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"Nun wird klar, ob das Regime ernst macht"

Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur arabischen Welt an der Universität Mainz, sagt, dass sich innerhalb der nächsten Woche herausstellen werde, ob das syrische Regime die Forderungen der Beobachtergruppe erfülle. Dazu gehöre ein Truppenrückzug aus den Städten und die Freilassung aller politischen Gefangenen.

Günter Meyer im Gespräch mit Dirk Müller | 27.12.2011
    Dirk Müller: Die Situation in Syrien ist auch unser Thema mit unserem Gesprächspartner Professor Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur arabischen Welt in der Universität in Mainz. Guten Tag!

    Günter Meyer: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Meyer, sind die Beobachter mehr als nur eine Beruhigungspille?

    Meyer: Das ist die große Frage. Aus der Sicht der Opposition ja, so wie wir das gehört haben, und auch das Regime unter Führung von Assad denkt sicherlich daran, dass es in der Lage sein wird, die Teilnehmer dieser Mission dorthin zu dirigieren, wo sie die eigentliche Zielsetzung für die Zustimmung zu diesem Abkommen dann erfüllen sollen, nämlich nachzuweisen, dass es vor allem terroristische Elemente sind, die gegen die Staatsmacht vorgehen. Also das Regime erwartet offenbar, dass es ihm gelingen wird, seine Position mithilfe der arabischen Delegation noch zu stärken.

    Müller: Auch weil viele Teilnehmer dieser arabischen Delegation - wir kennen die Namen immer noch nicht im Einzelnen - nicht gerade ausgewiesene Demokraten sind?

    Meyer: Nun, diesen Vorwurf hat man insbesondere dem sudanesischen General Mohammed Ahmed Addabi unterstellt, der für die Niederschlagung der Rebellion in Darfur verantwortlich ist. Aber die Zusammensetzung ist sehr breit gestreut. Unter der ersten Gruppe der 50 Soldaten sind auch zehn Ägypter, es sind Soldaten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mit dabei. Also diesen Vorwurf jetzt pauschal, es handele sich jetzt nicht um Demokraten, die hier eingesetzt werden, den sollte man durchaus kritisch sehen.

    Müller: Also Sie halten die Beobachter durchaus für glaubwürdig?

    Meyer: Es spricht zurzeit zumindest nichts dagegen, außer einigen Unterstellungen vonseiten der Opposition.

    Müller: Jetzt blicken wir, Herr Meyer, nach vorne. Die kommenden Tage, die kommenden Wochen: Was kann diese Mission erreichen?

    Meyer: Das wird sich jetzt innerhalb der nächsten Woche herausstellen, und das hat auch der Generalsekretär der Arabischen Liga erklärt. Innerhalb einer Woche wird klar sein, ob das Regime tatsächlich Ernst macht und den Plan durchführt, der von der Arabischen Liga vorgelegt worden ist, nämlich Rückzug aller Truppen aus den jeweiligen Städten, Rückzug und Einstellung der Kämpfe in den Gebieten, die von Zivilbevölkerung eingenommen werden, und darüber hinaus Freilassung aller politischer Gefangenen. Das dürfte innerhalb von einer Woche klar sein, ob das Regime bereit ist, auf diese Forderungen einzugehen.

    Müller: Baschar al-Assad wird in den Medien als Machthaber bezeichnet, als Diktator, auch als Mörder - auch gerade von der syrischen Opposition als Mörder gebrandmarkt -, ist Baschar al-Assad das Regime in Syrien?

    Meyer: Das Regime ist der Familienclan der alawitischen Assads und deren Angehörige. Auf der anderen Seite hat gerade Baschar al-Assad nach wie vor ein sehr hohes Ansehen in großen Teilen der Bevölkerung, ganz anders als sein jüngerer Bruder Maher, dem man die Brutalität des Vorgehens gegen die Demonstranten hier im Wesentlichen ankreidet. Er ist der Kommandeur der Republikanischen Garde, er kommandiert die vierte Division, die für die meisten der Toten unter den Demonstranten verantwortlich gemacht wird. Also es gibt hier offensichtlich auch einen Machtkampf innerhalb des Assad-Clans, wer im Endeffekt die Macht behalten wird, das muss sich noch zeigen.

    Müller: Wir hören ja zumindest in den westlichen Medien, Herr Meyer, fast nur Schlechtes oder nur Schlechtes über Baschar al-Assad. Jetzt sagen Sie, man muss das differenzieren, der ganze Familien-Clan steht hinter dieser Politik, die Sicherheitsbehörden, die Geheimdienste mit großer Wahrscheinlichkeit ja auch. Gibt es in irgendeiner Form ein Anzeichen dafür, dass Baschar al-Assad in Wirklichkeit etwas anders ist, als wir ihn gerne charakterisieren?

    Meyer: Die Informationen, die seit Jahren, seit er die Nachfolge seines Vaters angetreten hat, aus dem Lande kommen, deuten genau darauf hin, dass er durchaus liberalere Tendenzen vertritt, ein höheres Ansehen hat, während der große Teil der übrigen Machthaber, die sich aus der Gruppe der Alewiten, einer Minderheit unter zehn Prozent der Bevölkerung, rekrutiert, dass die jetzt wirklich um ihren Machterhalt, und nicht nur um den Machterhalt kämpfen muss, sondern auch Rache fürchten muss, gerade nach den zahlreichen Toten, die es seit Beginn der Rebellion gegeben hat. Es geht um das Überleben der alewitischen Bevölkerung, die allerdings Unterstützung bekommt. Unter anderem die Drusen, eine weitere Minderheit, haben sich hinter das Regime gestellt, auch große Teile der christlichen Bevölkerung stehen hinter Baschar al-Assad. Auch die beiden größten Städte, Damaskus, Aleppo - dort ist es ruhig, die Hälfte der Bevölkerung lebt in diesem Ballungsräumen, dort hat das Regime nach wie vor große Unterstützung, während der Widerstand vor allem aus den ländlichen Regionen kommt. Die verarmte bäuerliche Bevölkerung ist es einerseits, und die Rebellenhochburgen Homs, Hama, Idlib, wo sich der Widerstand konzentriert hat, und zwar in erster Linie von Sunniten, die etwa 80 Prozent der Bevölkerung stellen, und die klar durchaus auch islamistische Tendenzen, salafistische Tendenzen erkennen lassen, zumindest erwecken die öffentlichen Medien diesen Eindruck und schüren damit die Furcht vor einem Umsturz und sichern sich so die Unterstützung großer Teile der Bevölkerung nach wie vor.

    Müller: Da müssen Sie uns noch einmal helfen, Herr Meyer. Gehen wir doch einmal in die Perspektive der Regionen, die das Regime unterstützen beziehungsweise auch "zufrieden" sind mit dem Regime, mit Baschar al-Assad. Welche Kriterien sprechen dafür?

    Meyer: Ja, das Hauptkriterium ist immer, dass Minderheiten Unruhe fürchten. Die fürchten einen Machtwechsel, das gilt für die Drusen, das gilt ebenso für große Teile der christlichen Bevölkerung, die sich gerade eben in der Hauptstadt konzentrieren und ebenso in Aleppo, und es kommt hinzu: Große Teile der dort lebenden sunnitischen Bevölkerung, gerade die Mittelschicht, die Händler, kleine Unternehmen, die sehr unter Baschar al-Assad profitiert haben, das sind diejenigen, die große Angst haben, dass es bei einem Regimesturz dazu kommen wird, dass Islamisten die Macht übernehmen, und die deshalb nach wie vor das Regime stützen.

    Müller: Wenn wir, Herr Meyer, einmal von der Arabischen Liga absehen - das ist unser Thema heute, die Arabische Liga ist mit Beobachtern vor Ort, um in irgendeiner Form dort Verhandlungen zu führen -, welches Land hat jetzt noch nachhaltig Einfluss auf Damaskus?

    Meyer: Nun, Russland als wichtigster Verbündeter Syriens spielt eine wichtige Rolle. Russland ist der bedeutendste Waffenlieferant, zahlreiche syrische Offiziere sind in Russland ausgebildet worden. Russland hat auch starke wirtschaftliche Interessen im Land, und wir müssen durchaus sehen, dass Syrien keineswegs alleine steht. Der berühmte schiitische Bogen, das heißt, eine Allianz, und Unterstützung von libanesischer Seite, von irakischer Seite, vonseiten des Iran - hier sieht gerade Russland eine wichtige Möglichkeit, um dem ansonsten dominierenden Einfluss der USA ein weltpolitisches Gegengewicht entgegensetzen zu können.

    Müller: Aber demnach könnte das kontraproduktiv sein, dass Russland jetzt zumindest im Rahmen der UNO nun auch anfängt, Syrien deutlich zu kritisieren.

    Meyer: Das war sehr vorsichtige Kritik. Auch die Resolution, die von russischer Seite eingebracht worden ist, die ein Verbot jeglicher Gewalt sowohl vonseiten der Regierung als auch vonseiten der freien Syrischen Armee der desertierten Offiziere und Soldaten gefordert hat, das ist nach wie vor relativ ausgleichend und deutet durchaus auf einen richtigen Weg hin, nämlich die einzige Chance, wo man Syrien wirklich noch retten könnte, wäre in Form von Verhandlungen, diplomatische Verhandlungen, diplomatische Forderungen, die durchgesetzt werden, aber nicht durch eine militärische Intervention, noch dazu von außen, wie das immer lauter gefordert wird.

    Müller: Der Politikwissenschaftler Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität in Mainz. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Meyer: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.