Hörspiel des Monats

Patentöchter

Mit einem Schweigemarsch durch die Frankfurter Innenstadt gedenken am 4. August 1977 etwa 3000 Bankangestellte des ermordeten Vorstandssprechers der Dresdner Bank, Jürgen Ponto.
Jürgen Ponto war am 30. Juli 1977 in seinem Haus in Oberursel bei Frankfurt von RAF-Terroristen erschossen worden. 3000 Bank-Angestellten gedachten seiner in der Frankfurter Innenstadt. © picture alliance / Manfred Rehm
Hörspiel von Julia Albrecht und Corinna Ponto  · 06.01.2018
40 Jahre Deutscher Herbst: Die Täter der RAF schweigen noch nach Jahrzehnten beharrlich. Julia Albrecht, Schwester einer RAF-Terroristin, und Corinna Ponto, Tochter eines Opfers der RAF, haben dagegen einen Dialog begonnen, der den Graben zwischen Angehörigen der Täter und der Opfer überspringt.
Die Jury, die "Patentöchter" zum Hörspiel des Monats gekürt hat, schreibt in ihrer Begründung:
„Unter dem Vorwand eines Besuchs zum Tee betrat Susanne Albrecht 1977 mit RAF-Genossen die Villa ihres Patenonkels Jürgen Ponto, den ihre Begleiter Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt kurz darauf erschossen. Ein dreister Verrat ermöglichte diesen Anschlag auf den Vorstandssprecher der Dresdner Bank.
Erst 30 Jahre danach wagen Julia Albrecht und Corinna Ponto wieder den Kontakt zwischen den einst befreundeten Familien, die in die disparaten Rollen von Täter- und Opferseite gerieten. Die eine ist die kleine Schwester der Terroristin, die andere die Tochter des Ermordeten.
Aus beider jahrelang getrenntem Nachdenken über den Fall, der jede von ihnen drastisch, aber anders in Mitleidenschaft zog, entsteht eine kluge Auseinandersetzung ohne falschen Ton, wie nun zu hören ist. Dieser ungewöhnliche Dialog, den Corinna Kirchhoff und Inka Friedrich sprechen, findet im akustischen Medium seine größtmögliche Klarheit und Prägnanz.
In Engführungen und spannungsreichen Parallelmontagen gewinnen im Hörstück zwei Perspektiven und zwei Personen Konturen. Sie durchleuchten Beweg- und Hintergründe, Tragik und Tragweite des Terroranschlags, und dies umso intensiver, je mehr die Schuldigen der RAF schweigen.
Susanne, die nach Verrat und jahrelangem Untertauchen in der DDR überhaupt familiäre Erinnerungen löschte, Erklärungen dazu verweigert und sich unter neuem Namen in eine andere Identität einkapselt, provoziert als Leerstelle.
Im Gegenzug führen hier Julia Albrechts und Corinna Pontos Erkenntnisprozesse weit über den Gerichtsprozess hinaus. Corinna Ponto, die die Vernichtung und den Verschluss wichtiger Akten detailliert anprangert, vermutet punktuelle Verdunkelung seitens des BND und recherchiert in der Birthler-Behörde zum Anteil der Stasi am Fall Ponto.
Wann gibt es Aufarbeitung statt Mythenbildung? Noch enden die Recherchen des Autorinnenduos mit Fragezeichen.”
Bearbeitung: Mirko Böttcher
Regie: Annette Kurth
Mit Corinna Kirchhoff, Inka Friedrich und Guido Lambrecht
Produktion: WDR 2017
Länge: 46'59
Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt am Main zeichnet jeden Monat ein Hörspiel aus den Produktionen der ARD-Anstalten aus. Die Entscheidung über das "Hörspiel des Monats" trifft eine Jury, die jeweils für ein Jahr unter der Schirmherrschaft einer ARD-Anstalt arbeitet. Am Ende des Jahres wählt die Jury aus den 12 Hörspielen des Monats das HÖRSPIEL DES JAHRES.

Anschließend:
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