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Obama will weniger Bedeutung der Nuklearwaffen

Die USA und Russland sind nach den Worten von US-Präsident Barack Obama einem neuen Abkommen zur Begrenzung der strategischen Atomwaffen "ziemlich nahe", hieß es am Rande des Klimagipfels in Kopenhagen. Damit sei Obama einen entscheidenden Schritt weitergekommen, so der Abrüstungsexperte Christoph Bertram.

Christoph Bertram im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 19.12.2009
    Jürgen Zurheide: Beim Klimagipfel, wie wir es nun schon mehrfach besprochen haben, hat es eher kleinere Fortschritte gegeben, aber immerhin am Rande in Kopenhagen haben US-Präsident Barack Obama und der russische Präsident Medwedew miteinander geredet, und da ging es um die Abrüstung. Und da soll es dann doch Fortschritte gegeben haben. Und wohin, in welche Richtung? Natürlich atomwaffenfreie Welt, das ist ja die Vision von Obama.

    O-Ton Barack Obama:

    Zurheide: Das war wie gesagt der US-Präsident Barack Obama am 05.04. in Prag, wo er gesagt hat, ich möchte heute deutlich und mit Überzeugung amerikanische Bereitschaft erklären, den Frieden und die Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen anzustreben. Er ist nicht naiv, und das Ziel wird sich nicht rasch erreichen lassen, aber immerhin ist man da vielleicht jetzt einen Schritt näher gekommen. Über all das wollen wir reden, und ich begrüße dazu Christoph Bertram, den Publizisten und Experten für Abrüstungsfragen am Telefon. Guten Morgen, Herr Bertram!

    Christoph Bertram: Guten Morgen, Herr Zurheide! (sagt von der Heide)

    Zurheide: Zunächst einmal, ist das wirklich ein Fortschritt, was wir da gestern gehört haben? Da gibt es ja noch so leicht unterschiedliche Wertungen. Die Amerikaner und Obama ist etwas optimistischer, als die russische Seite es war. Wie haben Sie das aufgenommen?

    Bertram: Ich glaube, das ist das übliche Geplänkel. Alle gehen davon aus, dass im Januar ein Abkommen tatsächlich zustande kommt, das die Regierungen schließen. Das muss dann erst ratifiziert werden vom Senat und von der Duma, das braucht alles noch etwas, aber dass dann sozusagen auch ein rechtlich verbindliches Dokument zustande kommen wird.

    Zurheide: Haben die Russen besser gepokert als die Amerikaner? Wie ist da Ihre Bewertung, wenn wir das Ergebnis uns anschauen, was da jetzt möglicherweise auf dem Tisch liegt?

    Bertram: Ich glaube, man muss unterscheiden die Interessenlage beider Seiten. Für die amerikanische Seite ist dies ein erster Schritt weiterzukommen – erstens in der allgemeinen Begrenzung von Atomwaffen. Denn Sie dürfen nicht vergessen, dass unter der Bush-Administration ja dieses eigentlich nicht mehr das Ziel war und wenn dieser Vertrag nicht zustande käme, ab 2012 keinerlei Beschränkungen da mehr bestehen würden. Aber dahinter steht natürlich auch das Anliegen von Obama: weniger Bedeutung der Nuklearwaffen. Und ein erster Schritt zur Reduzierung, sodass man auch etwa gegenüber Ländern wie dem Iran sagen könnte, wir machen es ja auch, man braucht keine Atomwaffen. Für die Obama ist die Abrüstung in nuklearen Fragen auch eine Frage der Nichtverbreitung von Atomwaffen. Für die Russen sieht es ganz anders aus. Für sie sind Nuklearwaffen sozusagen noch der Unterpfand ihrer großen strategischen Bedeutung in der Welt, und zudem sind sie der Ausgleich für mangelnde nicht nukleare militärische Fähigkeiten. Und das ist der Interessengesetz zwischen beiden. Und hier wird man deswegen keine radikale Lösung erreichen können, auch nicht auf längere Sicht, sondern erst mal ein Management dessen, was da ist, und mit bestimmten Höchstgrenzen – das wird dieser Vertrag sein.

    Zurheide: Kommen wir noch mal auf eine andere ganz grundsätzliche Frage im Verhältnis der NATO zu Russland. Medwedew, der russische Präsident, hat ja einen Sicherheitspakt vorgeschlagen, der in der NATO eher kritisch aufgenommen worden ist. Ich frage aber zunächst mal: Jenseits der Inhalte, ist die Art der Aufnahme – und Rasmussen, NATO-Generalsekretär hat das ja deutlich abgelehnt – ist das eigentlich die richtige Antwort gewesen?

    Bertram: Na ja, nun ist dieser Vorschlag von Herrn Medwedew doch eigentlich ziemlich durchsichtig, denn er läuft darauf hinaus, dass alles, was im Westen passiert, einem Veto Russlands unterliegen könnte. Und das ist wohl kein ganz seriöser Ansatz. Aber es gibt doch – und Herr Rasmussen hat das ja auch schon in seiner Rede im August deutlich gemacht und jetzt bei seiner Reise nach Moskau – es gibt ein großes Bestreben zu versuchen, Russland einzubeziehen, nicht draußen vor zu lassen. Die Lösung dieses Problems ist allerdings sehr viel komplizierter, denn Russland ist kein Land, was sich eingliedern will, Russland ist ein Land, was mitsprechen will, was auch eine Vetomacht sein möchte. Und das zu akzeptieren, fällt eigentlich allen im übrigen Europa schwer. Andererseits, Russland draußen vor zu lassen, kann auch keine Dauerlösung sein. Nur der Vorschlag von Medwedew kann allenfalls ein Anfang einer Diskussion sein, aber nicht das Ende.

    Zurheide: Die Russen wollen ihre Einflusssphären sichern, die sie im Kern verloren haben. Sie haben das gerade angesprochen und gesagt, die Atomwaffen sind so eine Art Unterpfand. Wie kann man denn diese Gegensätze auch der Interessen – denn das der Westen das nicht will, ist ja klar – wie kann man die denn irgendwo übereinbringen?

    Bertram: Na ja, das ist ja zum Teil der Versuch, der jetzt hier gemacht wird. Es gibt unterschiedliche Interessen, aber es gibt gleichzeitig den Wunsch auch der Russen, dass die amerikanische Rüstung begrenzt wird, es gibt den Wunsch der Amerikaner, dass es ein Abkommen gibt, was rechtzeitig zustande kommt vor der großen Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages im nächsten April und Mai – das ist ja der Prüfstand, dessen eigentlicher Prüfstand dessen, wie ernst es Obama ist und wie gut die Chancen dafür sind, dass man sich langsam hinbewegt auf eine Welt, die weniger auf Nuklearwaffen abgestellt ist als bisher. Also man wird schon einen Kompromiss finden, und so sieht es ja aus. Er wird kein Riesendurchbruch sein, aber er wird einen Rahmen wieder bieten. Und das ist ja immer, was Rüstungskontrolle vermocht hat: Einen Rahmen zu bieten, der beiden Seiten erlaubt zu sagen, das dürfen wir, das dürfen wir nicht, darauf können wir uns verlassen. Und wir wären ohne dieses Abkommen in eine rahmenlose Welt im Bereich der strategischen Waffen hineingekommen, mit der Folge, dass sicherlich auch in anderen Bereichen der Wunsch nach Begrenzung und Berechenbarkeit immer weiter nachgelassen hätte. Das ist die Bedeutung dieses Vertrages. Er hat insofern Symbolkraft sowohl für die Bemühung hinzukommen langsam zu einer weniger auf Nuklearwaffen abgestützten Sicherheitspolitik, und zweitens hinzukommen auf eine Berechenbarkeit in ihren gegenseitigen Verhältnissen. Und so wird es einen Schritt nach dem anderen geben. Wie weit Herr Obama das weiterführen kann danach, das ist sicherlich seine Absicht, er möchte runterkommen auf nicht mehr als 1000 Sprengköpfe auf beiden Seiten, also weniger als jetzt noch zugebilligt wird. Er möchte herunterkommen von da auch, aber da muss er die Chinesen und die Franzosen und die Engländer und andere mögliche Nuklearwaffen mit einbeziehen, dann wird es richtig kompliziert. Dies ist mehr traditionelle Rüstungskontrolle, aber nichtsdestotrotz ganz wichtig als Schritt in diese Richtung.

    Zurheide: Ein erster Schritt in diese Richtung und das am Rande der Klimakonferenz in Kopenhagen und damit eine gute Nachricht – darüber haben wir gesprochen mit Christoph Bertram, dem außenpolitischen Experten am Telefon. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Bertram, danke schön und auf Wiederhören!

    Bertram: Ich danke Ihnen auch!