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Öffentliche Grossprojekte
Wie Wutbürger-Proteste vermieden werden

Nachbarn werden zu Feinden, Städte spalten sich in gegnerische Lager auf: Seit "Stuttgart 21" müssen Politiker, Stadtplaner und Baufirmen immer häufiger aufgebrachte Bürger besänftigen. Eine Studie zeigt nun, wie der Frust über Bauprojekte gar nicht erst entsteht.

Von Blanka Weber | 19.02.2015
    "Es ist eben nicht nur so, dass eine bestimmte Branche, zum Beispiele die Energiewirtschaft oder die Bauwirtschaft sich mit Akzeptanzproblemen herum schlägt und das geht dann auch mal wieder zu Ende. Sondern wir erleben einen tiefgreifenden, gesellschaftlichen Wandel, wo das Thema Akzeptanz einen neuen Wert, so wie früher Ökologie oder Gleichberechtigung, in dem Wertekanon der Gesellschaft erringt."
    Uwe Hitschfeld ist Mitautor des Fachbuches und berät Unternehmen, die sich kniffligen Aufgaben gegenüber sehen. Nämlich: Wie schaffe ich es, dass die Trasse, die ich baue, akzeptiert wird von denen, die bald neue Anrainer sein werden und statt dem Vorteil nur den Nachteil sehen.
    "Wir betreuen gerade ein Projekt, da geht es darum, eine Infrastrukturtrasse zu finden, weit vor einem Raumordnungsverfahren, also eine hochabstrakte Situation."
    Mehr will Hitschfeld nicht verraten. Nur so viel: kommt das Projekt für das Unternehmen nicht zustande, ist die Planung umsonst. Kommt es zustande, ist lange noch nicht klar, ob es ohne Protest umgesetzt wird.
    "Dann, wenn die Bagger anrollen, dann ist auf einmal die Entrüstung da, weil sich viele Menschen eben nicht so langfristig mit einem Projekt beschäftigt haben. Und dann ist der Aufschrei groß, dann kann aber gar nichts mehr gemacht werden."
    Felix Krebber ist Kommunikationswissenschaftler an der Universität Leipzig und einer der Autoren eines Fachbuches, dass sich der Debatte um Legitimation, öffentliches Vertrauen, Transparenz und Partizipation bei öffentlichen Großprojekten widmet.
    "Bei Akzeptanzprojekten, bei Infrastrukturprojekten scheint es offenbar ein Vermittlungsdefizit zu geben, ein Kommunikationsdefizit, auch ein Defizit, wo sich ein gesellschaftliches Defizit zeigt, dass eigentlich die formalen Verfahren von Entscheidungsfindung offensichtlich in der breiten Bürgerschaft nicht mehr gewusst werden, nicht mehr bekannt sind."
    Die Flut der verwaltungsrechtlichen, kommunalen und baurechtlichen Bestimmungen sei einfach zu groß, sagt der Wissenschaftler. Oftmals scheitere der Wille, Bescheid zu wissen daran, dass es fast unmöglich sei, den Durchblick zu bekommen. Das habe aber auch damit zu tun, dass Akteure nicht immer freiwillig und transparent kommunizierten.
    Überall in Deutschland stehen große Bauprojekte an
    "Das macht ein ganz neues Kommunikationsverständnis von Organisation erforderlich und macht letztendlich auch eine neue Rolle von Organisation in der Gesellschaft erforderlich."
    Landauf, landab stehen derzeit tiefgreifende Infrastrukturprojekte an. Auf 102,6 Milliarden Euro wird derzeit der Investitionsstau allein in der kommunalen Infrastruktur geschätzt. Viele Unternehmen wie die Deutsche Bahn oder Energiedienstleister stellen extra für Bauprojekte Kommunikationsexperten ein.
    Was für die einen nach 'organisierter Zustimmung' aussieht, ist für die anderen eine neue Form der Bürgerbeteiligung, eine neue Kommunikation. Und das hat einen Grund, denn - so Reinhard Bohse:
    "Zunächst muss man feststellen, dass große und mittlere Projekte nicht mehr von den Leuten akzeptiert werden, weil ein grundlegendes Vertrauen der Politik aber auch der Wirtschaft gegenüber fehlt."
    Der langjährige Pressesprecher der Stadt Leipzig und später der städtischen Verkehrsbetriebe, kennt die Verwerfungen zwischen Kommunen und Bauunternehmen, wenn Straßenprojekte zu endlos-Baustellen werden.
    "Es ist ja bezeichnend, dass viele Planungsprojekte, da wissen die Träger ganz genau, wie die Erde ist, wie viel Schienen sie verlegen müssen, wie die Luft ist. Sie wissen alles. Nur eins wissen sie in der Regel nicht: Was leben für Menschen dort vor Ort und welche Interessen haben sie? Und genau diese Interessen und diese Menschen kennen lernen, muss an den Anfang eines solchen Projektes gestellt werden, dann ist man erfolgreich."
    Eine repräsentative Umfrage hätte ergeben, so die Autoren, dass nur 15 Prozent der Befragten ihrer Gemeinde- und Stadtverwaltung vertrauen. Aber: 56 Prozent würden sich mit Zeit und Geld für oder gegen öffentliche und wirtschaftliche Projekte einsetzen, heißt es in dem Fachbuch der Leipziger Wissenschaftler. "Stuttgart 21" sei zum Symbol für Bürgerprotest geworden, aber auch für 'schwindende Akzeptanz'. Heute stünden sämtliche Entscheidungen und Akteure jedweder Couleur unter Legitimationsdruck. Kaum etwas habe ungefragt Bestand, so die Autoren. Dies betreffe Kultur, Kirchen, Gesundheitswesen ebenso wie Banken und Bundeswehr. Der Bürger möchte beteiligt werden, und zwar immer dann, wenn er oder sie betroffen ist oder sich betroffen fühlt.
    Unternehmen versuchen, Proteste gar nicht erst entstehen zu lassen
    "Und diese Möglichkeit, sich zu beteiligen, klagen sie in der Tat heute ein."
    Verständlich, dass Unternehmen zunehmend darauf bedacht sind, auch mögliche Proteste vorher zu kalkulieren und zu überlegen, wie sie kommunizieren. Denn, so Uwe Hitschfeld:
    "Die gleichen Leute, die vorher gesagt haben, sie wollen von Anfang an an solchen Projekten mitwirken, sie wollen informiert werden, sie wollen mitarbeiten können, um die beste Lösung zu finden, wehren sich jetzt genau gegen das, was sie vorneweg gefordert haben."
    Der Grund dafür: die Informationsflut und der hohe Zeitaufwand, sich in eine fremde Materie einzuarbeiten. Wer mag schon alle drei Wochen samstags an Runden Tischen Platz nehmen und den Buhmann spielen, wenn sich Bürgermeister und Energieunternehmen doch schon längst für ein Pumpspeicherkraftwerk entschieden haben, von den Steuereinnahmen und sonstigen Vorzügen schwärmen? Felix Krebber:
    "Das darf man bei diesen Debatten nicht vergessen, da geht es nicht immer um einen Diskurs mit einem offenen Ausgang, mit der Suche nach der besten Lösung, sondern da sind immer auch Akteure unterwegs, die ihre eigenen Interessen vertreten."
    Wer politische Legitimation will, muss die Leute kennen lernen und vor Ort deren Probleme verstehen - so Reinhard Bohse. Denn das Image von Politik und Wirtschaft bei Infrastrukturprojekten sei derzeit eher negativ:
    "Dann muss man sich nicht wundern, dass die Leute auch in dieser Form denken, wir müssen wieder die Erfahrung an der Basis sammeln, das ist auch die Lösung für Infrastrukturprojekte."
    Also sind neue Wege gefragt, so die Autoren. Denn Politik spiele sich heute nicht mehr nur im Politischen ab, sondern Fragen würden direkt zwischen den Bezugsgruppen und den Organisatoren verhandelt. Wer es verstehe, die Impulse aus dem gesellschaftspolitischen Umfeld einzubeziehen, erreiche auch Legitimation und damit eben auch sein Ziel.