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Obamas Klima-Rede
"Die Ziele sind ja extrem bescheiden"

Selbst wenn die USA jetzt 32 Prozent des CO2-Ausstoßes reduzieren würden, sei der Verbrauch dort pro Kopf noch eineinhalb Mal so hoch wie in Deutschland, sagte Michael Braungart, wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts, im Deutschlandfunk. Dennoch seien die Voraussetzungen für die anstehende Weltklimakonferenz in Paris nun sehr gut.

Michael Braungart im Gespräch mit Martin Zagatta | 04.08.2015
    Ein Braunkohlekraftwerk in Jänschwalde, Brandenburg (Foto von 2014)
    Gerade Kohlekraftwerke wären durch Obamas Klimaschutzpläne betroffen. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Martin Zagatta: Mitgehört hat Michael Braungart. Er ist der wissenschaftliche Leiter des Hamburger Umweltinstituts. Guten Morgen oder guten Tag, Herr Braungart!
    Michael Braungart: Ja, guten Morgen!
    Zagatta: Sie sind auch schon länger wach?! Herr Braungart, was Obama da angekündigt hat, ist ja oder wäre ja eine 180-Grad-Wende in der US-amerikanischen Klimapolitik. Kommt das mir nur als Laie so vor, oder was sagen Sie da als Fachmann?
    Braungart: Nein, das liegt wahrscheinlich mehr am Kopf und im Gedächtnis, das man in den Medien natürlich hat, weil immer neue Dinge kommen. Nach dem Kopenhagen-Gipfel 2009 ist Obama schon mal völlig katastrophal gescheitert mit einer Gesetzgebung 2010, die er einfach nicht durch den Kongress und das Parlament überhaupt bekommen hat. Und aber auch vorher schon. Ich war in Kyoto gewesen in den 90er-Jahren mit dem Abkommen. Es war Al Gore, der das Kyoto-Abkommen verwässert hat damals. Was dahinter steckt, ist, dass in den USA, aber auch wie bei uns, immer noch gedacht wird, dass das Umweltthema, dass der Treibhauseffekt ein moralisches Thema ist. Und die Moral ist nicht nur bei uns in Deutschland sofort weg, wenn es einem irgendwie schlecht geht oder wenn man irgendwie Angst hat wie beim Asylproblem. Das heißt, immer als Moralthema, auch, wie er es jetzt wieder begründet, ist es letztlich gesehen, nicht auf Dauer funktionierend. Es geht allein um Innovation und Qualität. CO2 in die Atmosphäre zu geben, ist einfach dumm, wenn nur 2,4 Prozent der Erdkruste aus Kohlenstoff bestehen.
    Zagatta: Es hat aber bisher in der Diskussion in den USA trotz der vielen Ankündigungen nicht so viel bewirkt. Sehen Sie denn irgendwie, dass es dieses Mal erfolgreicher sein könnte, der neue Plan?
    Braungart: Die Ziele sind ja extrem bescheiden, wenn man bis 2030 32 Prozent reduzieren will gegenüber 2005. Man muss davon ausgehen, dass die Vereinigten Staaten pro Kopf etwa zweieinhalb mal mehr CO2 abgeben wie wir in Deutschland. Das heißt, dann wären es immer noch eineinhalb mal mehr, als wir es hier haben. Und das, obwohl das Land ideale Voraussetzungen für erneuerbare Energien hat, also für Solarzellen, für Wind, für Wasser, für ganz viele Dinge dabei. Es wäre vielleicht wichtig, ein bisschen breiter zu schauen. Die Landwirtschaft setzt zehn Energieeinheiten ein, um eine Einheit Ernährung herauszubekommen. Wenn man dieses ändern würde, vor allem auch, wenn man fragt, nicht, geht es um CO2 allgemein, sondern geht es darum, zum Beispiel, den Boden zu erhalten, um Kohlenstoff. Weil zweidrittel vom Kohlenstoff ist im Boden, die Landwirtschaft in den USA zerstört mit einem Anbau von Mais Boden eigentlich, wie wir es jetzt hier leider auch tun, wo wir auf den Hektar zwischen elf und 30 Tonnen Boden verlieren, pro Hektar und Jahr.
    Zagatta: Aber wäre das, was da Obama jetzt vor hat, zumindest mal ein Ansatz? Und wenn wir hören – Sie sagen, ganz bescheiden, aber wenn man jetzt doch hört, mehr als 1.000 Kraftwerke müssten stillgelegt werden, davon 600 Kohlekraftwerke. Wenn das umgesetzt würde, wir erleben ja in Deutschland diese Energiewendediskussion, für die USA wäre das ja fast was Vergleichbares schon, oder?
    Braungart: Der Plan war 2009 schon radikaler, muss man dazu sagen. Das ist jetzt noch nicht mal der Stand von vor fünf Jahren, der jetzt versucht wird. Und es ist ein bisschen natürlich ein Drahtseilakt, weil, sich tatsächlich bei CO2 darauf zu berufen, dass es ein giftiges Gas ist, ist schon schwierig. Weil CO2 ist anders als die andere Gesetzgebung, wo er tatsächlich ja direkte Handhabe hat, giftige Dinge sofort zu verbieten, einfach, weil der Notfall dafür da ist, das ist ziemlich brüchig. Ich glaube, man tut trotzdem Obama Unrecht, wenn man nicht sieht – ich habe ja den Originalvorschlag vor mir hier liegen – es geht um ganz viele andere Dinge auch. Also, es gilt auch andere Treibhausgase zum Beispiel einzuschränken, nicht nur die Kohlekraftwerke anzugucken. Und natürlich kommt es immer auf den Vergleich an. Wenn Sie sehen, wie jämmerlich Sigmar Gabriel gescheitert ist mit einem ähnlichen Projekt. Und jetzt werden die Kohlekraftwerke noch subventioniert in Deutschland, dann können Sie natürlich erst mal über Obama jubeln. Es kommt also immer auf den Standpunkt an, von wo Sie es anschauen.
    Zagatta: Mein Standpunkt ist der eines Laien. Und da die Frage: Die USA haben jetzt angekündigt, mit China, dem zweitgrößten Umweltverschmutzer, so einen Umweltpakt zu schließen mit dem Ziel, ein neues Weltklimaabkommen möglich zu machen. Jetzt ist China ja auch nicht gerade da ein Vorreiter. Also Peking ist oft so verschmutzt, dass man die Hauptstadt überhaupt nicht mehr sieht. Was hat das zu bedeuten? Sind das nur Worte?
    Braungart: Was noch dazugehört, inzwischen sterben einfach Millionen Menschen in China allein durch den Feinstaub, der entsteht. In China büßen die Leute in einer Stadt wie Peking über fünf Jahre an Lebenserwartung direkt ein, also sie leben fünf Jahre kürzer. Das heißt, der Staat ist jetzt wirklich verpflichtet, in Daseinsvorsorge etwas zu tun. Was man bei den Kohlekraftwerken auch völlig vergisst, dass sie bei Weitem die Hauptquelle für Quecksilber sind, also Quecksilberbelastungen, die bei uns, auch schon hier, jenseits von gut und böse ist. Die Leute denken immer nur, weil der Thunfisch im Sushi sozusagen mit Quecksilber belastet ist, wäre das ein Problem. Wir sind weit höher belastet inzwischen selber sozusagen. Das heißt, es gibt wirklich dort Handlung. Jetzt kann man natürlich positiv sagen, hat sich bemüht sozusagen, wie ich es auch tue, wenn ich jemandem ein gutes Zeugnis schreibe. Oder man kann natürlich sagen, es ist wieder ein Window Dressing. Aber es sieht so aus, als wenn der Präsident es in diesem Fall wirklich ernst meint, dass der Fußabdruck ...
    Zagatta: Der chinesische...
    Braungart: Nein, der amerikanische, einen Fußabdruck zu hinterlassen. Der chinesische Präsident, und dort kann man mal etwas aus deutscher Sicht sagen, wir haben aus Deutschland viel Geld ausgegeben, chinesische Kraftwerke zu ertüchtigen, weil die Wirkungsgrade in diesen Kohlekraftwerken so minimal waren und es noch sind in vielen Bereichen, sodass wir gegenüber den Ankündigungen dadurch in China sicherlich bisher aus deutscher Sicht mehr bewerkstelligt haben.
    Zagatta: Die Deutschen verdienen dort ja auch ganz gut mit den vielen Autos, die da auch einiges ausstoßen. Aber doch noch vielleicht die Frage, die mich noch interessiert: Wir haben ja jetzt Ende des Jahres diese Klimakonferenz in Paris. Mit diesen neuen Ankündigungen aus den USA, aus Peking, erwarten Sie da konkret irgendeine Verbesserung, dass es sich dann auch umsetzen lässt.
    Braungart: Ich war bei der Kopenhagener Konferenz gewesen und stand in der Kälte bei minus zehn Grad zusammen mit dem israelischen Staatspräsidenten nebendran, sozusagen, weil die Menschen so ärgerlich waren. Es war minus zehn Grad kalt und jeder dachte, es hatte 40 Zentimeter Schnee, es könnte doch bitte ein bisschen wärmer sein. Die Klimakonferenz nach Paris zu legen, macht den Leuten vielleicht das Thema nicht klar. Es wird auch wieder dort dunkel und kalt sein. Und jeder wird daran denken, dass es wärmer sein könnte. Die Voraussetzungen sind trotzdem günstiger dieses Mal, weil die Amerikaner tatsächlich mit einem Plan ankommen. Und vielleicht könnte in der Kombination zwischen USA und China – in China übrigens, der neue Staatspräsident ist sehr ernsthaft daran interessiert, ich habe das mehrmals erlebt. Die Frage, ob es sich durchsetzen kann, ist dort genauso, denn die Provinzfürsten sind dort ähnlich stark wie die Senatoren in den USA. Dass sie lokal einfach dann Gesetzgebungen auch ignorieren. Das wird sicherlich ein Machtkampf werden. Aber die Voraussetzungen waren, und das kann man ganz offen sagen, noch nie so günstig, wirklich jetzt etwas zu erreichen.
    Zagatta: Also es gibt zumindest etwas Hoffnung. Danke schön für das Gespräch! Michael Braungart war das, der wissenschaftliche Leiter des Hamburger Umweltinstituts. Schönen Tag nach Hamburg!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.