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NSU-Prozess wird fortgesetzt
Schlammschlacht auf vier Seiten

Es könnte die Wende im Prozess um die Neonazi-Terrorgruppe NSU sein: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe schwieg über 200 Verhandlungstage lang, jetzt "überlegt" sie nach eigenen Angaben auszusagen. Zunächst aber führt sie die öffentliche Schlammschlacht mit ihrer Pflichtverteidigerin fort.

Von Tim Aßmann | 22.06.2015
    Die Angeklagte Beate Zschäpe betritt den Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München.
    Die Angeklagte Beate Zschäpe im Oberlandesgericht in München (Archivbild) (picture alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Wieder vier Seiten, wieder handschriftlich. Beate Zschäpe hat in der Schlammschlacht mit ihren Anwälten nachgelegt und in einem weiteren Brief an das Gericht begründet, warum sie möchte dass ihre Pflichtverteidigerin Anja Sturm vom Mandat entbunden wird. In dem Schreiben, das dem Südwestrundfunk vorliegt, weitet Zschäpe ihre Vorwürfe aus – allerdings nicht nur gegen Anwältin Sturm, sondern auch die Mitverteidiger Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl. Zschäpe fühlt sich offenbar von allen drei Pflichtverteidigern unter Druck gesetzt. Sie "überlege, etwas auszusagen", schreibt die Hauptangeklagte dem Gericht. Ihre Verteidiger allerdings hätten gedroht, das Mandat niederzulegen, falls sie Angaben mache. Unabhängig davon dass Pflichtverteidiger nicht einfach hinschmeissen können, sondern eben vom Gericht vom Mandat entbunden werden müssen, erreichen die Vorwürfe von Zschäpe mit dem aktuellen Schreiben eine neue Qualität, die massive Auswirkungen auf den Prozess haben könnte, befürchtet Opferanwalt Alexander Kienzle.
    "Das wäre eine tiefe Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses, wie sie für eine Entpflichtung Voraussetzung ist, damit wären alle drei Verteidiger, die mit der Verteidigung befasst waren, aus dem Verfahren entpflichtet und damit wäre Frau Zschäpe verteidigungslos gestellt und der Prozess könnte nicht fortgesetzt werden."
    Noch will Beate Zschäpe sich aktuell nur von Anwältin Sturm trennen. Im vergangenen Sommer versuchte sie aber bereits alle drei Pflichtverteidiger loszuwerden, scheiterte allerdings am Gericht. Nach einer Niederlage für Zschäpe sah es zuletzt auch bei dem Antrag gegen Anja Sturm aus. Gerichtssprecherin Andrea Titz erklärte noch vor wenigen Tagen.
    "Das Gericht wird sich ein Bild davon machen müssen, ob tatsächlich Gründe gegeben sind, die dafür sprechen, dass hier eine unwiederbringliche Zerrüttung dieses Vertrauensverhältnisses stattgefunden hat, dass also dieses Vertrauensverhältnis tatsächlich zerstört ist und nicht wiederhergestellt werden kann."
    Eiszeit auf der Anklagebank
    Zwischen Beate Zschäpe und allen drei Verteidigern herrschte zuletzt Eiszeit auf der Anklagebank. Man gab sich nicht die Hand und schwieg sich weitgehend an. In ihrem aktuellen Brief an das Gericht wirft Zschäpe den Verteidigern nun vor, ihrer Arbeit nicht nachzukommen: Die Verteidiger surften während der Verhandlung im Internet und twitterten, schreibt Zschäpe zum Beispiel. Außerdem deutet Zschäpe an, dass ihre Verteidiger sich von ihr nicht umfassend informiert fühlen, dass sie also auch den Juristen, die ihr helfen sollen nicht alles sagt. Unabhängig von den konkreten Vorwürfen gegen ihre Anwälte macht Zschäpes Brief deutlich, wie angespannt sie ist und wie blank die Nerven bei ihr nach 211. Verhandlungstagen offenbar liegen. Die Hauptangeklagte muss durchaus fürchten wegen Mittäterschaft an allen mutmaßlichen NSU-Morden, zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt zu werden. Ihre bisherige Strategie, keine Angaben zu machen, stellt Zschäpe nun offenbar in Frage. So wertet auch Opferanwalt Alexander Kienzle Zschäpes Ankündigung, etwas auszusagen.
    "Die Ankündigung bedeutet, dass sämtliche Spekulationen der letzten Wochen, dass die Schweigestrategie möglicherweise gescheitert ist, zutreffend waren und auch Frau Zschäpe mittlerweile diesen Prozess so wertet, dass es ohne eine Aussage ihrerseits möglicherweise ein ungutes Ende für sie nehmen wird."
    Wozu und wie umfassend sie Angaben machen will, lässt Zschäpe allerdings offen. Das Gericht wird über ihren Entpflichtungsantrag gegen Anwältin Sturm voraussichtlich noch in dieser Woche entscheiden. Sprecherin Andrea Titz.
    "Natürlich ist das Gericht gehalten, über diesen Antrag wie über alle anderen auch, unverzüglich zu entscheiden, aber es gibt keine Frist, innerhalb derer es entschieden haben muss und bis zu einer Entscheidung bleibt alles beim alten."
    Wenn der Prozess morgen fortgesetzt wird, muss Beate Zschäpe also voraussichtlich erneut neben ihren drei ungeliebten Pflichtverteidigern Platz nehmen.