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Nuancierter, reifer, weiblicher

Als die Indiepop-Musikerin Florence Welch 2009 ihr erstes Album "Lungs" veröffentlichte, jubelten die Kritiker, sie sei die würdige Nachfolgerin von Kate Bush. Nach einer Pause hat sie nun ihre neue CD "Ceremonials" aufgenommen. Wie schon bei ihrem Debüt verließ sie sich auf die Unterstützung des Produzenten Paul Epworth.

Von Christiane Rebmann | 01.11.2011
    "Ceremonials", das neue Album der britischen Sängerin Florence Welch, klingt nach wie vor bombastisch, aber dabei nuancierter, reifer, weiblicher, und weniger aggressiv als das erste Werk "Lungs". Und auch sie selbst hat nichts mehr von dem frischen, etwas naiven Mädchen, das ich vor zwei Jahren traf.

    "Als ich anfing, war das wie eine Feuertaufe. Ich war noch sehr unbedarft. Ich war ja erst 21, 22, und ich sagte zu mir: 'Okay, auf geht's!' Ich bin jetzt eindeutig selbstbewusster, und ich verstehe mich selbst auch besser. Ich weiß jetzt eher, wer ich bin. Ich bin wohl etwas ruhiger geworden. Die jahrelangen, ständigen Tourneen haben wie ein Exorzismus gewirkt. Man wird dadurch entweder noch verrückter, oder man schaltet einen Gang zurück. Letzteres habe ich getan."

    Den Titel "Ceremonials" wählte sie allein wegen seines Klanges. Das Wort hat etwas Bewegendes, findet Florence.

    "Man denkt sofort an Rituale. Zeremonie, das Wort klingt irgendwie auch gläsern, als würde es glänzen. Es klingt weniger blutig weniger organisch als 'Lungs', Lungen, der Titel meines letzten Albums. Mit dem neuen Titel rücke ich etwas vom Körper ab und bewege mich mehr in Richtung Geist. Dieses Album ist eher introspektiv. Es ist weniger grausam. Es geht hier mehr um innere Kämpfe, um Gut und Böse, um Fragen der Moral."


    Die 25-Jährige holt sich ihre Anregungen nicht nur in der Musik, bei Vorbildern wie Joni Mitchell, Elton John, The Incredible Stringband oder Velvet Underground, sondern auch aus anderen Bereichen der Kunst.

    "Im Studio lag ein Buch über surreale Kunst. Und darin stieß ich auf dieses Bild von Frida Kahlo. Es heißt 'What the water gave me', 'was mir das Wasser gab'. Es zeigt ihre Füße in der Badewanne und dazu all diese merkwürdigen albtraumhaften Visionen. Frida Kahlo hat ja gesagt, dass sie nie ihre Träume gemalt hat, sondern immer nur ihre Realität. Das finde ich interessant. Virginia Woolf taucht auch auf, aber es geht hier weniger um ihre Bücher. Es geht um das Bild, wie sie runter zum Fluss läuft, die Taschen voll mit Steinen. Es geht hier um die Art, wie sie umkam."

    Die oft morbiden Bilder, die sie in ihren Texten verwendet, stammen aus Träumen, aus lange zurückliegenden Kindheitserlebnissen wie dem Suizid eines Onkels. Manchmal erschrecke ich darüber, wie viel Gewalt in meinen Texten steckt, sagt sie.

    "Sie klingen sehr nach Selbstmord. Das schockiert mich selbst. Weil ich eigentlich gar kein brutaler Mensch bin. Ich bin auch nicht selbstmordgefährdet. Aber die Bilder und Themen, die da in meinen Songs auftauchen, können ganz schön dunkel sein. Als Musiker muss man offensichtlich die Dinge zulassen, die in einem hochkommen."

    Auch wenn es düstere Bilder sind, wie die vom Tod ihrer Großmutter, den sie im Song "Only if for a night" verarbeitet.
    "Es fing damit an, dass ich an meine Großmutter dachte. Ich hörte Kirchenglocken, und das erinnerte mich an ihre Beerdigung. Ich höre diese Glocken immer, wenn ich in ihrem Haus auf dem Land bin. Ich sehe dann ein grelles Bild von ihrem Grab vor mir. Diesmal erinnerte mich das an diverse Träume, in denen diese Bilder aufgetaucht waren. Und das brachte mich auf dieses Jeanne d'Arc-Thema, das sich durch den Refrain zieht. Die Drums klangen für mich wie Hufe und wie Schwerter, die aufeinander schlagen. All diese Bilder liefen in meinem Kopf ab, als ich die Musik hörte. Manchmal ist man als Musiker so etwas wie ein Übersetzer. Man muss übersetzen, was die Musik sagt."