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Nur oberflächliche Medienkritik

Der Anfang klingt gut, lässt eine Satire, eine Persiflage des Kulturbetriebs und ihrer Betreiber erwarten. Doch der 1980 in Kentucky geborene Autor Joey Goebel bleibt in seinem Roman "Vincent" nur an der Oberfläche, die Typen wirken steril und das 450 Seiten starke Buch wirkt wie am Reißbrett konstruiert.

07.02.2006
    Ein siebenjähriges Wunderkind, ein potentielles Genie wird von seinem künftigen Manager Harlan schriftlich vor der Laufbahn als Künstler gewarnt, sinngemäß so: Lieber Vincent, Du wirst nie ein Mädchen kriegen, Freunde werden dich verraten, die ersehnten besseren Zeiten werden ausbleiben, deinen Seelenfrieden kannst du für immer abschreiben. "Wir" werden dafür sorgen, dass du lebenslänglich unglücklich bleibst - denn nur so wirst du ein bleibendes künstlerisches Werk schaffen.

    Soweit Harlans Warnung an das Kind, soweit der Beginn des zweiten Romans von Joey Goebel. Ein vielversprechend boshafter Buchanfang, der allerhand Hoffnungen weckt auf eine Satire, auf eine Persiflage des Kulturbetriebs und ihrer Betreiber.

    Der 1980 in Kentucky geborene Autor Joey Goebel bleibt in seinem Roman "Vincent" allerdings an der Oberfläche; es ist ein Strohfeuer, das hier abgefackelt wird.

    Gegen Ende seines Lebens hat der Chef eines riesigen Medienkonzerns Gewissensbisse, weil er ein Vermögen damit verdiente, den Markt mit unsäglich schlechter Musik, Filmen und Fernsehserien überschwemmt zu haben. So gründet er eine Akademie, die begabte Kinder zu Künstlern ausbilden soll. Das Klischee, große Kunst erwachse aus großem Leid, wird von den Erziehern konsequent umgesetzt, so erklärt es Harlan auch Vincents Mutter. Die, eine drogenabhängige Hure, verkauft den Sohn gegen einen ansehnlichen Scheck an die Akademie. Von da an läuft Goebels Geschichte ab wie an der Schnur gezogen. Der Hund des Siebenjährigen wird vergiftet; das Haus, in dem er aufwuchs, brennt ab. Wenn er überhaupt einmal eine Freundin hat, wird sie bestochen, sich von ihm zu trennen, und so fort.

    Aus diesen Erfahrungen entsteht wunschgemäß große Kunst, - wobei die Bereiche Theater, Malerei und Literatur ausfallen, weil man mit ihnen kein großes Publikum erreicht. Also konzentriert man sich gewinnbringend auf Musik, Kino, Fernsehserien. Der jugendliche und erwachsene Vincent produziert unermüdlich, und seine Kreativität wird weiterhin "gefördert": Angehängte Krankheiten, Geldsorgen und einen brutalen Überfall durch einen dem Leser nicht sehr rätselhaften Unbekannten. Das zieht sich hin und ermüdet bald in seiner Vorhersehbarkeit. Wie sieht also der große Knall aus, der schließlich kommen muss?

    Harlans Manipulationen fliegen auf, Vincent rächt sich, indem er dem Erzieherfreund die Frau ausspannt. Als die beiden einander nach Jahren wiedersehen, schreibt Vincent zwar keine songs und Drehbücher mehr, hat aber seinen inneren Frieden gefunden. Harlan dagegen muss den hier vorliegenden Roman "Vincent" aus sich herausquälen, um besagten Frieden vielleicht auch eines Tages zu finden.

    Goebels zeigt einerseits, dass die Behauptung, Qualität setze sich durch, naiv ist: Erfolge auf dem Markt werden nicht dem Zufall überlassen, sondern sie sind genau kalkuliert, "gemacht". Andererseits geht seine schmunzelnd vorgeführte Medienkritik nicht über die Oberflächenklischees hinaus. Sie hat etwa denselben Unterhaltungswert, denselben kritischen Gehalt eines der Drehbücher Vincents. Das Ziel des Helden, Unterhaltung zu produzieren, ist dasselbe wie das des Romans, und darin liegt das Problem. Das heißt, dieses Buch beschreibt nicht nur, wie Erfolge inszeniert werden, sondern es folgt in seiner Machart selbst den Forderungen des Unterhaltungsmarkts. Der Roman ist wie am Reißbrett konstruiert. Kurze Kapitel, eingängige Charakterisierung der Hauptfiguren, die allerdings nicht mehr sind als Typen. Und pro Kapitel mindestens ein potentieller Lacher. Woran liegt es aber, dass man während der Lektüre weder übermäßig lacht, noch Mitleid für dem tumben Vincent fühlt?

    Lachen hat mit Überraschung zu tun, mit Spannung, mit Konflikt – aber hier wird auf 450 Seiten einfach brav ein Muster abgewickelt. Und warum sollte man Mitleid mit der Pappfigur Vincent haben? Wenn er leidet, erkennt man es an seiner Gesichtsblässe, seinen "umschatteten Augen", seiner Magerkeit. Geht es ihm gut, soll sich der Leser seine sinnlichen Lippen vorstellen.

    "Vincent" ist kein subtiles Buch, sondern geht direkt und frontal vor, und das in jeder Hinsicht. Ein Autor, der den bösen Buben gibt – nur, dass er dabei so nahe am braven ist. Wo Abgeklärtheit, Zynismus und Brutalität aufhören, fangen die so banalen wie bezweifelnswerten Allerweltsweisheiten an: Das künstlerische Werk ist ein Schrei nach Mom. Die Liebe heilt Alles. Wahre Künstler sind stark und bescheiden. Der Traum vom "anderen", guten Leben besteht in der Gründung einer Familie.