zudem um ein laufendes Verfahren. Deshalb gebe man nicht alle Akten heraus. Müssen Sie das schlucken?
    "Wir werden trotzdem die Dokumente anfordern"
    Flisek: Na ja, diese Äußerung konkret bezieht sich auf die Verhandlungen, so habe ich es zumindest verstanden, zum No-Spy-Abkommen. Wir werden trotzdem die Dokumente anfordern und sollte die Bundesregierung dann sagen, wir legen diese Unterlagen nicht vor, dann hat sie hier eine erhebliche Begründungspflicht und wir werden uns die Gründe dann gut anschauen. Ich appelliere nur an alle Beteiligten, bei der Abwägung eines zu berücksichtigen: Es geht hier nicht nur um die Frage, was ist das Staatswohl und was ist Kernbereich exekutiver Gewalt, sondern es gilt auch zu berücksichtigen, dass wir auf der anderen Seite eine massenhafte Grundrechtsverletzung deutscher Bürgerinnen und Bürger haben, Grundrechtsverletzungen, die das informationelle Selbstbestimmungsrecht betreffen, und wer sich die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts hierzu anschaut, der wird feststellen, dass das Bundesverfassungsgericht insbesondere gesagt hat, dass diese Art von Grundrechtsverletzungen eine erhebliche Eingriffsintensität haben, dass sie eine Streubreite haben, wie sie das Gericht selbst noch nie gekannt hat. Dieser Umstand, der wird in jede Abwägung mit einzubeziehen sein, und dazu rate ich allen.
    Engels: Verstehe ich Sie also recht, dass Sie diese Grundrechtsschutz-Vorgaben, die es da nun gibt, höher bewerten als diese Idee der Bundesregierung, Akten nicht komplett herauszugeben?
    Flisek: Ich kann jetzt den Einzelfall nicht entscheiden. Wir werden uns das in jedem Einzelfall genauestens anschauen müssen, wenn Akten nicht vorgelegt worden sind, warum dies nicht geschah. Irgendwelche pauschalen Begründungen werden dort nicht weiterführen, sondern man wird in jedem Einzelfall genauestens darlegen und begründen müssen, warum dies dann nicht geschehen ist, und natürlich ist dies dann auch überprüfbar und auf der anderen Seite in der Abwägung stehen dann genau diese massiven Grundrechtsverletzungen, die ich Ihnen gerade genannt habe. Das ist ein Vorgang, ein Abwägungsvorgang, der ist zu treffen, und er wird auch auf Abwägungsfehler im Zweifel dann überprüft werden.
    Engels: Und wenn Sie die Abwägung anders entscheiden als Vertreter der Bundesregierung, machen Sie dann bei der Klage der Linken mit? Die will ja auf vollständige Herausgabe möglicherweise klagen.
    Nicht mit Klagen drohen
    Flisek: Ich halte momentan nichts davon, bevor noch das erste Aktenstück überhaupt beim Untersuchungsausschuss eingegangen ist, hier mit Klagen zu drohen. Ich werde mir im Einzelfall mit meiner Fraktion die Begründung genau anschauen und ich habe in meiner Aufgabe den Auftrag, dafür zu sorgen, dass sämtliche Unterlagen, die wir anfordern und die wir für unsere Aufklärungsarbeit brauchen, uns auch vorgelegt werden. Ich möchte auch darauf hinweisen: Es geht ja hier nicht um, ich sage jetzt mal, das Hop oder Top Prinzip. Es geht um ein sehr abgestuftes Verfahren der Vorlage, das möglich ist. Wenn es wirklich um geheimhaltungsbedürftige Unterlagen im Einzelfall geht, dann ist es durchaus auch möglich, zum Beispiel, dass nicht insgesamt dem Ausschuss die Unterlagen zur Verfügung gestellt werden, sondern dass man das sogenannte Obleute-Verfahren wählt, dass nur den Obleuten diese Unterlagen mit den entsprechenden Geheimhaltungshinweisen zur Verfügung gestellt werden. Das sind alles Möglichkeiten, die bestehen. Die sind in vergangenen Jahren bei vergangenen Untersuchungsausschüssen auch schon erfolgreich praktiziert worden und ich appelliere sehr dafür, dass wir auch auf dieses bewährte Verfahren hier wieder zurückgreifen.
    Engels: Das heißt, dann würden Sie das mittragen, wenn gegebenenfalls die komplette Akteneinsicht nur für die Obleute gilt?
    Flisek: Das ist eine Möglichkeit. Ich meine, wir können nicht sämtliche Geheimhaltungsinteressen per se vom Tisch wischen. Das war auch in der Vergangenheit nie so der Fall gewesen. Ich denke, dass diese Interessen nur im Einzelfall überprüft werden müssen. Sie müssen von demjenigen, der sich darauf beruft, begründet werden und wir schauen uns das dann an. Und wenn es dann wirklich so sein sollte, dass hier Unterlagen in einen Kernbereich fallen und auch Geheimhaltungsinteressen betroffen sind, dann bestehen abgestufte Möglichkeiten, das ganze dem Ausschuss zur Kenntnis zu geben, und auf diese werden wir dann entsprechend hinweisen. Nur noch mal: Ich halte nichts davon, jetzt bereits immer wieder jede Woche mit dem Gang nach Karlsruhe zu drohen. Wir haben noch keine einzige Akte vorgelegt bekommen und das möchte ich auch erst mal abwarten.
    Engels: Oppositionspolitiker nennen ja das Verhalten der Bundesregierung in den letzten Tagen insgesamt einen Einschüchterungsversuch. Arbeitet die Regierung für oder gegen Ihren Ausschuss?
    Arbeit wird andauern
    Flisek: Ich hoffe sehr, dass sie mit dem Ausschuss kooperieren wird. Der Ausschuss ist ja jetzt konstituiert am Anfang einer Legislaturperiode. Das heißt, die Arbeit wird aller Voraussicht nach während der gesamten Legislaturperiode andauern. Also wir werden länger daran arbeiten und da setze ich doch sehr stark auf ein Kooperationsverhältnis auch mit der Bundesregierung.
    Engels: Aber sicher sind Sie nicht?
    Flisek: Wissen Sie, ich muss in jedem Einzelfall sehen, was dann kommt. Ich kann Ihnen nur sagen, weil Sie ja den Begriff Einschüchterung erwähnt haben: Ich selber lasse mich durch solche Dinge in meiner Arbeit persönlich nicht einschüchtern. Wir haben ja jetzt zum Beispiel dieses Gutachten einer amerikanischen Rechtsanwaltskanzlei vorgelegt bekommen, wo gesprochen wird von einer möglichen Strafbarkeit deutscher Abgeordneter nach US-amerikanischem Recht, damit einhergehend vielleicht sogar der Umstand, dass unsere Immunität nicht anerkannt wird, wenn wir demnächst uns in den USA aufhalten. Für mich ist das nicht sonderlich beeindruckend. Ich nehme so eine Meinung gerne zur Kenntnis, aber es ist eine Meinung und sie hindert mich nicht in meiner weiteren Tätigkeit. Sie hindert mich im Übrigen auch nicht, in die USA zu reisen.
    Engels: Der Obmann der SPD im Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre, Christian Flisek. Vielen Dank für das Gespräch.
    Flisek: Herzlichen Dank für das Gespräch. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Christian Flisek wurde 1974 in Bochum geboren. Nach dem Abitur studierte er zunächst Betriebswirtschaftslehre, später Jura an der Universität in Passau. Seit 1990 ist er Mitglied der SPD. 2013 zog er für die Partei in den Bundestag ein. Er vertritt die Sozialdemokraten als Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss.