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NSU-Prozess
Wie wurden die Opfer ausgewählt, Frau Zschäpe?

Kein guter Tag für die Hauptangeklagte Beate Zschäpe im NSU-Prozess in München: Erst legt die Aussage einer BKA-Beamtin nah, dass Zschäpe durchaus Mitwisserin der zehn Morde gewesen sein könnte. Dann konfrontieren die Nebenkläger die Angeklagte mit hunderten Fragen, die sie aber nicht oder nur zum Teil beantworten will.

Von Thies Marsen | 06.07.2016
    Großaufnahme von Beate Zschäpe
    Die Angeklagte Beate Zschäpe am 5.7. bei der Verhandlung in München. Die Nebenkläger haben viele Fragen an sie. (imago / Sebastian Widmann)
    Am 9. Juni 2004 zündete der NSU in der Kölner Keupstraße eine verheerende Nagelbombe. Noch am selben Tag berichtete der WDR in mehreren Fernsehsendungen über das Attentat - und Mitschnitte dieser Sendungen finden sich auch in dem berüchtigten Bekennervideo des NSU. Nur: Die Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt können diese Aufzeichnungen nur schwer gefertigt haben, denn sie befanden sich noch in Köln oder auf der Heimfahrt nach Zwickau. Der Verdacht liegt also nahe, dass entweder Unterstützer in Nordrhein-Westfalen die Sendungen aufnahmen - oder aber Beate Zschäpe.
    Fragt sich: Konnte Sie das im fernen Zwickau? Die Antwort einer BKA-Beamtin, die die Angelegenheit überprüfte, lautet: Ja, Sie konnte. Denn Böhnhard, Mundlos und Zschäpe hatten in ihrer damaligen Wohnung in Zwickau Kabelanschuss, und höchstwahrscheinlich wurde da das Kölner Regionalmagazin des WDR eingespeist. Also keine Entlastung für Zschäpe.
    Auch sonst verlief der Tag höchst unerfreulich für die Hauptangeklagte, denn zahlreiche Nebenkläger trugen Fragen vor, die sie gerne von Zschäpe beantwortet hätten - allen voran die Frage, die die Angehören der NSU-Opfer am meisten beschäftigt: "Wissen Sie, warum die Opfer ausgesucht wurden, Frau Zschäpe?"
    Was wusste Beate Zschäpe?
    Auch die anderen Fragen hatten es in sich - und verdeutlichen, wie viel in dieser Mammutaffäre trotz drei Jahren Prozess, unzähligen Untersuchungsausschüssen und Sonderermittlern bis heute im Dunkeln liegt. Immer wieder drehte es sich da um mögliche Unterstützer des NSU und die für diesen Prozess natürlich besonders relevante Frage: Was wusste Beate Zschäpe?
    Über 300 Fragen waren es am Ende. Darin ging es zwar um viele kleine Details, doch eigentlich ums große Ganze, sagt Sebastian Scharmer, der die Tochter des Dortmunder NSU-Opfers Mehmet Kubasik vertritt: "Wir glauben nach wie nicht daran, dass die Taten von nur drei Personen und wenigen Helfern verübt wurden. Wir wollen wissen von Zschäpe: Wer war noch dabei? Wer wusste davon? Wer hat Geld gegeben? Wie wurden die Opfer ausgewählt? Warum?"
    Als Beate Zschäpe vor einem halben Jahr überraschend ihr langes Schweigen gebrochen und sich zu den Tatvorwürfen zumindest schriftlich geäußert hatte, hatte sie zwar Nachfragen von Seiten des Senats und der Bundesanwaltschaft zugelassen, nicht jedoch von Seiten der Opfer des NSU. Wobei Zschäpes Einlassungen ohnehin wenig glaubhaft erscheinen, sagt Nebenklage-Anwältin Antonia von der Behrens: "Sie weiß viel mehr als sie sagt. Ihre Einlassung ist lebensfremd und konstruiert. Unsere Fragen zielen darauf, rauszufinden, was sie noch an Wissen hat."
    Die schiere Anzahl der Fragen der Nebenklage ist aber zugleich auch eine deutliche Kritik an der Bundesanwaltschaft; die habe sich mit Zschäpes bisherigen Aussage begnügt anstatt nachzubohren, so von der Behrens: "Die Bundesanwaltschaft hatte, glaube ich, nur drei Nachfragen an Zschäpe. Das zeigt, wie ihre Haltung ist."
    Die Nebenklage hatte dagegen heute weit über 300 Fragen an Beate Zschäpe. Ihr neuer Verteidiger Herrmann Borchert allerdings stellte zu Beginn klar: Seine Mandantin werde nicht antworten. Ein riskantes Manöver, denn es fragt sich, für wie glaubwürdig das Oberlandesgericht Zschäpes bisherige Einlassung hält, wenn sie bei ihrer Aussagebereitschaft quasi auf halber Strecke stehen bleibt. Außerdem könnte der Senat sich auch einige Nebenklage-Fragen zu eigen machen und dann von sich aus an Zschäpe richten - und was macht Zschäpe dann?
    Angeklagte dürfen lügen – Behörden nicht
    Ihr neuer Verteidiger ruderte am Ende des heutigen Verhandlungstages denn auch zurück - und versuchte es mit einer anderen Taktik: Auf-Zeit-Spielen. Man werde überlegen, ob man einige Fragen beantworte, gebe aber zu bedenken, dass das angesichts der Fülle Monate dauern werde, so Zschäpe-Anwalt Borchert.
    Nun fragt sich, wie das Oberlandesgericht mit dieser Aussicht umgehen wird. Zuletzt schien es so, als könne der Prozess nach mehr als drei Jahren bald zu ende gehen. Doch ein baldiges Ende ist nicht unbedingt im Sinne der Nebenklage. "Es gab das Versprechen, bis hinauf zum Bundespräsidenten, dass rückhaltlos aufgeklärt wird. Doch viele Akten von BKA und Verfassungsschutz bekommen wir nicht. Es wird immer noch viel gemauert", so Sebastian Scharmer. "Angeklagte dürfen schweigen und lügen. Die Behörden dürfen das nicht - und tun es meines Erachtens trotzdem."