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NSU-Prozess
Gutachter: Zschäpe neigt zu Verharmlosungen

Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe neigt dazu, Dinge zu verharmlosen und Verantwortung abzuschieben - das ist ein Ergebnis des Gutachtens von Henning Saß. Nach wochenlangem Streit mit der Verteidigung hat er mit der Vorstellung seines psychiatrischen Gutachtens begonnen.

17.01.2017
    Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe im OLG München.
    Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe im OLG München. (AFP / Pool / Christof Stache)
    Saß konnte nach eigenen Angaben keine wesentlichen Gesundheitsstörungen bei Zschäpe feststellen. Sie habe keine schwerwiegenden psychischen Erkrankungen wie eine Schizophrenie oder Depressionen. Er erklärte vor dem Oberlandesgericht München aber, bei der 42-Jährigen gebe es "Hinweise für egozentrische, wenig empathische und externalisierende Züge". Ausgeprägt seien auch ihre Fähigkeiten für ein Leben im Untergrund.
    Zschäpe hatte mit ihren beiden mutmaßlichen Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt fast 14 Jahre versteckt gelebt. Saß sagte, sie habe "erfolgreich Grundsätze eingehalten der Heimlichkeit, des Verbergens, des Täuschens". Sie habe sich als liebe, gute Nachbarin präsentiert, "die von ihrer Gesinnung nichts preisgegeben hat".
    Mundlos und Böhnhardt "im Griff gehabt"
    Außerdem konstatiert der Psychiater, dass Zschäpe über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügt und Mundlos sowie Böhnhardt "im Griff gehabt" habe. Er zitierte dabei Aussagen von Zeugen und bilanzierte, Derartiges spreche für Stärke und Selbstbewusstsein nach außen und gegenüber männlichen Partnern.
    Der Psychiater und Gutachter Henning Saß sitzt im Verhandlungssaal im Oberlandesgericht in München.
    Der Psychiater und Gutachter Henning Saß sitzt im Verhandlungssaal im Oberlandesgericht in München. (dpa-Bildfunk / Andreas Gebert)
    Der Deutschlandfunk-Korrespondent Michael Watzke erklärte, es sehe nach dem Gutachten nicht gut für Zschäpe aus. Wenn die Richter sich auf das die Einschätzungen stützten, könnte bei ihr eine besondere Schwere der Schuld festgestellt werden.
    Saß war am Dienstag nach wochenlangen Querelen um sein Gutachten aufgerufen worden. Bis zuletzt hatten Zschäpes Verteidiger Bedenken geltend gemacht und Anträge gestellt. Die entscheidenden Fragen nach der Einschätzung zur Schuldfähigkeit werden für Mittwoch erwartet.
    Gutachter hat nicht mit Zschäpe gesprochen
    Der Gutachter stützt sich bei seinen Einschätzungen im Wesentlichen auf den Prozess. Zschäpe hatte Gespräche mit dem Gerichtspsychiater abgelehnt. Saß räumte ein, dass direkte Kommunikation für das Gutachten besser gewesen wären. Durch das lange Verfahren liege aber dennoch sehr viel Informationsmaterial vor. Vorwürfe von Zschäpes Verteidigung, es handle sich nur um eine Ferndiagnose, wies Saß als "tendenziös und irreführend" zurück.
    Im NSU-Prozess ist Zschäpe die Hauptangeklagte. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr Mittäterschaft an zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen vor. Fast alle dieser Taten sollen rassistisch motiviert gewesen sein. Das Gutachten gilt als Zeichen für ein bevorstehendes Ende der Beweisaufnahme in dem seit bald vier Jahren dauernden Prozess.
    (hba/sima)