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"NZZ" und "Standard" in Deutschland
Kurswechsel und Kommentarspalten

Die "NZZ" aus der Schweiz und "Der Standard" aus Österreich hatten schon lange Leser aus Deutschland, als sie im vergangenen Jahr eigene Angebote für den deutschen Markt lancierten. Beide Verlage setzen seitdem vor allem auf redaktionelle Synergie-Effekte - und konnten neue Nischen für sich besetzen.

Von Christopher Ophoven | 18.04.2018
    Blick auf auf die Fassade des Verlags "Neue Zürcher Zeitung", an der Falkenstrasse in Zürich. Aufnahme von 2003.
    Die "Neue Züricher Zeitung" aus der Schweit ist seit 2017 mit dem Angebot "NZZ Perspektive" auf dem deutschen Markt vertreten (dpa / Keystone / Eddy Risch)
    Eins haben "NZZ" und "Standard" gemeinsam: Beide Verlage haben seit jeher Leser aus Deutschland, und die Wachstumsmöglichkeiten auf dem heimischen Markt sind begrenzt. Wohl deshalb fiel bei beiden die Entscheidung, vor gut einem dreiviertel Jahr, nach Deutschland zu expandieren. Beide Verlage setzen dabei vor allem auf redaktionelle Synergie-Effekte. Beim "Standard" zeigt sich das vor allem in der Themenplanung, sagt Florian Jungnikl-Gossy, der Projektleiter von derstandard.de.
    "Welches Thema können wir denn für Österreich groß machen? Welches Thema ist in Deutschland groß? Welches Thema das in Deutschland groß ist können wir jetzt auch in Österreich groß machen? Im Idealfall profitieren beide Kanäle also derstandard.de und derstandard.at vor allem weil natürlich auch viele Themen nicht an den Grenzen halt machen."
    Täglich über 30.000 Nutzer-Kommentare
    Beim "Standard" bleiben die Artikel für die österreichische und für die deutsche Ausgabe die gleichen. Aber die Themen werden auf der Startseite unterschiedlich angeordnet. Auf der österreichischen Seite stehen innenpolitische Themen ganz oben, auf der Deutschen vor allem internationale. Der Kommentarbereich ist auf beiden Seiten identisch. Und mit täglich über 30.000 Nutzer-Kommentaren laut eigener Aussage der größte aller journalistischen Portale im deutschsprachigen Raum.
    Screenshot des Internetauftritts "derstandard.de" am 25.7.2017
    Deutsche Themen im Fokus: Internetauftritt des Angebots "derstandard.de" (Screenshot des Internetauftritts derstandard.de)
    Für Journalistik-Professor Klaus Meier von der Katholischen Universität Eichstätt ist das ein großes Plus.
    "In einer Zeit, in der deutsche Webangebote eher vorsichtig sind mit Nutzerkommentaren, das auch zurückfahren, ist hier "Der Standard' sicherlich in eine Nische eingedrungen wo gar nichts reglementiert ist, wo jeder mitdiskutieren kann."
    Projekt noch in der Testphase
    Auch deshalb ist Florian Jungnikl-Gossy zuversichtlich, dass die deutsche Seite des "Standard", die nur auf Reichweite setzt und keine Bezahlschranke hat, ein wirtschaftlicher Erfolg wird.
    "Das Ziel ist definitiv erreichbar und ich kann mir auch vorstellen, dass das nicht mehr sehr lange dauern wird."
    Wie es mit derstandard.de weitergeht, verriet er ebenso wie Nutzerzahlen nicht. Das Projekt befinde sich noch immer in einer Testphase heißt es. Journalistik Professor Klaus Meier hält die Gewinnerwartung aber für plausibel.
    "Das auszubauen und zu nutzen ist glaube ich schon eine ökonomisch tragfähige Nische, wenn man jetzt nicht gleich dutzende von Redakteursstellen dafür investiert."
    Otfried Jarren vermisst liberale Haltung
    Bei den Schweizern ist das Prinzip ähnlich. Das E-Paper "NZZ Perspektive" ist letztlich nur eine abgespeckte Version der Originalausgabe, dafür aber deutlich günstiger. Wie es aussieht, gibt es in Deutschland also eine Leserschaft, die den unaufgeregten Blick von außen schätzt.
    Und genau den hatte die "NZZ" beim Start der deutschen Seite auch versprochen. Ebenso aber auch eine liberale Haltung, die man nun, ein Jahr nach dem Start, doch ziemlich vermisst, sagt Otfried Jarren, Professor für Publizistik an der Universität Zürich.
    "Man erkennt zurzeit nur ein hin und her und ein politisches Links/Rechts, wobei das Rechts sozusagen stärker wird - also man betont stärker den rechten Geist."
    Kurswechsel als Kalkül
    Ein Vorwurf der zuletzt häufiger zu hören war, was sich auch an der Auswahl der Gastkommentatoren zeigt. Auch Chefredakteur Eric Gujer scheint eine stark konservative Zielgruppe bedienen zu wollen, wenn er sich in Kommentaren etwa für eine deutsche Leitkultur ausspricht oder im Kontext der Flüchtlingspolitik schreibt, die CDU habe die Idee des Staatsvolks aufgegeben. Von der AfD gibt es dafür Applaus, aber zur eigentlich liberalen "NZZ" passt das weniger.
    Hinter diesem Kurswechsel vermutet Otfried Jarren nicht nur eine Neuausrichtung sondern auch Kalkül.
    "Aus Profitorientierung, also wie kann ich Kapital draus schlagen und wie man mit diesen Produkten im deutschen Markt reüssieren will, sehe ich nicht, also ökonomisch im Sinne von wer zahlt dafür das Abo oder von mir aus für eine einzelne Nutzung oder welcher Werbekunde ist bereit das mitzufinanzieren."
    Bis heute bleibt die Zahl der Abonnenten des E-Papers ein Geheimnis. Zu einem Interview war leider niemand aus dem Haus der "NZZ" bereit. Am Telefon hieß es zwar erst, ein Interview sei prinzipiell möglich. Später gab es aber eine Absage – aus terminlichen Gründen. Auf die Nachfrage, ob nicht ein anderer Termin möglich sei, hieß es schließlich: NZZ-Chefredakteur Eric Gujer wolle sich persönlich mit der Chefredaktion des Deutschlandfunk in Verbindung setzen.