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NSU-Prozess
Bundesanwaltschaft sieht Vorwürfe gegen Wohlleben bestätigt

Im NSU-Prozess sieht die Bundesanwaltschaft den Vorwurf der Beihilfe zum Mord in neun Fällen gegen die beiden Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. "in vollem Umfang" bestätigt. Sie sollen den Rechtsterroristen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" eine Mordwaffe besorgt haben.

31.07.2017
    Der Angeklagte im NSU-Prozess, Ralf Wohlleben, vor dem OLG am 14.7.2015.
    Der Angeklagte im NSU-Prozess, Ralf Wohlleben, vor dem OLG am 14.7.2015. (picture alliance / dpa / Andreas Gebert)
    Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft steht fest, dass Wohlleben und S. einst eine Waffe mit Schalldämpfer für die untergetauchten mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe besorgt haben. Mit genau dieser Waffe soll die Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund", bestehend aus Beate Zschäbe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, zwischen 2000 und 2006 neun Menschen türkischer und griechischer Herkunft erschossen haben.
    Morde als "naheliegende Möglichkeit" erkannt
    Das sagte Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten am vierten Tag des Anklage-Plädoyers vor dem Münchner Oberlandesgericht. Wohlleben und S. hätten die "naheliegende Möglichkeit" erkannt, dass die Pistole benutzt werden würde, um damit Menschen nichtdeutscher Herkunft zu erschießen, betonte Weingarten. Und dennoch hätten die beiden Angeklagten die Waffe damals beschafft, weil sie sich dem Auftrag der drei Untergetauchten "unbedingt verpflichtet" fühlten. In der Anklage wird S. und Wohlleben Beihilfe zum Mord in neun Fällen vorgeworfen.
    Eine Landkarte der Bundesrepublik Deutschland mit Straftaten der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
    Wohlleben hatte während des Prozesses zwar eingeräumt, dass er von seinem damaligen Freund Böhnhardt gebeten worden sei, eine Waffe zu besorgen. Das habe er aber nicht getan. "Ich wollte keine Waffe besorgen", sagte Wohlleben. Stattdessen schob er Carsten S., die Verantwortung dafür zu. Der hatte schon zu Beginn des Prozesses ein Geständnis abgelegt und zugegeben, eine Waffe für den NSU besorgt zu haben.
    Namensnennung der Angeklagten

    In der Berichterstattung über den NSU-Prozess werden nicht von allen Angeklagten die vollen Namen genannt. Bei Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben, die sich als Einzige in Untersuchungshaft befinden, überwiegt in Abwägung zum Persönlichkeitsrecht das öffentliche Interesse. Wohlleben war öffentlich auch als NPD-Funktionär aufgetreten.
    Urteil für Herbst erwartet
    Mehr als vier Jahre nach Prozessbeginn hatte die Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess mit ihrem Plädoyer begonnen. Inzwischen steht fest, dass die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer erst nach der Sommerpause des Gerichts beenden wird. Er werde auch den Dienstag noch für Wohlleben und S. benötigen und erst nach der Gerichtspause zu den Mitangeklagten André E. und Holger G. kommen, sagte Weingarten. Anders als geplant will Weingartens Kollegin Anette Greger dann über die Banküberfälle des NSU sprechen. Erst am Ende kommt Bundesanwalt Herbert Diemer zu den Strafmaß-Forderungen. Das Urteil gegen Zschäpe und insgesamt vier Mitangeklagte wird im Herbst erwartet.
    Linke und Opfer sehen Arbeit mit Prozess nicht beendet
    Die Obfrau der Linken im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, Petra Pau, hatte im Deutschlandfunk zuvor weitere Ermittlungen der Bundesanwaltschaft auch nach Prozessende gefordert. "Hier muss weitergemacht werden, sowohl durch den Generalbundesanwalt, aber auch in den einzelnen Bundesländern", sagte Pau und kritisierte den Fortbestand von Neonazistrukturen in Deutschland. Unzureichend aufgearbeitet worden sei "auch die Verantwortung staatlicher Stellen".
    Das sieht auch auch Opferanwalt Thomas Bliwier so. "Was keine Genugtuung ist und was keine Erleichterung ist, ist, dass die Bundesanwaltschaft in ihrem Schlussvortrag den Staat, den Verfassungsschutz von jeder Mitverantwortung freisprechen möchte", sagte Bliewier im Deutschlandfunk.
    (nch/jasi)