Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


"Ob alles in Ordnung ist, muss sich erst zeigen"

Der Online-Service Google Street View soll noch in diesem Jahr in Deutschland starten. Nicht nur der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar ist skeptisch, ob Google seine Ankündigung einhält, eine Balance zwischen Privatsphäre und Unternehmensinteressen zu wahren. Unterdessen sieht Google-Pressesprecherin Lena Wagner sich durch das große Nutzer-Interesse bestärkt.

Lena Wagner und Peter Schaar im Gespräch mit Silvia Engels | 11.08.2010
    Engels: Street View heißt das Programm, das im Herbst auch für deutsche Straßen auf den Markt kommen soll. Es ermöglicht dem Nutzer im Internet, detailliert die Fassaden von Straßenzügen, das Straßenleben und einzelne Häuser bis hin zum Blick in den Vorgarten anzuschauen. Autos und zufällig fotografierte Personen werden im Netz durch Verpixelung unkenntlich gemacht und die Befürworter versprechen sich von dem Service Werbevorteile für Restaurants oder Hotel und bessere Informationen für Immobilieninteressenten. Gegner warnen vor Verletzung der Privatsphäre und Datenschutzproblemen. Am Telefon ist Lena Wagner. Sie ist die Pressesprecherin von Google in Deutschland, also dem Konzern, der Street View anbieten will. Guten Morgen, Frau Wagner.

    Lena Wagner: Schönen guten Morgen!

    Engels: Der Eigentümerverband Haus und Grund rät, der Veröffentlichung der Immobilie bei Google zu widersprechen. Viele andere halten das Vorgehen von Google, in diesem Jahr schon zu starten, für voreilig. Sind Sie enttäuscht über die Reaktion?

    Wagner: Nein, enttäuscht sind wir nicht. Was wir natürlich feststellen ist, dass der Dienst Street View schon von vielen genutzt wird. Das gibt es schon in über 23 Ländern. Das heißt, wir sehen jetzt schon, dass Hunderttausende von deutschen Nutzern wöchentlich diesen Dienst nutzen, um beispielsweise ihren Urlaub zu planen. Man kann zum Beispiel mit Hilfe von Street View sehen, ist mein Hotel, was ich in Paris gebucht habe, wirklich so schön, liegt es vielleicht an einer viel befahrenen Straße, habe ich Restaurantmöglichkeiten in der Umgebung. Insofern sehen wir, dass der Dienst jetzt schon von deutschen Nutzern angenommen wird, und das stimmt uns natürlich auch optimistisch.

    Engels: Auf der anderen Seite – wir haben es gerade noch mal beim Passauer Oberbürgermeister gehört – sehen es viele Besitzer einer Immobilie irgendwie als ungerecht an, dass sie einer Aufnahme von Google widersprechen müssen. Das Rechtsempfinden vieler geht dahin, dass Google umgekehrt um Erlaubnis fragen müsste, wenn das Haus fotografiert wird.

    Wagner: Uns ist es natürlich wichtig, dass wir dem Nutzer Wahlmöglichkeiten geben. Insofern haben wir verschiedene Mechanismen, sodass er gegen eine Abbildung seines Hauses widersprechen kann. Das ist einmal auf schriftliche Art und Weise möglich und ab nächster Woche bieten wir auch ein Online-Tool an, wo es damit noch leichter wird. Aber auch wenn der Dienst erst mal online ist, kann man mit einem leichten Klick auf einen Link – der heißt "ein Problem melden" – ganz einfach Google mitteilen, ich möchte mein Haus nicht haben. Würden wir das Ganze anders herum machen, also die Leute erst um Erlaubnis bitten, hätten wir eine Flut von Daten, die wir jetzt gar nicht haben. Das heißt ja, wir müssten von jedem Bürger den Namen haben und von jedem Bürger die Adresse, und das ist natürlich eine Datenansammlung, die wir gar nicht haben wollen.

    Engels: Was passiert denn mit den Daten derjenigen, die bei Ihnen widersprechen, sei es jetzt online oder per Post?

    Wagner: Wir bekommen natürlich die Adresse, damit wir den Widerspruch durchführen können, und das ist auch wirklich der einzige Zweck, wofür wir diese Adresse verwenden. Das ist ganz wichtig. Wir geben diese Daten nicht an Dritte weiter, geschweige denn, dass wir sie verkaufen. Das passiert natürlich überhaupt nicht. Wir verwenden diese Adresse ganz klar nur, um den Widerspruch umzulegen.

    Engels: Widerspruch kann man nach jetzigen Planungen erst mal nur vier Wochen lang einlegen. Ist das nicht zu knapp, erst recht in der Ferienzeit?

    Wagner: Man kann einen Widerspruch einlegen seit Mai 2009. Das haben wir mit den deutschen Datenschützern so besprochen. Seit Mai 2009, also seit über einem Jahr, nehmen wir jetzt schriftliche Widersprüche entgegen. All diese Widersprüche, die schon bei uns angekommen sind, werden selbstverständlich bearbeitet. Also das heißt, derjenige, der schon einen Widerspruch geschrieben hat, muss sich um nichts mehr kümmern. Sein Haus wird entfernt werden, bevor wir mit dem Dienst live gehen. Diese Vier-Wochen-Frist gilt nur für dieses Online-Tool, was wir nächste Woche online stellen werden, und gilt auch nur für die 20 Städte, in denen wir launchen werden, und diese Frist brauchen wir, damit wir hinterher noch genügend Zeit haben, um wirklich die Widersprüche umzusetzen, damit wir garantieren können, dass wirklich kein Haus in Street View drin ist, was nicht in Street View drin sein soll.

    Engels: Viele Fotos, die gemacht wurden, sind ja mittlerweile schon etwas betagter. Im Sommer 2008 ging es ja los. Dazu kommt jetzt diese Widerspruchsregelung, die möglicherweise dafür sorgt, dass die Straßen gar nicht so genau erfasst werden. Geht da irgendwann auch der Effekt verloren? Das heißt, kann man dann einfach veraltete oder unkenntlich gemachte Fotos gerade nicht für die Vorteile nutzen, die Sie sich versprechen, also Informationen über Immobilien, Restaurants oder Hotels?

    Wagner: Uns ist es natürlich ganz wichtig, dass wir die richtige Balance finden, und zwar die Balance zwischen dem Schutz der Privatsphäre auf der einen Seite und natürlich dem Informationsgehalt und dem Nutzwert des Dienstes auf der anderen Seite. Deswegen haben wir uns auch dazu entschieden, dass wir die Häuser, für die wir einen Widerspruch bekommen haben, verpixeln, das heißt unkenntlich machen. Das wird dann verwischt, sodass keine Details mehr erkennbar sind. Stattdessen sieht man wirklich einen blinden Fleck sozusagen.
    Die andere Möglichkeit wäre gewesen, das Bild komplett herauszunehmen, sodass man einen schwarzen Fleck hat. Das ist natürlich für die Nutzerfahrung nicht schön, und deswegen haben wir mit dem Hamburger Datenschutzbeauftragten uns auf diese Verwischtechnik geeinigt. Sicherlich werden da Informationen verloren gehen, aber wie gesagt: Die Balance ist natürlich wichtig. Wir wollen natürlich auch die Privatsphäre wahren.

    Engels: Datenschützer und die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner verlangen von Google, den Kartendienst für Deutschland erst freizugeben, wenn sämtliche Widersprüche von Anwohnern berücksichtigt sind. Machen Sie das und wann startet dann der Service?

    Wagner: Das haben wir ganz klar den Datenschützern zugesagt und daran halten wir uns auch. Wir haben gemeinsam mit dem Hamburger Datenschutzbeauftragten einen Maßnahmenkatalog zum Schutz der Privatsphäre erarbeitet – der umfasst 13 Punkte – und wir haben zugesagt, dass wir mit dem Dienst erst live gehen, wenn wir wirklich die 13 Punkte abgearbeitet haben. Insofern freuen wir uns, dass wir dieses Jahr noch Street View starten können, da wir alle 13 Punkte abgearbeitet haben.

    Engels: Vielen Dank, Frau Wagner. Sie ist die Pressesprecherin von Google in Deutschland. Wir sprachen mit ihr über Street View und die Einwände, die jetzt noch geäußert werden. Mitgehört hat auf der anderen Leitung der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar. Guten Morgen, Herr Schaar.

    Peter Schaar: Guten Morgen!

    Engels: Was sagen Sie zu den Argumenten, die Frau Wagner da vorträgt? Ist jetzt alles in Ordnung?

    Schaar: Na ja, ob alles in Ordnung ist, muss sich erst zeigen. Das ist eine Ankündigung des Unternehmens, dass man sich an getroffene Vereinbarungen halten will, dass man eine Balance zwischen den Interessen des Betroffenen an Privatsphäre und den Interessen des Unternehmens hier herstellen will. Das ist sozusagen die Ankündigung. Was uns natürlich schon wieder so etwas skeptisch stimmt, ist, dass das Unternehmen doch hier quasi überfallartig verkündet, man könne jetzt innerhalb von ganz kurzer Zeit ein Tool verwenden, dessen Funktionsweise uns bisher als Datenschützer noch nicht bekannt ist. Auch das genaue Verfahren, wie damit dann umzugehen ist, werden wir jetzt erst kennen lernen, und da wird sich sicherlich auch gar nichts mehr ändern lassen. Viel sinnvoller wäre es gewesen und sicherlich auch als vertrauensbildende Maßnahme wäre dem Unternehmen sicherlich zugutegekommen, wenn man das in einem geordneten Verfahren eingeführt hätte, oder einführen würde. Diese Zusagen stammen ja in der Tat – das hat Frau Wagner richtig gesagt – aus dem letzten Jahr. Das heißt, das Unternehmen hat bestimmte Dinge vor langer Zeit zugesagt und jetzt wird gesagt, jetzt setzen wir das im Rahmen eines solchen Tools um, und - für uns dann auch überraschend - in der Ferienzeit hat man dann vier Wochen ein Zeitfenster, ein bestimmtes Tool zu nutzen. Diese Notwendigkeit, das auf vier Wochen zu begrenzen und diese vier Wochen nun gerade in die Ferienzeit zu legen, sehe ich überhaupt nicht ein. Also ich denke, da muss noch drüber geredet werden.

    Engels: Das heißt, die Regeln, wie sie jetzt zum Widerspruch gelten, halten Sie datenschutzrechtlich möglicherweise für in Ordnung, aber Sie zweifeln an der korrekten Umsetzung?

    Schaar: Ich finde es richtig und ich finde es gut, dass Google sich hier bewegt hat. Aber man muss andererseits auch sagen, das war ja sehr mühselig, Google dazu zu bringen, und die Google-Verantwortlichen sagen ja auch überall, dass diese Rechte dieser Balance nur in Deutschland gewährt werden. In anderen Staaten, wo es genauso Kritik gibt – denken Sie an die Schweiz, denken Sie an Tschechien -, sind solche Zusagen bisher ausgeblieben. Das heißt also, nur wenn Druck da ist, reagiert das Unternehmen. Das ist, finde ich, keine moderne datenschutzfreundliche Unternehmenskultur. Und vor Kurzem ist ja dann auch noch herausgekommen, dass die Google-Fahrzeuge neben den Bildern auch noch eine Kartografie der Funknetze vornehmen. Mittlerweile hat das Unternehmen eingestanden, dass das ein Versehen sei und natürlich ein Rechtsbruch war. Also das ist eben doch etwas, wo man doch immer wieder sehr genau hinschauen muss als Datenschutzaufsichtsbehörde.

    Engels: Spricht da einfach ein allgemeines Misstrauen, ein Unbehagen gegenüber einem allumfassenden Weltkonzern wie Google, denn immerhin hat ja Google kooperiert?

    Schaar: Google hat kooperiert, aber wie gesagt, ist es ein sehr mühseliger Prozess, wo man um jeden einzelnen Punkt immer sehr stark ringen muss. Vielleicht hat ja auch ein Stück zu den Konzessionen beigetragen, dass wir hier auch von der Politik eine massive Unterstützung erfahren haben. Das Verbraucherschutzministerium hat ja hier auch sehr intensiv auf Google eingewirkt. Es hat auch von allen politischen Parteien sehr kritische Stimmen gegeben. Und insofern haben wir hier in Deutschland tatsächlich eine Situation, wo dieser Weltkonzern meinte, sich bewegen zu müssen. Aber letztlich kann es nicht darum gehen, dass man quasi auf die Gnade oder das Entgegenkommen eines Unternehmens angewiesen ist, sondern dass bestimmte Regeln aufgestellt werden und die müssen dann eingehalten werden, und zwar unabhängig davon, ob das Unternehmen selbst den Anspruch hat, nur Gutes zu tun, oder ob es wirklich nur um gute Geschäfte geht.

    Engels: Nutzen sie da im Moment einfach auch die Möglichkeiten, beziehungsweise verderben Sie möglicherweise Google-Nutzern eine Möglichkeit, sich über Immobilien, über Hotels oder Gaststätten selbst ein Bild zu machen? Ist man da vielleicht auch in Deutschland besonders empfindlich? In Großbritannien hat man damit ja zum Beispiel kein Problem.

    Schaar: Ob man, sage ich mal, mit Google kein Problem hat, mit den Praktiken, in Großbritannien generell alle Menschen, oder auch in den USA, da bin ich anderer Auffassung. Ich weiß, dass die Kritik an den Praktiken des Unternehmens gerade in den USA sehr massiv ist, dass in vielen US-Bundesstaaten gegen Google ermittelt wird wegen der heimlichen Erfassung dieser Funknetze. Insofern ist es sicherlich keine auf Deutschland begrenzte Kritik. Aber richtig ist: Bei uns ist diese Kritik öffentlich lauter vernehmbar gewesen und dementsprechend hat es Reaktionen gegeben, was ich begrüße. Wichtig ist mir jetzt allerdings, dass man eben nicht nur bezüglich Google, sondern auch bezüglich anderer Unternehmen entsprechende klare Vorgaben macht, und dann muss man natürlich auch noch mal darüber nachdenken, ob diese Widerspruchslösung, wie sie jetzt hier eingerichtet wurde, tatsächlich der Weisheit letzter Schluss ist. Wenn jetzt andere Unternehmen das gleiche machen, muss man jetzt praktisch immer hinterherhecheln und bei jedem dieser Unternehmen möglicherweise sehr aufwendig Widerspruch einlegen. Das ist natürlich eine Vorgehensweise, die man kaum jemandem zumuten kann.

    Engels: Frau Wagner hat mitgehört in der anderen Leitung. Sie wollten noch mal kurz antworten.

    Wagner: Genau. Also wichtig ist es, hier zu verstehen, dass wir wirklich mit den Datenschutzbeauftragten im engen Kontakt sind und natürlich auch den Prozess dieser Widerspruchsmöglichkeit eng mit ihnen abgestimmt haben. Dass das ganz überraschend kam, kann ich hier so nicht bestätigen. Wichtig zu verstehen ist einfach, dass uns natürlich die Privatsphäre ganz wichtig ist, und nicht nur bei Street View, sondern in all unseren Produkten. Aber wir sehen natürlich auch einen Nutzen in diesem Produkt. Sonst würden wir es natürlich nicht anbieten. Und die Nutzerzahlen sprechen für sich, dass die deutschen Nutzer einen Mehrwert darin sehen. Insofern freuen wir uns, dass wir da die Möglichkeit geben können.

    Engels: Vielen Dank, Frau Wagner noch einmal. Ich bedanke mich bei beiden für das Gespräch. Peter Schaar war das, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, und die Pressesprecherin von Google in Deutschland, Lena Wagner.

    Weitere Informationen zum Thema:
    Bundesdatenschutzbeauftragter: Fragen und Antworten zu Street View
    google.de/streetview
    Google führt Street View bis Ende des Jahres in Deutschland ein (Google.de)
    Fünf Fragen zu Google und Street View (Google.de)

    Weitere Beiträge bei dradio.de:
    10.8.2010 - Google: Start von Street View in Deutschland bis Jahresende
    - Aigner will Google-Zusagen zu dem Internetdienst prüfen
    Hintergrund, 14.2.2010 - Das andere Gesicht des freundlichen Riesen
    Googles Geschäftsmodell auf dem Prüfstand (DLF) *

    Hintergrund 21.5.2009 - Wem gehört das Wissen?
    Der Streit um Google und das Urheberrecht im Netz (DLF) *
    US-Internethändler nutzen Google-Streetview bereits für das so genannte Geoscoring.
    US-Internethändler nutzen Google-Streetview bereits für das so genannte Geoscoring. (Google Maps)
    Ein Auto, das für Kamerafahrten für den Dienst Street View ausgerüstet wurde.
    Googles Auge: Ein Auto, das für Kamerafahrten für den Dienst Street View ausgerüstet wurde. (AP)