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'Nur eine Garantie der Menschenrechte bringt mehr Sicherheit'

12.09.2002
    Remme: Wir wollen diesen Amtswechsel zum Anlass nehmen, die Situation der Menschenrechte zu beleuchten. Am Telefon ist Percy MacLeane, frischgebackener Direktor des neuen Instituts für Menschenrechte in Berlin. Guten Morgen, Herr MacLeane.

    MacLeane: Guten Morgen.

    Remme: Herr MacLeane, Menschenrechte, das ist ein weites Feld und das ist auch ein Thema, das für Sonntagsreden sehr empfänglich ist. Konkret: wo muss der neue UNO-Hochkommissar Ihrer Meinung nach inhaltliche Schwerpunkte setzen?

    MacLeane: Es wird zum Beispiel wichtig sein, einen Überwachungsprozess für die Menschenrechte einzuführen, in dem also jährlich möglicherweise Berichte von den verschiedenen Ländern auch von unabhängigen Gremien angefordert werden. Das ist eine Idee, die Mary Robinson noch in ihrer Abschiedsrede an ihren Nachfolger weitergegeben hat und ich halte das für eine sehr wichtige Frage.

    Remme: Warum gibt es die bisher noch nicht?

    MacLeane: Es gibt insgesamt in dem UNO-Menschenrechtssystem schon ein Berichtssystem, das wird aber so gehandhabt, dass die Staaten jeweils nach drei, vier Jahren oder in größeren Zeiträumen verpflichtet sind, Berichte über die Entwicklung der Menschenrecht abzugeben. Die Staatenberichte selbst sind zwar ein gutes Mittel nur nicht in dem Sinne unabhängig, da jeder Staat versucht, die Situation natürlich gutzureden und unabhängige Berichte sind da ein viel besseres Medium.

    Remme: Nun ist so ein Bericht ja eigentlich nicht mehr als ein Werkzeug. Wo muss er besonders hinschauen, wenn es um die Wahrung der Menschenrechte geht, wo ist der Handlungsbedarf am größten?

    MacLeane: Im Moment ist der Handlungsbedarf sicherlich am größten im Bereich Terrorismusbekämpfung, die weltweit dazu beigetragen hat, dass die Menschenrechte in den Hintergrund gedrängt worden sind. Es liegt hier, glaube ich, ein falsches Verständnis von Terrorismusbekämpfung vor, man kann nicht größere Sicherheit dadurch erreichen, dass man die Menschenrechte einschränkt, sondern das Gegenteil ist der Fall. Die Sicherheit wird man letztlich nur erlangen, indem man die Menschenrechte garantiert, indem man sie in ein größeres Konzept einbezieht, und da sehe ich eine ganz große Hauptaufgabe für die Zukunft.

    Remme: Sie haben gesagt, die Menschenrechte haben in den vergangenen Jahren gelitten. Hat man den Bogen bereits überspannt?

    MacLeane: In einigen Bereichen absolut. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass in England oder den USA Menschen jetzt monate- und jahrelang inhaftiert werden können ohne die Chance zu haben, einen Richter anzurufen oder überhaupt zu wissen, weshalb sie inhaftiert sind. Die Vorwürfe werden ihnen nicht genannt. Die Zeit ist unbefristet, sie können sogar mit dem Tode bestraft werden in den USA ohne eine Berufungsmöglichkeit und ohne dass es ein unabhängiges Gericht gibt. Da finde ich, ist der Bogen bei weitem überspannt.

    Remme: Sie haben die USA und Großbritannien angesprochen. Wie steht es mit der Situation hierzulande?

    MacLeane: Bei uns sind die Sicherheitspakete I und II eingeführt worden, die im Grundsatz, kann man vielleicht sagen, eine richtige Tendenz haben. Natürlich muss man gewisse Bestrebungen überwachen, die auch unsere Sicherheit gefährden können, aber in Einzelbereichen ist auch ein Übermaß zu beobachten. Wenn ich etwa sehe, dass heute jemand, der in einem Sicherheitsbereich tätig ist, im Flughafen oder vielleicht auch in einer Rundfunkanstalt, plötzlich entlassen werden kann, ohne dass ihm die Gründe genannt werden, weil es sich um geheimhaltungsbedürftige Erkenntnisse handelt, und auch bei Gericht müssen diese Erkenntnisse nicht unbedingt bekanntgegeben werden, dann sehe ich da ein ganz großes Problem.

    Remme: Der bayerische Innenminister Beckstein hat den Zeitpunkt sicher nicht zufällig gewählt, er nutzte den 11. September, um nach einer weiteren Verschärfung der Sicherheitsgesetze zu rufen. Sie selbst haben in den vergangenen Jahren als vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht in Berlin mit dem Ausländerrecht, mit der Asylrechtsprechung zu tun gehabt. Wie gefährlich ist der Appell von Herrn Beckstein?

    MacLeane: Wenn in Zukunft allein der Verdacht ausreichen soll, der nicht durch Tatsachen begründet werden muss, dass jemand in irgendeiner terroristischen Vereinigung tätig sein kann, um eine wirtschaftliche und soziale Existenz zu zerstören durch eine Ausweisung, dann sehe ich ein ungeheuer großes Problem darin, und ich glaube nicht, dass irgendein Gericht in Deutschland auf eine so vage Formulierung hin jemals eine Ausweisung bestätigen wird. Das halte ich für eine ganz verheerende Idee, die mit unserem Rechtsstaat nicht zu vereinbaren ist.

    Remme: Sie sind seit kurzem Direktor des Instituts für Menschenrechte in Berlin. Komisch, wird mancher sagen, habe ich noch nie von gehört. Das muss nicht verwundern, denn das Institut existiert erst seit kurzem, nicht wahr?

    MacLeane: Ja, so ist es. Im letzten August sind die ersten organisatorischen Einrichtungen geschaffen worden, aber es hat dann noch eine Weile gedauert. Das Personal muss jetzt zusammengefunden werden, wir sind im Aufbau und jetzt in letzter Zeit mal richtig an die Presse herangetreten, um auf uns aufmerksam zu machen.

    Remme: Sie sind ein unabhängiges Institut?

    MacLeane: So ist es. Die Unabhängigkeit ist durch die Satzung gewährleistet. Wir sind ein gemeinnütziger Verein, der aus Bundesmitteln finanziert wird, aber völlig unabhängig ist in seiner Politik.

    Remme: Das Institut soll zur Prävention von Menschenrechtsverletzungen und zum Schutz der Menschenrechte beitragen. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den Konflikt um einen Angriff auf den Irak?

    MacLeane: Ich bin grundsätzlich der Auffassung, dass es höchst problematisch ist, so hat es auch Mary Robinson gesagt, Böses mit Bösem zu vergelten. Man muss eigentlich heutzutage ganz andere Strategien der Versöhnung entwickeln, um Konflikte dauerhaft in den Griff zu bekommen. Das ist also grundsätzlich die These. Hinzu kommt im Fall des Irak, dass es höchst problematisch ist, völkerrechtlich ohne eine Grundlage durch den Sicherheitsrat zu haben, einen Präventivschlag zu starten. Damit wird das ganze UNO-Sicherheitssystem, das man in 50 Jahren mühsam aufgebaut hat, in Frage gestellt. Es kann nicht sein, dass jeder Staat einfach das Recht hat, nach Lust und Laune einfach über einen anderen Staat herzufallen, ohne dass da in irgendeiner Weise eine Kontrollmöglichkeit durch andere Gremien besteht.

    Remme: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat eine völlig andere Position eingenommen als der amerikanische Präsident, er schließt eine deutsche Beteiligung kategorisch aus. Allerdings auch unabhängig von einem UNO-Mandat. Ist seine Position deshalb nicht gleichermaßen falsch?

    MacLeane: Ein UNO-Mandat muss ja nicht bedeuten, dass jeder Staat verpflichtet ist, sich an einem solchen Einsatz zu beteiligen. Das ist eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat, aber nicht eine Verpflichtung. Die UNO hat ja auch keine eigene Armee. Es ist dann lediglich die Möglichkeit für einzelne Staaten eröffnet, sich dieser Ermächtigung zu bedienen.

    Remme: Aber Sie müssten doch mit Blick auf die Situation im Irak, auch auf die Situation der Menschenrechte, Handlungsbedarf sehen?

    MacLeane: Es ist ganz richtig, einerseits Druck auszuüben, auf der andere Seite ist aber auch die Frage, ob der Druck das geeignete Mittel ist. Sanktionen haben sich in der Geschichte immer als zweifelhafte Instrumente herausgestellt, vielleicht wäre ein ganz anderer Ansatz, um im Irak die Menschenrechte zu garantieren, dass man die Sanktionen aufhebt, dass man Wirtschaftshilfe dort hingibt oder humanitäre und zu einer Versöhnung mit dem irakischen Volk aufruft und dann gemeinsam mit den dort Verantwortlichen zu einer Verbesserung zu kommen. Das wäre langfristig sicherlich der bessere Weg. Insbesondere muss ein Dialog zwischen dem Westen und dem Islam stattfinden, das ist enorm wichtig und heute von eigentlich allen anerkannt und auf die Weise kann man das Prinzip der Sicherheit in einen größeren Rahmen stellen, in eine humanitäre menschliche Sicherheit, die viel stabiler ist, als eine militärische.

    Remme: Das war Percy MacLeane, der Direktor des Instituts für Menschenrechte in Berlin. Herr MacLeane, ich bedanke mich für das Gespräch.

    MacLeane: Bitteschön.

    Link: Interview als RealAudio