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"Nullnummer" von Umberto Eco
Zeitung als Vehikel für die Politik-Ambitionen

Der italienische Autor Umberto Eco schrieb mit "Nullnummer" einen Roman über den verkommenen Journalismus und einen Verleger, für den Silvio Berlusconi Pate stand. Den Rezensenten überzeugt das Werk nicht - der Text sei haarsträubend zusammenfantasiert und zeuge von einer krassen Kenntnislosigkeit über die Medien.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 22.11.2015
    Der italienische Philosoph und Autor Umberto Eco.
    Der italienische Philosoph und Autor Umberto Eco. (dpa / picture alliance / Carmen Siguenza)
    1992 wurde Bill Clinton zum Präsidenten der USA gewählt, es begann die Belagerung und Zerstörung von Sarajevo durch die bosnisch-serbische Armee, in Maastricht wurde die Europäische Union gegründet. Und die italienische Pornodarstellerin Ilona Staller, alias La Cicciolina, trennte sich von dem amerikanischen Pop-Künstler Jeff Koons nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes.
    Jede italienische Zeitung hat diese Themen im Jahr 1992 sattsam abgehandelt: Bloß eine nicht, und zwar die Zeitung, von der Umberto Eco seinen Lesern weismachen will, dass sie für die Verkommenheit des Journalismus irgendwie typisch sei. Die Zeitung heißt "Domani", und sie ist gewissermaßen eine mehrstufige Erfindung. Denn erstens hat Eco sie sich ausgedacht; zweitens aber ist sie eine Fiktion eines von Eco erfundenen großen Strippenziehers im Hintergrund, eines Medienmoguls mit Politambitionen, für den wohl kein anderer als Silvio Berlusconi Pate stand.
    Dieser "Commendatore", wie er in Anlehnung an Berlusconis Spitznamen "Cavagliere" genannt wird, finanziert ein Zeitungsprojekt, das von vornherein dazu bestimmt ist, nach einem Dutzend Nullnummern eingestellt zu werden, weil der einzige Zweck der Übung darin besteht, dem Commendatore die Aura eines reputierlichen Verlegers zu verschaffen:
    "Der Commendatore will in den feinen Salon der Finanzwelt, der Banken und vielleicht auch der großen Zeitungen. Die Eintrittskarte ist das Versprechen einer neuen Zeitung, die keine Scheu hat, die ganze Wahrheit zu sagen. Zwölf Nullnummern, jeden Monat eine, also 0/1, 0/2, 0/3 und so weiter, in sehr kleiner Zahl gedruckt für den Commendatore, der dann entscheidet, wer sie zu sehen bekommt. Wenn er einmal bewiesen hat, dass er den sogenannten feinen Salon der Finanzwelt und Politik in Schwierigkeiten zu bringen vermag, ist anzunehmen, dass dieser feine Salon ihn bittet, die Idee mit dieser Zeitung aufzugeben. Er verzichtet auf "Domani" und erhält dafür die Erlaubnis, in den feinen Klub einzutreten."
    So erklärt es der Chefredakteur dieses virtuellen Blattes dem Ich-Erzähler der Geschichte, einem abgehalfterten Philologen um die 50, den er als zweiten Mann der siebenköpfigen Redaktion angeheuert hat. Sie alle sind unfassbar trübe Tassen. Und selbst, wenn Eco bloß beabsichtigt hätte, die Journaille, die ihn in seinem Leben sicher oft genervt hat, einmal gewaltig zu verspotten, wären die Schießbudenfiguren dieses Romans dafür eher ungeeignet. So dämlich wie die Mitarbeiter von "Domani" sind nämlich nicht einmal Volontäre.
    Anspruch wird Roman bei Weitem nicht gerecht
    Leider aber verfolgt Eco mit diesem Werk das Ziel politischer, zeitgeschichtlicher und gesellschaftskritischer Belehrung. Und diesem Anspruch wird der Roman bei Weitem nicht gerecht. Er ist nicht nur haarsträubend zusammenfantasiert, sondern verrät auch eine krasse Kenntnislosigkeit in Bezug auf die wirklich gravierenden Probleme und Defekte des Medienbetriebs. Vor allem jedoch krankt er an geradezu peinlichen Konstruktionsfehlern. Zum Beispiel wird der Chefredakteur mit Namen Simei als publizistisches Weichei dargestellt, ein Journalist, der jede brisante Story aus dem Blatt kippt und seinen Leuten ständig einschärft, dass sie in erster Linie das Publikumsbedürfnis nach Tratsch und Klatsch bedienen sollten.
    Nun ist die Opferung von relevanten Inhalten zugunsten blöder Volksbelustigung gewiss ein beklagenswertes Phänomen der Presse und der Medien auf dem ganzen Erdball. Und ganz besonders in Italien während der 1992 beginnenden Berlusconi-Ära. Doch das Design des Zeitungsprojekts "Domani" taugt gerade nicht zur Illustration dieses Missstands, sondern es ist ja im Gegenteil darauf ausgelegt, als ein mächtiges Enthüllungswerkzeug zu erscheinen. Dazu bedarf es dann doch jener investigativen Kapazität, die Eco der Dilettantentruppe nicht zugestehen möchte, weil er sich sonst nicht so einfach über sie mokieren könnte.
    Die Truppe trägt übrigens so beziehungsreiche Namen, dass der Autor und Semiotikprofessor sich bemüßigt fühlt, in Interviews selbst darauf hinzuweisen: Braggadocio, Cambia, Colonna, Costanza, Fresia, Lucidi und Palatino sind allesamt Bezeichnungen von Schrifttypen, die man mit einem gängigen Textverarbeitungsprogramm benutzen kann. Und Simei, der Name des Chefredakteurs, erinnert an eine biblische Gestalt, die mit Steinen und Erdklumpen nach König David warf und dafür mit dem Tod bestraft wurde. Wie die Sache mit dem Mailänder Simei ausgeht, nachdem das Zeitungsprojekt hastig abgeblasen wurde, bleibt offen, aber das Werfen mit Dreck ist eine Kunst, die er seinen Redakteuren in seminarartigen Sitzungen beibringt.
    "Der Trick dabei ist, dass zuerst eine banale Meinung in Anführungszeichen gesetzt wird und dann eine andere, besser begründete, die der des Journalisten sehr ähnlich ist. So gewinnt der Leser den Eindruck, über zwei Tatsachen informiert worden zu sein, ist aber dazu gebracht worden, nur eine Meinung als die überzeugendere zu akzeptieren. Nehmen wir ein Beispiel: Eine Straßenbrücke ist eingestürzt, ein Lastwagen ist hinuntergerissen worden, der Fahrer ist tot. Im Text wird zunächst streng sachlich die Tatsache berichtet, dann heißt es weiter: Signor X, 42, Inhaber eines Zeitungskiosks an der Ecke, sagte dazu: "Was wollen Sie, so was passiert halt, tut mir leid für den Armen, aber Schicksal ist Schicksal." Gleich danach erklärt Signor Y., 34, Maurer, der auf einer benachbarten Baustelle arbeitet: "Daran ist die Kommune Schuld, es war schon lange bekannt, dass es bei dieser Brücke Probleme gibt." Mit wem von den beiden wird sich der Leser wohl identifizieren?"
    Floskelvorrat für Journalisten
    Solche medienwissenschaftlichen Darlegungen ziehen sich wie ein roter Faden durch "Nullnummer", und apropos roter Faden: Der gehört natürlich zu dem Floskelvorrat, ohne den das Schnellschreibgewerbe des Journalismus nicht auszukommen scheint. Nur echte Könner können es sich leisten, auf diese abgegriffenen Formulierungsmünzen zu verzichten und sich über deren Gebrauch durch die Kollegen sogar lustig zu machen. Umberto Eco lässt seine Pappkameraden-Redaktion sogar literarische Übungen veranstalten, bei denen es darum geht, sich mit dem Floskelvorrat vertraut zu machen, um die Zeitungsleser, die solche Floskeln erwarten, nicht zu enttäuschen:
    "Hier ist der Rest meiner unvollständigen Liste stehender Redewendungen: Ins Visier der Ermittler geraten, gegen jemand zu Felde ziehen, zwei Übeln zugleich abhelfen, die denkbar schlechteste Wendung nehmen, das Licht am Ende des Tunnels, der Silberstreifen am Horizont, wir bleiben auf der Hut, ein schwer zu ziehender Zahn, der Wind weht, wo er will, das Fernsehen nimmt sich den Löwenanteil und lässt uns nur Krümel, ein starkes Signal senden, ein Ohr für den Markt haben, etwas wieder ins Lot bringen, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, das ganz große Rad drehen, das Kind mit dem Bade ausschütten, wie ein schmerzhafter Dorn im Fleisch sitzen, das Imperium schlägt zurück ..."
    Solche idiomatischen Ausdrücke sind immer eine schöne Herausforderung für Übersetzer. Und ein Blick ins italienische Original zeigt, dass Burkhard Kroeber, der seit mehr als 30 Jahren Ecos Schriften verdeutscht, sich mit recht beliebigen Einfällen beholfen hat, denn weder vom Teufel mit dem Beelzebub noch vom Kind mit dem Bade oder vom Silberstreifen am Horizont ist hier die Rede. Dafür hat er anderes, was sich leicht hätte übertragen lassen, einfach ignoriert, was zusammen mit allerlei sonstigen Schnitzern im ganzen Text den Verdacht einer gewissen Eile oder auch Lustlosigkeit nahelegt. Letztere erscheint nur allzu verständlich, denn dieser Roman ist über weite Strecken platt, wirr und geschwätzig – etwa so wie die manische Fachsimpelei des Autonarren Braggadocio:
    - "Wenn die Autowerbung nicht lügt, dann schweigt sie. Man muss die technischen Angaben in den Spezialpublikationen durchforsten, dann entdeckt man zum Beispiel, dass der Wagen 1,83 Meter breit ist."
    - "Ist das nicht gut?"
    - "Du achtest nicht weiter darauf. In den Werbetexten geben sie immer die Länge an, die ist sicher wichtig fürs Einparken oder auch fürs Prestige, aber nur selten nennen sie einem die Breite. Dabei ist die fundamental, wenn du eine kleine Garage hast oder einen noch engeren Stellplatz, geschweige denn wenn du wie ein Verrückter herumfährst, um einen freien Platz am Straßenrand zu finden. Man muss schauen, dass man einen Wagen unter 1,70 Breite kriegt."
    - "Wenn es denn so einen gibt ... "
    - "Sicher gibt es so einen, aber in einem Wagen von unter 1,70 Breite sitzt man beengt. Wenn jemand neben dir sitzt, hast du nicht genug Platz für den rechten Ellenbogen."
    Klar ist, dass die Figur, die so redet, einen Knall hat – wie übrigens alle anderen auch, was freilich die Überzeugungskraft des Ganzen etwas mindert. Doch dieser Braggadocio wird zur heimlichen Hauptperson des Geschehens – heimlich, weil er zwar ein Neurotiker und Verschwörungstheoretiker fortgeschrittenen Grades, aber auch der einzige Journalist mit einem intensiven Faible für schwierige Recherchen ist. Und heimlich, weil er sich vom neurotischen Geheimniskrämer zum Aufdecker wirklicher Staatsgeheimnisse entwickelt, was er zum Schluss mit dem Leben bezahlt.
    Blick auf vergangene Rätsel
    Diese Geheimnisse zählen in der Tat zu den wirklichen Eckpunkten der italienischen Geschichte im Jahr 1992. Und sie sind bis zum heutigen Tag noch großenteils ungeklärt. 1992 begann ein Richter in einer zunächst lokal anmutenden Mailänder Schmiergeldaffäre zu ermitteln und öffnete eine Pandorabüchse, die unter dem Titel "Mani pulite" zum Zusammenbruch des Parteiensystems der Ersten Republik führte. Es zeigte sich nämlich, dass bis in die höchsten Regierungskreise Italiens hinein zwischen Staat und Mafia geheime und geheimdienstliche Verbindungen bestanden. Und es war, nebenbei gesagt, Silvio Berlusconi, der in dieser Situation vielen Italienern als ein unverdorbener Retter in der Not erschien, denn er gehörte der korrupten Politikerkaste des Landes noch gar nicht an.
    Zunächst aber hat Braggadocio nicht gegenwärtige, sondern vergangene Rätsel im Auge. Und mehr noch als Adolf Hitlers Ende in seinem Führerbunker die deutsche Öffentlichkeit fesselt, wovon zahllose 'Spiegel'-Geschichten und sogar ein Oscar-nominierter Film zeugen, beschäftigt man sich in Italien mit Mussolinis Tod am Nachmittag des 28. April 1945:
    "Hör zu: Das letzte Mal, dass Mussolini in der Öffentlichkeit von Leuten, die ihn kannten, gesehen worden war, war am Nachmittag des 27. April im Erzbischöflichen Palais von Mailand gewesen. Danach war er nur noch mit seinen Getreuesten unterwegs. Und seit er von den Deutschen aufgegriffen und dann von den Partisanen verhaftet worden war, hatte keiner von denen, die mit ihm zu tun hatten, ihn vorher persönlich kennengelernt, sondern nur auf Fotos oder in Propagandafilmen gesehen. Und die Fotos der letzten zwei Jahre hatten ihn so abgemagert und ermattet gezeigt, dass man sich fragte, ob das wirklich noch Er war."
    So der Investigationsjournalist Braggadocio, dessen Erfinder Umberto Eco ihn mit zunehmender Atemlosigkeit eine bizarre Theorie über Mussolinis Weiterleben vortragen lässt – in einem zwielichtigen Restaurant, in der engsten Gasse Mailands und im Beinhaus einer Kirche. Es ist die Annahme, dass nicht der wirkliche Mussolini von den Partisanen erschossen wurde, sondern sein Doppelgänger.
    - "Ein Diktator müsste doch einen Doppelgänger haben, zum Beispiel für Paraden, die er stehend im offenen Wagen absolvieren muss, wo er schon von Weitem zu sehen ist. Und wer weiß, wie oft er ihn tatsächlich so benutzt hatte, um sich vor Attentaten zu schützen. Jetzt stell dir mal vor, um dem Duce eine sichere Flucht zu ermöglichen, ist der Mann, der aus Mailand nach Como aufbricht, nicht Mussolini, sondern sein Doppelgänger."
    - "Und wo ist Mussolini?"
    - "Warte, darauf komme ich noch. Der Doppelgänger hat jahrelang ein zurückgezogenes Leben geführt, gut bezahlt und gut versorgt. Und ist nur zu bestimmten Gelegenheiten gebraucht worden. Inzwischen identifiziert er sich fast schon mit Mussolini und lässt sich überzeugen, seinen Platz noch einmal einzunehmen, weil, wie ihm erklärt wird, selbst wenn er vor der Grenze gefasst werden sollte, würde es niemand wagen, dem Duce etwas anzutun. Er müsste die Rolle nur noch solange spielen, bis die Alliierten kommen. Dann könne er seine Identität enthüllen. Und niemand könnte irgendeine Anklage gegen ihn erheben, schlimmstenfalls müsste er ein paar Monate in einem Lager verbringen. Und als Lohn für all das erwartete ihn ein schöner Batzen in einer Schweizer Bank."
    Der Doppelgänger hat also dran glauben müssen. Und Mussolini lebte und wirkte, geschützt vom Vatikan, noch etliche Jahre im Verborgenen, so das steile Gedankenspiel, das Eco seinen Protagonisten Braggadocio vertreten lässt.
    Dieses Gedankenspiel ist allerdings nicht unwahrscheinlicher als das Treiben der Loge P2 des ehrenwerten Licio Gelli, deren Verbindung mit der obskuren Stay-Behind-Organisation Gladio, deren Verwicklung in zahlreiche Attentate und die mit geheimdienstlicher Präzision erfolgte Ermordung der Mafia-Jäger Borsellino und Falcone in eben jenem Jahr 1992. Das alles, so unwahrscheinlich es war, war wahr.
    "Wie du siehst, sind es bloß Kleinigkeiten, ein Mord hier, ein Mord da, lauter Sachen für die Seite Vermischtes. Und irgendwann gerät das alles in Vergessenheit. Das Problem ist, dass Zeitungen nicht dazu da sind, Nachrichten zu verbreiten, sondern sie zu verbergen. Wenn das Ereignis X eintritt, kannst du es nicht verschweigen, aber es verstört zu viele Leute, also packst du in dieselbe Nummer ein paar Schlagzeilen, die einem die Haare zu Berge stehen lassen – Mutter erwürgt ihre vier Kinder, unsere Ersparnisse gehen vielleicht bald in Flammen auf, Brief voller Beleidigungen von Garibaldi an Nino Bixio entdeckt, solche Sachen –, und deine Nachricht ertrinkt im großen Meer der Informationen. Aber mich interessiert, was Gladio in Italien von den 60er-Jahren bis 1990 getan hat. Die Organisation muss allerhand angestellt haben, womöglich findet man sie verzahnt mit terroristischen Bewegungen der extremen Rechten, sie hat 1969 beim Attentat an der Piazza Fontana mitgemischt. Und damals – wir sind in den Zeiten der Studentenrevolten von '68 und der heißen Herbste in den Fabriken – hat jemand kapiert, dass man zu Terroranschlägen anstacheln kann, um sie dann den Linken in die Schuhe zu schieben. Es heißt ja, auch die berüchtigte Loge P2 von Licio Gelli hätte ihre Hand mit im Spiel gehabt."
    Verschwörungstheorien eines Journalisten
    Braggadocio, der alte Verschwörungstheoretiker, wird kurz nachdem er immer weitere Zusammenhänge konstruiert und rekonstruiert hat, in der engsten Gasse Mailands erstochen. Man sieht: Selbst Paranoiker werden bisweilen verfolgt. Damit endet auch die Geschichte der Zeitung "Domani", denn jetzt bekommt sogar der mächtige Verleger im Hintergrund, der Commendatore, kalte Füße und schließt den ohnehin bloß als Renommee-Spielzeug gedachten Laden.
    Der Erzähler Colonna - was auch Zeitungsspalte bedeutet - hat sich unterdessen in die einzige Kollegin der siebenköpfigen Mannschaft verliebt, sodass bei aller harten Politik auch ein bisschen Gefühl und Geflüster den Roman durchziehen. Maia fällt schon früh im Text durch ihre spielerisch-kreativen, vom Chefredakteur durchweg abgebügelten Ideen sympathisch auf sowie durch einen leicht autistischen Zug, über den sich die beiden Hauptakteure Braggadocio und Colonna unterhalten. Wie Eco den kleinen Psycho-Defekt dieser Figur einführt und ausmalt, gehört zu den meisterlichen Momenten von "Nullnummer".
    Überhaupt liegen die Stärken dieses Romans in den Nebensachen, beispielsweise in der Komik der Inkompetenz folgender Prognose aus dem Jahr 1992, als die ersten Mobiltelefone in den Handel kamen:
    "Die Sache mit den Mobiltelefonen", erwiderte Simei, "hat keine Zukunft. Erstens kosten sie so enorm viel, dass nur sehr wenige sie sich leisten können. Zweitens werden die Leute bald entdecken, dass es nicht unverzichtbar ist, ständig mit allen zu telefonieren, sie werden den Verlust des privaten Gesprächs von Angesicht zu Angesicht beklagen. Und am Monatsende werden sie feststellen, dass ihre Telefonrechnung unerträgliche Höhen erreicht hat. Das ist eine Mode, die sich nach einem, spätestens zwei Jahren verbraucht haben wird. Nützlich sind diese Dinger doch nur für Ehebrecher, um Verabredungen zu treffen, ohne das häusliche Telefon zu benutzen. Und vielleicht noch für Klempner, die jederzeit gerufen werden können, auch wenn sie unterwegs sind."
    Das ist so lustig wie es die Prophezeiung mancher Pessimisten war, die in den Anfangstagen des Internets erklärten, auch das sei eine Technikmode, die in ein paar Jahren wieder spurlos verschwinden werde. Zum Glück kann Eco dieses Thema – aus der Perspektive des Jahres 1992 – auslassen, denn seither hat sich im Journalismus durch das Internet alles verändert.
    Schlimmstes Übel findet keine Erwähnung
    Aber woran krankte die Presse damals wirklich? Die Verwendung von Floskeln, die suggestive Wiedergabe fremder Meinungen, die gezielte Verleumdung politischer Gegner, das Werfen mit Dreck und das Verschweigen und Verstecken skandalöser Tatsachen – das alles wurde unzählige Male als Medien-Desinformation gegeißelt.
    Doch das schlimmste Übel des durch die Vervielfachung der Medien zur Berufswunsch-Epidemie gewordenen Journalismus' findet bei Eco keine Erwähnung: Es ist mangelnde Intelligenz. Die ungeheure Menge von Fehlleistungen und Falschmeldungen, die damals wie heute das Vertrauen in die Medien untergräbt, beruht auf fehlender Skepsis, schlechter Allgemeinbildung und dem brennenden Bedürfnis der meisten Journalisten, einer guten Sache zu dienen.
    Umberto Eco hat einen Thesenroman geschrieben, der sehr viel direkte Figurenrede enthält und doch nichts davon vermittelt, was diese Figuren eigentlich an- und umtreibt. Der Schluss ist resignativ, wie es sich angesichts der politischen Zustände in Italien gehört: Selbst eine BBC-Reportage, die als Musterbeispiel unerschrockener Aufklärung über diese Zustände erwähnt wird, kratzt unter dem Horizont totaler Verkommenheit niemanden mehr.
    "Die Leute werden sagen: Ach ja? Interessant. Und werden weiter ihren Geschäften nachgehen. Ich wette, dass morgen in keiner Zeitung etwas über diese BBC-Sendung steht. Nichts kann uns mehr erschüttern in diesem Lande. Wir haben schließlich bereits die Invasion der Barbaren erlebt, die Plünderung Roms, das Massaker von Senigallia, die 600.000 Toten des Ersten Weltkriegs und die Hölle des Zweiten. Und nun sollen ein paar Hundert Personen 40 Jahre gebraucht haben, um alles in die Luft zu sprengen? 'Umgeleitete' Geheimdienste? Da kann man nur lachen, wenn man an die Intrigen der Borgias denkt. Wir waren immer ein Volk von Messerstechern und Giftmischern. Wir sind geimpft, immunisiert, was immer man uns an neuen Geschichten erzählt. Wir werden stets sagen, wir hätten schon Schlimmeres erlebt. Und vielleicht seien diese oder jene gar nicht wahr. Wenn die Vereinigten Staaten, die Geheimdienste von halb Europa, unsere Regierungen und die Zeitungen alle gelogen haben, warum dann nicht auch die BBC?"
    Buchinfos:
    Umberto Eco: "Nullnummer", Roman, Hanser, 240 Seiten, Preis: 21,90 Euro