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NSA-Untersuchungsausschuss
"Ich erwarte Kooperation"

Der Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, erwartet von US-amerikanischen und britischen Nachrichtendiensten Kooperation und ein Ende der Abschottungspolitik. Die Arbeit des Ausschusses sei aber vor allem als wichtiges Signal zu verstehen, sagte er im Deutschlandfunk.

Christian Flisek im Gespräch mit Jasper Barenberg | 03.04.2014
    Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek, SPD, am Rednerpult im Bundestag
    Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek, SPD, am Rednerpult im Bundestag (dpa / Maurizio Gambarini)
    Jasper Barenberg: Seit einem Dreivierteljahr geht das inzwischen so: Aus dem scheinbar unerschöpflichen Material von Edward Snowden gelangen portionsweise neue Einzelheiten über die Aktivitäten der NSA in die Welt. Was folgt ist dann jeweils eine weitere Welle der öffentlichen Erregung und immer wieder auch Beschwichtigungsversuche der politisch Verantwortlichen. Ab heute werden acht Bundestagsabgeordnete die ganze Dimension des Skandals in den Blick nehmen. Im Parlament nimmt ein Untersuchungsausschuss zum Thema seine Arbeit auf. Mit welchen Fragen, mit welchem Ziel?
    Am Telefon ist einer der acht, die sich darüber Gedanken machen sollen und dem allen nachgehen sollen: Christian Flisek, der Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss. Schönen guten Tag, Herr Flisek.
    Christian Flisek: Guten Tag, Herr Barenberg.
    "Ein deutliches Signal an die Bürger"
    Barenberg: Haben wir es mit einem eher seltenen Fall von einem Untersuchungsausschuss zu tun, von dem man schon jetzt sagen kann, dass in wesentlichen Punkten am Ende nichts herauskommen wird?
    Flisek: Das denke ich nicht. Ich denke, dass der Untersuchungsausschuss ein deutliches Signal ist an die Bürgerinnen und Bürger, ein Signal dahin gehend, dass uns das Grundrecht auf Privatheit, auf informationelle Selbstbestimmung in Deutschland und Europa noch etwas wert ist. Und wir werden alles tun, um unsere Ermittlungsmöglichkeiten entsprechend dem Auftrag auch wahrzunehmen. Es geht darum, die Abhöraktivitäten US-amerikanischer und britischer Nachrichtendienste zu ermitteln, Art und Umfang, was ist dort passiert. Es stehen massive fundamentale Grundrechtsverletzungen deutscher Bürger im Raum.
    Barenberg: Wenn ich da gerade einhaken darf, Herr Flisek, weil um diesen Komplex soll es ja wesentlich auch gehen? In welchem Umfang, in welcher Weise haben britische, haben amerikanische Geheimdienste Daten erhoben, erfasst und ausgewertet? Aber der Eindruck bisher ist doch, dass es da keine Chance gibt auf irgendeine Art von Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten.
    Flisek: Wir stehen ja jetzt am Anfang unserer Arbeit. Das bedeutet zunächst einmal: Ich setze auf Kooperation. Ich setze auch darauf, dass sich in Großbritannien und den USA, vielleicht auch durch den Beitrag unserer Arbeit, eine Öffentlichkeit entwickelt, die dieses Thema und dieses Problem sehr ernst nimmt, und dass auch der Druck auf dortige Regierungsstellen steigen wird und dass man wegkommt von dieser Abschottungsmentalität und sich stückweise öffnet. Die letzten Äußerungen auch des US-amerikanischen Präsidenten Obama deute ich in diese Richtung.
    Es gibt aber noch weitere Erkenntnismöglichkeiten. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Deutsche Nutzer nutzen Facebook. Sie vertrauen darauf, dass die gesamten Daten, die sie dort eingeben im Rahmen ihrer Nutzung, dass die allenfalls bei Facebook bleiben, vielleicht für kommerzielle Zwecke verwendet werden. Aber sie vertrauen darauf, dass sie nicht an Geheimdienste weitergegeben werden. Und ich denke, wenn wir mit ein bisschen Kreativität uns Gedanken über potenzielle Gesprächspartner im Ausschuss machen, dann können wir auch Ansprechpartner und Verantwortliche solcher Firmen anfragen, und ich gehe davon aus, dass die ein Eigeninteresse haben aufgrund ihrer digitalen Geschäftsmodelle, dass sie die Vertrauensbasis der Nutzer erhalten, und da verspreche ich mir schon erhebliche Erkenntnismöglichkeiten.
    "Ich setze am Anfang erst einmal auf Kooperation"
    Barenberg: Ich verstehe das richtig: Sie erwarten nicht, dass Geheimdienstmitarbeiter aus den USA oder aus Großbritannien Ihnen Erkenntnisse vermitteln? Aber Sie kalkulieren, dass es möglicherweise die Unternehmen sein werden, die preisgeben, was auch sie selber beschwert?
    Flisek: Ich setze am Anfang der Arbeit erst mal noch auf Kooperation. Nur Sie haben natürlich recht, dass die bisherigen Anzeichen darauf hindeuten, dass wir da jetzt keine Zeugen aus dem Bereich der amerikanischen und britischen Geheimdienste bekommen werden, dass wir auch keine Akten zur Verfügung gestellt bekommen. Das ist richtig. Aber noch mal: Ich setze am Anfang erst einmal auf Kooperation, und es sind ja bisher auch von deutscher Seite noch keine Akten angefordert worden. Es sind Fragen gestellt worden, die unbeantwortet geblieben sind, und da werden wir nachfassen und wir werden versuchen, dass wir dort auch zu Potte kommen.
    Snowden "ist jemand, der natürlich auch als Zeuge in Betracht kommt"
    Barenberg: Akten anfordern, das geht im Fall von Edward Snowden nicht. Das Material liegt nicht vor. Wie entscheidend wäre das, diese Unterlagen zu haben, für den Untersuchungsausschuss und seine Arbeit?
    Flisek: Nun, Edward Snowden ist die Schlüsselfigur in dieser ganzen Affäre. Er hat mit seinen Veröffentlichungen das ganze ins Rollen gebracht. Und natürlich hat der Ausschuss ein großes Interesse daran, die Unterlagen, die er hat, auch zu sichten und auszuwerten. Wie wir daran kommen, werden wir sehen müssen. Er selber ist jemand, der natürlich auch als Zeuge in Betracht kommt. Das habe ich immer wieder auch deutlich gemacht. Es wird darum gehen, wie wir ihn dann befragen. Das muss nicht zwingend eine Ladung nach Berlin sein. Das Europäische Parlament hat eine schriftliche Befragung vorgenommen. Wir können eine Videokonferenz eventuell auch erwägen. Das sind alles Fragen, die wir in den nächsten Wochen klären werden.
    Informant Edward Snowden
    Snowden komme als Zeuge in Betracht, sagte Flisek. (dpa / Wikileaks Screenshot)
    Barenberg: Was wäre denn Ihre Präferenz?
    Flisek: Nun ja, ich schließe nicht aus, dass es eventuell notwendig wäre, Edward Snowden mehrfach zu befragen, weil Sie haben es ja selber auch in Ihrem Beitrag angesprochen, dass wir teilweise immer wieder neue Aspekte in dieser ganzen Abhöraffäre nahezu wöchentlich, monatlich mitgeteilt bekommen, und der Ausschuss muss natürlich auch in der Lage sein, auf solche Entwicklungen flexibel zu reagieren. Deswegen sage ich, vielleicht auch in einer ersten Befragung kann ich mir eine Videokonferenz sehr gut vorstellen. Das setzt allerdings auch voraus, dass Edward Snowden sich selber so etwas vorstellen kann. Er hat ja dort auch als Zeuge alle Zeugenrechte, die ihm nach der Strafprozessordnung in Deutschland zur Verfügung stehen.
    Barenberg: Wäre es eine gute Idee, würden Sie es für notwendig halten und für sinnvoll, dass die Bundesregierung Edward Snowden für eine solche Aussage möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in Berlin freies Geleit zusichert, damit eine solche Aussage in Berlin möglich sein kann?
    Flisek: Das ist ja die Voraussetzung. Wenn wir über eine Ladung von Edward Snowden nach Deutschland reden, dann ist die unabdingbare Voraussetzung, dass es für seine Person, für sein Leib und Leben nicht zu einer Gefährdung kommt. Alles andere wäre überhaupt nicht vorstellbar. Und deswegen, Sie sprechen es an: Wenn es wirklich zu einer Ladung kommen sollte, dann sind sehr komplexe Fragestellungen im Raum. Das kann man nicht gleich am Anfang hier beantworten und da wird auch dann die Bundesregierung, sollte es zu diesem Ergebnis während der Arbeit des Ausschusses kommen, eine Lösung entwickeln müssen.
    In den nächsten Wochen Beweisanträge stellen
    Barenberg: Aber Sie fordern jetzt heute hier nicht im Deutschlandfunk, dass die Bundesregierung jetzt schon mal ein solches freies Geleit zusichert?
    Flisek: Wir stehen heute am Anfang unserer Arbeit. Wir werden heute den Ausschuss konstituieren, Verfahrensbeschlüsse fassen, und wir werden dann in den nächsten Wochen wirklich die ersten Beweisanträge stellen. Das bezieht sich auf Akten, die wir anfordern werden, auch von deutschen Stellen, und wir werden uns dann auch über Zeugen unterhalten und dann auch die Problematik klären müssen, die mit dem einen oder anderen Zeugen zusammenhängen.
    Barenberg: Die Akten, die Sie von deutschen Stellen anfordern - so stelle ich es mir jedenfalls vor -, sollen ja auch dem zweiten Fragekomplex dienen, der Frage also, was haben Regierung und Geheimdienste in Deutschland von den Aktivitäten der USA und Großbritanniens gewusst. Konstantin von Notz, der Obmann der Grünen in dem Ausschuss, hat heute Morgen hier im Deutschlandfunk ja von diesem Ringtausch gesprochen, der da möglicherweise im Hintergrund eine Rolle spielt. Hören wir uns das gerade noch mal kurz an:
    O-Ton Konstantin von Notz: "Tatsächlich steht der Verdacht im Raum, dass es sich hier um eine Form des internationalen Ringtausches von Informationen handelt. Das ist ein Kernproblem für unsere Demokratie. Wenn so Geheimdienste international kooperieren, dann ist unsere Verfassung nicht das Papier wert, auf dem sie steht."
    Barenberg: Ein Kernproblem der Demokratie, sagt Konstantin von Notz. Schließen Sie sich an?
    Flisek: Es ist so, dass als deutscher Untersuchungsausschuss, auch wenn Sie sich den Einsetzungsantrag anschauen, es eine zentrale Aufgabe sein wird, dass wir rückhaltlos aufklären, ob unsere Nachrichtendienste oder Stellen der Bundesregierung an diesen Ausspähaktionen beteiligt waren, ob man sie unterstützt hat, Kenntnis davon hatte, und insbesondere, ob man eventuell von Erkenntnissen profitiert hat in rechtswidriger Weise, die man nach deutschem Rechtsverständnis nicht hätte erheben dürfen.
    "Sicherheitsmaßnahmen unterliegen den Grenzen der deutschen Grundrechte"
    Barenberg: Zum Schluss noch eine Frage zu dem dritten Fragekomplex, um den es auch gehen wird, nämlich wie können in Zukunft Daten besser geschützt werden. Ich gehe mal davon aus, dass Sie es für weiterhin notwendig halten, Geheimdienste zu unterhalten, dass auch deutsche Geheimdienste mit den Geheimdiensten verbündeter Staaten zusammenarbeiten. Wie kann man da überhaupt eine Grenze ziehen, wenn wir diesen Verdacht noch mit ins Bild nehmen, der gerade von Konstantin von Notz noch mal bekräftigt wurde, dass da Dinge ausgetauscht werden, sodass möglicherweise Regeln nationaler Gesetze auch keine Rolle mehr spielen?
    Flisek: Es ist so, dass wir natürlich sagen, dass wir Nachrichtendienste auch in Deutschland benötigen aufgrund unserer eigenen Sicherheitsinteressen. Es muss dabei nur eines klar sein: Alle staatlichen Sicherheitsmaßnahmen unterliegen den Grenzen der deutschen und auch der europäischen Grundrechte. Und der Schutz der persönlichen Daten darf hierbei nicht gegen Sicherheitsinteressen, nach meiner Meinung, ausgespielt werden. Man kann das auch so zusammenfassen: Nicht alles, was technisch möglich ist, darf auch unter dem Aspekt von Sicherheitsinteressen tatsächlich umgesetzt werden. Ich habe ja zu Beginn betont: Uns muss das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das Grundrecht auf Privatheit auch unter globalen digitalen Kommunikationsbedingungen noch was wert sein, und dafür kämpfen wir in diesem Untersuchungsausschuss.
    Barenberg: Sagt Christian Flisek, der Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss. Danke Ihnen.
    Flisek: Vielen Dank! - Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.