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Nur noch eine Frage der Zeit

Die Sanierung des Haushaltes wird für die Regierung Rajoy immer schwieriger. Ob das Land ohne ESM-Hilfen auskommt, scheint fraglich. Von einem "vollen Hilfsprogramm" wie für Griechenland, Portugal oder Irland ist allerdings nicht mehr die Rede. In Madrid wird an einem ganz anderen Modell gestrickt.

Von Hans-Günter Kellner | 10.10.2012
    Die Schlangen vor den spanischen Arbeitsämtern werden immer länger. Den Wirtschaftsprognosen zufolge soll die Erwerbslosenquote im nächsten Jahr die 25-Prozent-Marke übersteigen. Damit die Sozialleistungen den Haushalt nicht völlig durcheinanderbringen, werden Arbeitslosen jetzt nach sechs Monaten die Bezüge um die Hälfte gekürzt. Vor dem Arbeitsamt von Santa Eugenia in Madrid meint diese Frau:

    "Ich sehe schwarz. Mit den vielen Kürzungen, den vielen Arbeitslosen. So viele Leute sparen sich das Geld für die Wohnungen sogar vom Essen ab. Niemand kennt die Lösung, aber so wie es jetzt ist…"

    Und trotzdem muss die Regierung weiter kürzen. In ihrem Haushalt für 2013 hat sie Leistungen in Höhe von mehr als 13 Milliarden Euro gestrichen. Aber dennoch sinken die Gesamtausgaben nicht, warnt Volkswirt Juan Ignacio Conde-Ruíz:

    "Das Problem ist, dass bei uns jetzt Staatsanleihen fällig werden, die wir ursprünglich zu zwei Prozent verzinst hatten. Die müssen wir mit jetzt mit sieben Prozent refinanzieren. Diese Umstellung der Schulden ist sehr kompliziert. Wenn die Finanzierungskosten nicht sinken, ist das unmöglich."

    Um ein Drittel sind die Finanzierungskosten gestiegen, sie sind zum größten Haushaltsposten geworden. Conde-Ruiz warnt zudem, der Haushalt stehe auf wackligen Füßen: Die Regierung Rajoy schätze die volkswirtschaftliche Entwicklung deutlich optimistischer ein als alle unabhängigen Wirtschaftsinstitute und auch der Internationale Währungsfonds. Die Konsequenz wären weniger Steuereinnahmen und mehr Ausgaben, mitten im Haushaltsjahr drohen neue Kürzungen. Aber:

    "Die öffentlichen Gehälter haben schon um 25 Prozent an Kaufkraft verloren, das Arbeitslosengeld ist auch schon reduziert worden. Produktive Ausgaben wie Bildung und Forschung sollten auf keinen Fall angetastet werden. Es ist also wirklich schwer, Ausgaben zu senken, ohne an die Renten ranzugehen. Das ist sicher ungerecht. Man könnte sie wenigstens einfrieren. Immerhin machen die Renten 25 Prozent der Staatsausgaben aus."

    Die hohen Finanzierungskosten seiner Staatsschulden drängen Spanien also zu immer neuen Kürzungen, und trotzdem wird es für die Regierung Rajoy immer schwieriger, den Haushalt zu sanieren. In einer solchen Situation ist für die meisten Ökonomen die Frage nicht mehr, ob Spanien Hilfen aus dem Rettungsschirm beantragt, sondern wann. Regierungschef Mariano Rajoy zögere, weil Regionalwahlen anstehen, sagen viele Beobachter. Doch für Finanzmarktexperte Juan Ignacio Crespo liegt es nicht nur an Rajoy:

    "Bis vor Kurzem schien es noch, dass alle europäischen Regierungen Spanien unter den Rettungsschirm sehen wollten. Jetzt will Deutschland offenbar nicht schon wieder eine öffentliche Debatte über das Thema Eurohilfen haben. Was aber auffällt: Diese widersprüchlichen Haltungen der europäischen Regierungen haben auf den Finanzmärkten keinen neuen Sturm entfacht. Spanien hat ja sogar noch Zugang zu den Finanzmärkten, anders als damals Irland, Griechenland und Portugal."

    Darum spricht Crespo von einer "weichen Rettung". Die von Madrid angestrebte Lösung sei: Der ESM bürge nur für 30 Prozent der für die nächsten beiden Jahren vorgesehenen Kreditaufnahmen Spaniens, etwa für 50 Milliarden Euro. Die Europäische Zentralbank halte mit Anleihekäufen auf dem Kapitalmarkt die Zinsen niedrig und Spanien könne seine Schulden so refinanzieren. Spanische Medien sehen eine solche Rettung oft aber auch als Eingeständnis des eigenen Bankrotts, für das niemand den politischen Preis zahlen will. Die Arbeitslosen im Madrider Stadtteil Santa Eugenia sind da pragmatischer:

    "Natürlich habe ich auch Angst, aber es ist sicher positiv. Wenn wir schon Mitglied in der EU sind und Hilfe brauchen, sollten wir sie auch beantragen. Das ist ja keine Schande. Natürlich ist die Entwicklung in Portugal auch nicht gut. Aber die Kürzungen sind nun mal der Preis, den man zahlen muss. Niemand schenkt einem was."