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Nutzen größer als Schaden

Virologie. - Seit Monaten wird unter Virologen, Medizinern und Terrorismusexperten über zwei wissenschaftliche Veröffentlichung diskutiert, die Experimente mit veränderten Vogelgrippeviren darlegen. Nach langem Hin und Her hat "Nature" jetzt den ersten der beiden Aufsätze publiziert. Die Wissenschaftsjournalistin Marieke Degen berichtet im Gespräch mit Monika Seynsche über die Veröffentlichung.

Marieke Degen im Gespräch mit Monika Seynsche | 03.05.2012
    Seynsche: Frau Degen, was ist denn das Besondere an dieser Arbeit?

    Degen: Na, die Arbeitsgruppe um Yoshi Kawaoka hat gezeigt, eben wie Sie gesagt haben, dass die Vogelgrippe sich so verändern kann, dass sich auch Säugetiere gegenseitig damit anstecken können, über Tröpfcheninfektion. In dem Fall waren das Frettchen. Und weil Frettchen das beste Grippe-Tiermodell für den Menschen sind, heißt das, dass sich möglicherweise eben auch Menschen gegenseitig mit der Vogelgrippe anstecken können. Das geht bislang eigentlich nicht. Bislang können sich Menschen nur an infizierten Vögel anstecken, aber nicht untereinander. Kurz gesagt: Die Forscher haben gezeigt, dass die Vogelgrippe H5N1 das Zeug dazu hat, eine Pandemie auszulösen. Und daran hatten manch bisher einfach nicht geglaubt.

    Seynsche: Jetzt sind ja alle Details veröffentlicht worden. Was genau haben denn die Forscher mit dem Vogelgrippe-Virus angestellt?

    Degen: Die Forscher haben sich nicht das ganze Vogelgrippe-Virus vorgenommen, sondern nur einen Teil. Das Hämagglutinin. Es ist ein Protein, das in der Hülle von Vogelgrippe-Viren sitzt, und das spielt bei der Infektion eine sehr, sehr wichtige Rolle. Es sorgt nämlich dafür, dass das Virus überhaupt an eine Körperzelle andocken kann, in dieser Zelle eindringen kann, um sich dort zu vermehren. Das Hämagglutinin der Vogelgrippe ist das H5, deshalb heißt Vogelgrippe auch H5N1, und dieses H5 ist so aufgebaut, das es ziemlich gut an Vogelzellen andocken kann, aber nicht gut an Säugetierzellen. Und was die Forscher als erstes gemacht haben, ist: Sie haben dieses H5 immer wieder verändert, und zwar so lange, bis es dann irgendwann auch ganz gut an solche Zellen andocken konnte.

    Seynsche: Und dann?

    Degen: Na, dann haben Sie dieses veränderte H5 genommen und in ein anderes Grippevirus eingeschleust, und zwar in die Schweinegrippe H1N1, die kennen wir alle, die hat ja 2009 eine Pandemie ausgelöst. Die ist also hochansteckend für Säugetiere. Und das Ergebnis war eben ein Schweinegrippevirus mit dem Hämagglutinin der Vogelgrippe. Also praktisch wieder ein H5N1. Mit diesem Virus haben die Forscher dann Frettchen infiziert, immer wieder. Und irgendwann hat sich das Virus von allein so weit entwickelt, dass sich die Frettchen gegenseitig angesteckt haben. Und dann haben sich die Forscher das Virus dann noch mal ganz genau angesehen und festgestellt, dass das Hämagglutinin, das H5, an vier Stellen verändert war. Und sehr wahrscheinlich haben genau diese Veränderungen dazu geführt, dass sich die Frettchen gegenseitig anstecken konnten.

    Seynsche: Sie haben gesagt, die Frettchen konnten sich gegenseitig mit dem Virus anstecken. Wie gefährlich ist das Virus denn für die Tiere?

    Degen: Na, die Frettchen sind krank geworden, sie haben an Gewicht verloren, ihre Lungen waren auch geschädigt, aber sie sind nicht gestorben. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt. Denn wenn man Frettchen normalerweise mit der normalen Vogelgrippe infiziert, dann sterben sie meistens. Hier aber nicht. Und das zeigt, dass dieses neue Grippevirus wohl durch diese ganzen Veränderungen auch einfach nicht mehr ganz so gefährlich für die Frettchen war.

    Seynsche: Warum ist denn dann trotzdem monatelang darüber gestritten worden, ob diese Ergebnisse veröffentlicht werden oder nicht?

    Degen: Es ist schon darüber gestritten worden, wobei man sagen muss, die Arbeit von Yoshi Kawaoka, um die es geht, die hat längst nicht so viel Wirbel gemacht wie die Arbeit von Ron Fouchier in Rotterdam. Bei Ron Fouchier hieß es einfach schnell: Der hat ein Supervirus geschaffen, das die Frettchen reihenweise dahinrafft. Was ja, wie wir inzwischen wissen, überhaupt nicht der Fall ist, aber das wurde eben so berichtet. Und da war die Angst unheimlich groß, dass das Virus auch für Menschen so gefährlich sein könnte, und dass Terroristen das Virus nachbauen könnten, oder dass andere Forscher dieses Virus nachbauen, dass es dann aus einem Labor entwischt und Menschen in Gefahr bringt. Bei Yoshi Kawaoka war das ein bisschen anders. Da war immer die Rede davon, dass die Frettchen nur krank werden, in Anführungszeichen, und trotzdem hat "Nature" natürlich auch eine Risikoanalyse machen lassen, und da steht auch ganz klar: Ein sehr gutes Labor kann dieses Virus jetzt, wo die Details offen liegen, natürlich jederzeit nachbauen, das ist gar kein Problem. Was aber keiner weiß, ist, ob dieses Virus, so wie es jetzt ist, eben auch Menschen krank machen würde. Die Forscher haben ja nur Frettchen getestet und keine Menschen.

    Seynsche: Eine der Argumentation, warum man diese Studie veröffentlichen sollte, war ja: Dass die Forscher wissen sollten, wie dieses Virus aussieht, damit sie es in der Natur besser überwachen können. Aber eben haben Sie uns erzählt, wie kompliziert es ist, dieses Virus neu zu schaffen aus Schweinegrippe- und Vogelgrippe-Viren. Ist es da überhaupt wahrscheinlich, dass so ein Virus wirklich in der Natur einfach so entsteht?

    Degen: Ja, das kann theoretisch geschehen. In der Natur können verschiedene Grippeviren auch aufeinandertreffen. Zum Beispiel wenn sie dasselbe Tier infiziert haben, also wenn sie sich quasi in einer Zelle treffen, dann können sie möglicherweise sich auch vermischen. Und wenn man sich mal Schweine anschaut, bei den Schweinen ist Schweinegrippe ziemlich weit verbreitet, und man hat auch schon die Vogelgrippe bei Schweinen gefunden. Das heißt, die Viren hätten da schon die Gelegenheit aufeinander zu treffen. Und das war übrigens auch die große Angst damals, bei der Schweinegrippe-Pandemie vor drei Jahren, dass genau das passiert. Und deshalb sagen Forscher auch: Wir müssen die Vogelgrippe, also die H5N1-Viren viel besser überwachen. Und die Viren dann auch sehr sorgfältig analysieren. Bei Menschen, die sich infiziert haben, aber eben auch bei Schweinen. Und dann genau schauen, wie dieses Hämagglutinin, dieses H5 aussieht. Also, ob diese Veränderungen, die Kawaoka ausgemacht hat, ob die da vielleicht auftauchen. Weil, das wäre wahrscheinlich ein Hinweis darauf, dass sich die Vogelgrippe an Säugetiere anpasst.