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Oberster deutscher Militärmusiker geht

Er kennt die meisten Nationalhymnen im Schlaf, und auch bei widrigen Umständen ließ sich der Protokoll-Künstler nicht aus dem Konzept bringen. 44 Jahre diente Volker Wörrlein beim Militär, 17 Jahre leitete er das Stabsmusikkorps. Jetzt marschierte der oberste deutsche Militärmusiker in den Ruhestand.

Von Jens Rosbach | 04.10.2012
    "Achtung! präsentiert das Gewehr!"

    Staatsempfang. Das Stabsmusikkorps marschiert in den Hof des Kanzleramtes. Aufstellung. Meldung. Intonieren der ausländischen und der deutschen Nationalhymne. Staatsgast und Bundeskanzlerin schreiten die Ehrenformation ab - dicht vorbei am Dirigenten Volker Wörrlein.

    "Dreißig Zentimeter! Wir schauen uns fest in die Augen. Ich bemühe mich, nicht zu zwinkern in dem Augenblick."

    Der oberste Staats-Musiker muss Haltung bewahren, um jeden Preis. Selbst das Wetter kann ihn davon nicht abhalten. So lässt Wörrlein seine rund 80 Bläser und Trommler auch bei strömendem Regen antreten. Sein feuchtester Auftritt war bei einem Empfang des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau.

    "Nach ungefähr drei Minuten macht einem der Regen nichts mehr aus. Denn dann ist man an sich schon durch. Und dann merkt man langsam, wie das Wasser am Körper längs in die Stiefel läuft. Das war ein von drei Mal, wo ich aus den Stiefeln Wasser kippen konnte. Das war also schon knackig."

    Die Protokoll-Künstler ließen sich auch nicht aus dem Konzept bringen, als im vergangenen Frühjahr Bundespräsident Christian Wulff verabschiedet wurde. Zwar störten Demonstranten mit Vuvuzelas den Großen Zapfenstreich, doch das Militär-Orchester trompetete einfach ein bisschen lauter.

    "Also, man fühlt sich natürlich gestört, aber man schüttelt das ab."

    Die Bundeswehr-Musiker können die meisten Nationalhymnen im Schlaf spielen. Doch mitunter müssen sie improvisieren. Zum Beispiel als vor einigen Jahren der afghanische Präsident Hamid Karzai seinen Staatsbesuch ankündigte. Zwar kannte niemand in Berlin die damalige Hymne vom Hindukusch. Volker Wörrlein brachte sie dennoch zum Erklingen.

    "Eine Bundeswehrmaschine, die sowieso rüber flog von Kabul, hat ein Band mitgebracht. Und da war eine Orgel-Einspielung drauf – diese Hymne. Die hab ich mir dann erstmal 20 Mal angehört, um überhaupt zu begreifen, was das musikalisch vor sich ging. Und dann fing ich langsam an, Noten zu schreiben. Und auf diese Art und Weise kam dann diese erste afghanische Hymne zustande."

    Afghanistan hat für Wörrlein eine ganz persönliche "Note". Denn vor drei Jahren half er, bei einem Einsatz vor Ort, das dortige Staats-Musikkorps aufzubauen. Die afghanischen Künstler hatten während der Taliban-Herrschaft ihre Instrumente vergraben; nun buddelten sie die wieder aus – für das neue Orchester. Da niemand die Sprache der anderen Seite kannte, verständigten sich Afghanen und Deutsche nonverbal.

    "Ohne Übersetzung, nur durch die Musik. Beide Stämme sprachen durch Musik und mit Musik. Und eine Viertelnote ist bei denen genau so lang wie bei uns ne Viertelnote. Und als wir nach vier Monaten dann weggingen, den Grundstock hatten sie drin."

    Oberstleutnant Volker Wörrlein muss jederzeit perfekt funktionieren, Befehl ist Befehl. Doch unter der grauen Uniform des 61-Jährigen steckt ein humorvoller, hochemotionaler Mensch.

    "Ich habe am Anfang noch mit Holztaktstöcken dirigiert. Habe aber einen dermaßen dynamischen Auftakt, dass Holztaktstöcke tatsächlich weggebrochen sind. Und seitdem mir das zum dritten Mal passiert ist, hab ich dann auf Kunststoff gewechselt. Und insofern hab ich dann diese preisgünstige Variante gewählt. 17,80 Mark damals mein erster Taktstock aus Kunststoff, der glaube ich heute noch existiert."

    Seit 44 Jahren dient Wörrlein beim Militär, seit 17 Jahren leitet er das Stabsmusikkorps. Die vielen lauten Märsche haben ihm mittlerweile einen Tinnitus beschert - ein Ohrenpfeifen.

    "Ja, gibt´s öfter, als man denkt. Aber ist immer die Frage, wie stark der ausgeprägt ist. Und für die Blasmusik langt's immer noch."

    Ursprünglich hat der gebürtige Franke bei der Bundeswehr Fagott studiert. Doch das viele Üben nervte ihn schnell; den Taktstock hingegen lobte er bald schon in den "höchsten Tönen". So verkaufte Wörrlein sein Blasinstrument.

    "Fagotte sind ja teuer. Von dem Geld habe ich dann das Beste getan, was ich je getan hatte: Hab mir einen Porsche gekauft und hatte damit mehr Erfolg als mit dem Fagott."

    Was für ein Erfolg?

    "Na gut… Die Damen! Ja."

    Wörrlein geht auch offiziell auf die Pirsch. Denn er ist nicht nur Kapellmeister, sondern auch Jagdbeauftragter der Bundeswehr in Berlin. Als solcher kümmert er sich um Militärs und Diplomaten, die auf die Hatz gehen wollen.

    "Gehe mit auf Jagd, habe selber ein kleines Revier hier – und ein bissel Spaß nebenbei muss ja auch sein."

    Am 30. Oktober marschiert der oberste deutsche Militärmusiker von seinem Dienstsitz, der Berliner Julius-Leber-Kaserne, in den Ruhestand. Wörrlein ist dann 62 Jahre alt und will fortan nur noch den Wald genießen. Piano, ohne Rumsdada und Strammstehen.

    "Ich habe einen Hund. Einen Dackel, einen Teckel. Der wird ausgebildet zum perfekten Jagdhund. Manchmal habe ich das Gefühl, der bildet mich auch noch aus, der Hund. Aber es klappt auf jeden Fall. Und dann machen wir das, was uns gefällt."