Junggesellenabschiede auf dem Kiez

Bitte feiert woanders!

Junggesellenabschied in Hamburg
Hamburg hat sich als ein beliebtes Ziel für Junggesellenabschiede entwickelt. © Axel Schröder
Von Axel Schröder · 28.11.2017
Verkleidet, verrückt und ziemlich betrunken: Wer vor der Heirat noch einmal richtig auf den Putz hauen will, fährt nach Hamburg und zieht in Mannschaftsstärke über den Kiez. Aber so lustig wie die jungen Frauen und Männer finden das längst nicht alle.
Das Partyvolk flaniert über die Große Freiheit, vorbei an den bunten Neonreklamen an den Fassaden dieser kleinen Seitenstraße, die abbiegt von der Reeperbahn. Eine Bar reiht sich an die nächste, alle Eingänge von Türstehern bewacht, die Musik dröhnt nach Draußen. Und als ob das nicht schon grausig genug wäre, gibt es seit einigen Jahren auch noch Menschen, die es für eine geniale, witzige Idee halten, hier etwas ganz Besonders zu feiern: den Junggesellenabschied:
"Ich bin der André, bin 26 und trinke heute Abend mit meinen Freunden!"
André heiratet im Dezember. Vermutlich ohne den kleinen quietschrosanen Plastikcowboyhut, den er jetzt tragen muss. Dazu einen speziellen Torwand-Anzug: André breitet die Arme aus, umringt von seinen Kumpels. Unten, zwischen Ärmeln und Hosenbund spannt er so das hellgrüne Tuch auf, rechts und links zwei rundgeschnittene Löcher, die man mit einem mit einem Schaumstoffball treffen muss. Die Idee hatten seine Kumpels, die nun für zwei Schuss einen Euro kassieren.

"Ein bisschen was getrunken ..."

"Unsere ganzen Fußballer vom Kiez, die trommeln wir hier zusammen. Für einen Euro zwei Schüsse. Und wenn sie was treffen, können sie was aus dem Korb aussuchen."
"Was habt ihr hier im Angebot? Was kann man sich aussuchen?"
"Von 'Klopfer' bis 'Waldgeist' bis 'Jägermeister'… Mittlerweile ist auch viel weg. Wir hatten noch so kleines Spielzeug wie Handschellen und solche Sexspielzeuge. Aber die Sexspielzeuge sind alle schon weg."
Dennis hat die Junggesellentour mit organisiert. Die Truppe stammt aus dem Ruhrpott und was sie heute schon alles unternommen haben, ist schnell erzählt:
"Wir sind seit sieben Uhr unterwegs. Kommen aus Bochum mit dem Zug. Ein bisschen was getrunken haben wir bis ein Uhr. Dann ein bisschen weitergetrunken. Dann im Hotel eingecheckt. Und seitdem trinken wir und machen unser Spiel mit der Torwand."

"Clubbesitzer sind genervt"

Und so kommt Geld in die Kasse, um noch mehr zu trinken. Einige Barbesitzer freut das, wie die immerblonde, hochtoupierte Olivia Jones, die mittlerweile ganz gezielt um Junggesellinnen und -gesellen wirbt und auf ihrer Internetseite Tipps gibt, was denn alles, neben Schnäpsen, noch aus dem Bauchladen verkauft werden kann: "Kondome, Feuerzeuge, lustige Partyartikel wie Penis-Strohhalme, Gleitgel, Tangas, Taschentücher, Süßkram". Ja. Das ist wirklich witzig. – Andere Clubbetreiber lassen die Junggesellen-Partys eher genervt an sich vorübergehen. Vor der "Cliv-Lounge" passt Margarete auf, wer hineinkommt und wer nicht. Eingepackt in eine dicke Daunenjacke, die schwarze Wollmütze tief im Gesicht:
"Die feiern einfach, die trinken, haben schon vorher total vorgeglüht, sind schon mega-angetrunken. Und lassen dann aber auch kein Geld im Club. Und nur Leute reinzuholen, damit es voll aussieht, ist ja auch nicht sinnvoll. Was bringt uns das, wenn sie den Laden vollspucken und wir dann putzen müssen. Und die nächsten gehen dann raus und sagen: ‚Äh, ist das eklig‘."
Besonders schlimm betrunken seien die britischen Junggesellen-Banden, die seit einigen Jahren hier auftauchen. Und dann sind da noch die Kostüme, erzählt Türsteherin Margarete. Eine Horde Frauen in knappen Krankenschwestern-Kitteln kommt genauso wenig rein wie – sie hat das alles schon erlebt: splitternackte, nur mit einer Socke bekleidete Männer. Das will niemand sehen, findet Margarete. Wer will ihr widersprechen?
Ein paar Meter weiter zieht ein Dutzend junge Frauen über den Kiez, zartrosane Kränze aus Stoffrosen im Haar, sehr gesittet.

Mehr Niveau als gedacht

"Wir waren auf der Transvestiten-Show. Sehr schön! Was ist das für ein Radio?"
"Deutschlandfunk. – Seriös!"
"Ah, geil! Ich höre jeden Tag Deutschlandfunk!"
Sie hört Deutschlandfunk Kultur! Ich bin irritiert. Einige Junggesellinnen-Abschiede haben vielleicht doch Niveau. Und ein bisschen Feiern wird ja wohl noch erlaubt sein. Kein Problem. – Ich ziehe weiter, treffe auf eine Junggesellen-Truppe mit roten Namens-T-Shirts, in der Mitte ein junger Kerl mit schwarzem Vollbart, das Gesicht eingerahmt vom grauen Stoff seines Elefantenkostüms. Auf Höhe der Schläfen hängen traurig die weißen Stoffstoßzähne herunter.
"Geile Sau, ne?"
"Total super sieht er aus!"
"Ich sehe doch aus wie eine geile Sau oder was?!"
Diese entwaffnende Selbstironie versöhnt mich. Und die geile Sau in ihrem mausgrauen Elefantenkostüm, mit unglaublich glasigen Augen zieht weiter. Ich drehe um, bin in einer halben Stunde gleich dreimal auf gar nicht so üble Gesellschaften getroffen, die vor der Heirat noch mal auf den Putz hauen. Vielleicht ist der Hamburger Kiez doch genau die richtige Adresse für derlei Feiern. Verrückt und besoffen sind die Nachschwärmer dort sowieso schon. Elefanten und Typen in Torwand-Anzüge fallen gar nicht weiter auf.
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