Freitag, 29. März 2024

Archiv

NSU-Trilogie "Mitten in Deutschland"
"Wir wollen dem Land einen Spiegel vorhalten"

Die ARD zeigt ab heute das Filmprojekt "Mitten in Deutschland - NSU". Drei Filme befassen sich mit der rechtsextremen Terror-Gruppe. Regisseur des ersten Films ist Christian Schwochow. Er zeigt die Radikalisierung des NSU. "Um das Böse zu begreifen, muss man an die Anfänge gehen", sagte er im Deutschlandfunk.

Christian Schwochow im Gespräch mit Susanne Luerweg | 30.03.2016
    Der Regisseur Christian Schwochow.
    Christian Schwochow: "Die Geschichte von NSU und die Geschichte von rechter Gewalt und von Extremismus und Hass, das hat sehr, sehr viel mit unserem Land zu tun." (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Susanne Luerweg: Sie zeigen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zunächst als Menschen, nicht als Monster. War es Ihnen wichtig, erst einmal die Umstände zu klären, die direkt nach dem Mauerfall herrschten?
    Christian Schwochow: Das, was in der Schule gelehrt wurde, das galt plötzlich nicht mehr. Die Eltern hatten alle mit sich selbst zu tun. Lehrer mussten von einem auf den anderen Tag ein neues System lernen und lehren und diese Jugendlichen, die da gerade so in einem Teenageralter waren in dem man sehr nach Halt sucht, die waren auf sich gestellt und dann war es mitunter so, wie der Film auch zeigt, wo deine Freunde sich hin orientieren, da machst du mit. Deswegen haben wir auch diese Szenen erfunden, wo Beate Zschäpe erst einmal im besetzten Haus bei Punkern auf die Partys geht, und ich denke auch, wenn sie einen charismatischen Freund gehabt hätte, der ein extremer Linker war, dann hätte sie sich vielleicht auch dem angeschlossen. Also es war ganz viel im Vagen und es war ein großes Taumeln und Suchen bei den jungen Leuten.
    Luerweg: Das macht ein wenig den Eindruck und das zeigt auch ihr Film: Rechts, links, wohin das Pendel ausschlägt, war fast ein bisschen Zufall?
    Schwochow: Das war ein Stück weit Zufall. Aber ich will nicht sagen, wenn man in dem und dem Stadtteil gewohnt hat, wie Jena Winzerla, wo Beate Zschäpe großgeworden ist, dann war es ein Automatismus, dass man Neonazi wurde, nur weil die meisten dort Neonazis waren. Es gibt in dem Film auch eine beste Freundin von Beate, das ist eine fiktive Figur namens Sandra, die auch dort groß wird, die sich aber ganz anders entscheidet. Aber natürlich hat es sehr viel damit zu tun, welche Freunde habe ich und wer bietet mir irgendwie Halt und schafft vielleicht auch eine Art von Ersatzfamilie, und da waren die Rechten in einigen Gegenden sehr, sehr stark und haben schnell eigene Strukturen aufgebaut und das hatte auch eine große Verführungskraft, und ich glaube, das erzählt der Film, dass dort etwas starkes, etwas körperliches, etwas rauschhaftes entstanden ist in dieser rechten Szene. Aber ich muss auch sagen, dass das auch in anderen Szenen entstanden ist, und dann war es mitunter schon ein bisschen Zufall, wer war gerade die stärkste Gruppe in meiner Nachbarschaft.
    "Wichtig, dass wir kein Biopic machen"
    Luerweg: Dieser Sog, der sich da entwickelt hat, entsteht ja auch sehr stark durch die Musik, die ja auch eine große Rolle spielt in Ihrem Film.
    Schwochow: Musik ist ein ganz großer Träger von Emotionen, also wir haben das selber gemerkt. Wir haben diese Lieder, diese Liedtexte ja selber hergestellt, denn wir wollten diesen Nazibands nicht noch nachträglich Einnahmen durch die Gema beschaffen, sondern wir haben eigene Texte und eigene Musiken geschrieben. Das wirkt fast ein bisschen wie Schlager. Diese einfachen Parolen, wo Leute ihren Frust rausbrüllen. Das ist ähnlich wie auf einer Demo, wo man so ein ganz klares Feindbild niederschreit, oder ähnlich wie im Fußballstadion, wo eine große Gruppe zu einem großen Körper wird.
    Das hat eine unheimliche Sogkraft, eine unheimliche Verführungskraft, und auch etwas sehr manipulatives, weil diese Texte sehr, sehr einfach sind. Aber man kann auch sehen, bestimmte Lieder die wir geschrieben haben, da könnte man bestimmte Worte austauschen und es würde genauso auf einem Punkerkonzert funktionieren.
    Luerweg: Sie haben jetzt schon erwähnt – Wahrheit, Fiktion. Die Freundin von Zschäpe im Film ist fiktiv. Aber wie verhält es sich sonst, wo sind die harten Fakten in Ihrem Film und was haben Sie dazu erfunden?
    Schwochow: Also für mich war es erst einmal ganz wichtig, und auch für meinen Drehbuchautor Thomas Wendrich, dass wir jetzt kein Biopic machen, wo man sich an recherchierten Fakten abarbeitet und Lücken lässt, wo man keine Fakten hat. Uns ging es wirklich darum herauszufinden, was ist das für ein Land gewesen damals, in dem diese drei, und vor allem Beate Zschäpe im Zentrum, jung waren, und was sind die Mechanismen von Radikalisierung?
    Insofern, es gibt eine ganze Menge Eckpfeiler, die wir aus den Akten und aus Gesprächen mit Leuten ermittelt haben, die die drei sehr gut kannten. Und andere Lücken haben wir gefüllt, um auch eine Art exemplarischen Lebenslauf für viele andere zu beschreiben. Sehr vieles ist fiktiv und trotzdem aber insofern in meinen Augen wahrhaftig, weil es so oder ähnlich stattgefunden haben kann.
    "Um das Böse zu begreifen, muss man an die Anfänge gehen"
    Luerweg: Uwe Mundlos wirkt in Ihrem Film wie das Brain und Uwe Böhnhardt wie der absolute Brutalo. Ist das belegt oder haben Sie die Figuren gegeneinander zeichnen wollen?
    Schwochow: Nein, alles was man findet, alle Beschreibungen und alle Leute, die wir in Jena getroffen haben, die die Szene kannten, bestätigen dieses Bild. Dass Uwe Mundlos schon vor der Wende anfing, sich zu begeistern für die Ideen des Dritten Reichs, der war unheimlich belesen, das hat sich noch stärker dann ausgebildet als er zur Armee ging. Böhnhardt, das sagen auch alle, hatte deutlich weniger Intelligenz und ist schon sehr früh auffällig geworden, sehr früh straffällig geworden, war jemand, der auch nicht vor körperlicher Gewalt zurückschreckte, schon im Alter von 13, 14. Das alles sind natürlich Dinge, die wir nicht erfunden haben.
    Luerweg: Und irgendwann sind die drei unzertrennlich, ein Trio Infernale, und werden auch immer brutaler. Wenn der Film anfängt und man sie als Menschen statt als Monster wahrnimmt, ist es aber so, dass man selbst einen ziemlichen Knoten im Bauch hat.
    Schwochow: Das ist ganz wichtig, aber ich glaube, um das Böse zu begreifen, muss man an die Anfänge gehen und es aushalten zu sehen, dass das meine Schwester, mein Bruder, mein Nachbar, meine Mitschülerin, meine Verwandte sein kann. Denn die Leute kommen ja nicht bösartig zur Welt und werden nicht als Kriminelle geboren, sondern da entstehen bestimmte Dynamiken, die was begünstigen. Natürlich ist da auch schon immer eine kriminelle Energie irgendwie auch schon da, aber ich wollte, dass der Zuschauer sich nicht irgendwie bequem zurücklegt und wie bei einem Horrorfilm sieht, okay, da sind die Bestien, vor denen grusele ich mich ein bisschen, aber das hat letztendlich alles nix mit mir zu tun.
    Und ich finde die Geschichte von NSU und die Geschichte von rechter Gewalt und von Extremismus und Hass, das hat sehr, sehr viel mit unserem Land zu tun, und ich will den Leuten das auch in gewisser Weise begreifbar machen, sie das spüren lassen, dass das alles auch in unserer Mitte entstehen kann und nicht nur von irgendwelchen Irren, die sowieso Außenseiter sind.
    Luerweg: Das Fremde, der Rassismus, den man deutlich im Film beobachten kann, hat der Ihrer Meinung nach mit der Wende angefangen oder war der nicht schon immer da und wurde dann im Grunde genommen "freigelassen"?
    Schwochow: Das ist richtig, in der DDR gab es auch Rassismus, das ist ganz klar. Der hat sich sicher nicht so geäußert wie nach der Wende, aber es ist nicht so, dass der erst mit der Wende erfunden wurde, oder über das Land hereinbrach. Was aber passierte ist, dass Neonazis aus dem Westen mit Geld und Strukturen in den Osten kamen und Bewegungen mitbegründet haben. Der Thüringer Heimatschutz, der in unserem Film eine Rolle spielt und andere Organisationen, die wurden auch zum Teil aufgebaut mit Geld aus der Neonaziszene im Westen, weil die merkten, da ist unheimlich viel Potenzial und man merkt das ja heute, wie solche Wellen ganz, ganz schnell groß werden können.
    "Was wir erzählen, das ist sehr genau recherchiert"
    Luerweg: Aber es ist ja nicht nur die westdeutsche Neonaziszene, die Geld hineinpumpt, sondern auch der Verfassungsschutz, wenn ich Ihrem und den anderen Filmen glauben darf, was mich ein wenig fassungslos zurücklässt.
    Schwochow: Ich hoffe, dass dies den Zuschauer fassungslos zurücklässt. Da ist ein ganz, ganz großes, dunkles Loch, wie auch die Organe diese Strukturen mit aufgebaut haben mit Personal und mit Finanzen. Das schreit zum Himmel.
    Luerweg: Wenn man die drei Filme gesehen hat und vorher nicht an Verschwörungstheorien geglaubt hat, dann ist man aber nicht mehr so ganz weit davon entfernt.
    Schwochow: Verschwörungstheorie klingt jetzt so ein bisschen negativ, im Sinne von: wir orakeln da so ein bisschen rum. Aber ich glaube, dass das, was wir erzählen, das ist sehr genau recherchiert, und Verschwörungstheorie macht es kleiner. Aber ich gebe Ihnen natürlich recht, man möchte es nicht glauben, wir haben ja in Deutschland immer das Gefühl, unser Staat funktioniert schon irgendwie, wir sind vielleicht ein bisschen überbürokratisch, aber es geht alles so seinen geordneten Gang. Die Wahrheit ist eine andere.
    "Wir wollen natürlich stänkern, wir wollen unangenehm sein"
    Luerweg: Es wird ganz wenig Archivmaterial benutzt, nur hin und wieder. So eine Rede des damaligen Innenministers Rudolf Seiters. Und dann sitzen Beate Zschäpe und Uwe Mundlos begeistert vor dem Fernseher und jubeln: genauso wie wir es meinen, der hat recht.
    Schwochow: Ja, das war für mich etwas ganz Erschreckendes. Ich habe mit Aussteigern aus der Neonaziszene, die in den 90ern sehr aktiv waren, gesprochen, die sagten, wir haben damals durch unsere Parolen und durch unser aggressives Auftreten die öffentliche Meinung beeinflusst.
    Und die erzählten, wie sie Pressekonferenzen der Bundesregierung sich angeschaut haben, und Sektkorken haben knallen lassen, weil sie sagten, dass was die für uns gerade machen, das können wir gar nicht besser und vor allem nicht in der Breitenwirkung. Und damit kommt das, was wir gerade wollen, ganz leicht beim Volk an und wir können über die unsere Forderungen ein Stück weit verwirklichen. Das ist ganz perfide, aber man schaut sich an: Was passiert, wenn zu viel Protest auch gegen Asylbewerberheime laut wird, wie dann auch die etablierten Parteien sich dann nicht nur damit auseinandersetzen, weil das tun sie in der Regel nicht, sondern auch relativ schnell auf solche Züge aufspringen.
    Luerweg: Was ist das Ziel oder vielleicht auch die Hoffnung, die Sie mit der gesamten Trilogie verbinden?
    Schwochow: Wir wollen natürlich stänkern, wir wollen unangenehm sein, wir wollen dem Land einen Spiegel vorhalten, wir wollen ein Gesellschaftspanorama aufzeigen, und ich würde mir wünschen, wenn wir mit den Filmen in Schulen gehen, auf Veranstaltungen gehen, wenn man über die Filme diskutiert und wenn man sich die Frage stellt: Was haben diese drei Buchstaben NSU, was haben die mit uns allen zu tun? Und was ist das gerade für eine Stimmung im Land, die ja sehr deutlich ist, und die ja sehr deutliche Signale setzt, und was können wir tun, um uns dagegen zu stellen? Und ich glaube, dass die Filme dazu ein starker Beitrag sein können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.