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Öffentliche Sicherheit
Unterschätzte Gefahren der Digitalisierung

Bei smarten Fernsehern mit Internet-Anschluss oder weitgehend autonomen Fahrerassistenzsystemen im Auto zeigt sich deutlich, wie stark die Digitalisierung schon unseren Alltag prägt. In anderen Bereichen ist es weniger offensichtlich, wie abhängig unsere Gesellschaft von der IT ist. Gefahren werden deshalb leicht übersehen.

Von Peter Welchering | 15.04.2017
    Ein Mensch geht an einem Leuchtdisplay vorbei und wird mit Binärcode beleuchtet
    Ein Mensch geht an einem Leuchtdisplay vorbei und wird mit Binärcode beleuchtet (dpa)
    Wenn der Strom ausfällt, dann haben wir nach drei Tagen bürgerkriegsähnliche Zustände. Das haben Sicherheitsforscher schon vor längerer Zeit herausgefunden. Durch gezielte Überlastangriffe werden Bankenserver und Systeme für die Verkehrssteuerung immer öfter angegriffen. Und auch die Cyberattacken auf den Bundestag und die Bundesregierung nehmen zu. Wie kann da noch öffentliche Sicherheit garantiert werden? Professor Johannes Weyer von der TU Dortmund hat das Problem genauer analysiert. Er sieht hier ein Dilemma.
    "Wir haben schon ein gewisses Chaos. Alte Strukturen haben sich aufgelöst Und damit sind natürlich auch neue Möglichkeiten entstanden der Kontrolle im digitalen Zeitalter. Und ich glaube, zwischen diesen beiden Polen schwanken wir so hin und her. Wird es eher ein chaotisch-selbstorganisierender Prozess sein, der uns die digitale Gesellschaft vorantreibt? Oder wird es eher Big Brother sein, der uns dann alle kontrolliert, indem die Daten aufgelesen werden, verarbeitet werden und dann eben zu Überwachungszwecken genutzt werden?"
    Auch Experten sind inzwischen überfordert
    Muss öffentliche Sicherheit gleich immer im Big-Brother-Modell enden? Brauchen wir wirklich den Überwachungsstaat? Kritiker fordern, die IT-Industrie müsse zunächst einmal mit besseren Pflichtenheften und genauer definierten Anforderungen weniger fehleranfällige Systeme liefern. Doch der Informatiker Professor Jochen Schiller von der FU Berlin wendet ein.
    "Es wäre einfach, wenn man ein Pflichtenheft für das Internet schreiben könnte. Das Problem ist, es ist natürlich viel zu schnell gewachsen und ist inzwischen ein Organismus, wo sehr viele Komponenten miteinander agieren und wir schlichtweg - auch alle Experten schlichtweg - nicht mehr wissen, wie funktioniert es denn eigentlich überhaupt im Zusammenspiel."
    Die Menschen kommen also mit der Komplexität hochautomatisierter digitaler Systeme nicht mehr zurecht. Der Sicherheitsforscher Johannes Weyer nennt ein Beispiel.
    Grenzen automatisierter Systeme werden nicht ausreichend diskutiert
    "Es gibt einige spektakuläre Zwischenfälle, zum Beispiel in der Luftfahrt, wo hochautomatisierte Flugzeuge verunglückt sind, wo man eigentlich erwartet hätte, dass das nicht passieren kann, weil wir digitale Sicherheitstechnik an Bord haben. Und das Problem in solchen Fällen ist immer, dass der Mensch mit dieser Technik interagieren muss. Das heißt, auch in digitalisierten Systemen muss das Zusammenspiel von Mensch und Technik reibungslos funktionieren. Was aber auch bedeutet, dass der Mensch eine Vorstellung davon hat, wie diese Technik funktioniert, wie das Zusammenspiel funktioniert und wenn dieser Vorstellung nicht funktioniert, wenn die Crew nicht richtig zusammenarbeitet und nicht richtig versteht, wo die Grenzen der digitalen automatisierten Systeme sind, dann kann es zu Katastrophen kommen."
    Doch die Grenzen der digitalen automatisierten Systeme werden eben nicht ausreichend diskutiert. Beim Thema Sicherheitslücken zeigt sich, dass unsere Gesellschaft hier ziemlich überfordert ist, meint Computerwissenschaftler Jochen Schiller.
    Gefahren der Digialisierung nicht erkannt
    "Das ist immer das Abwägen: Also wieviel soll man von solchen Sicherheitslücken beispielsweise tatsächlich veröffentlichen. Weil in der Tat, man könnte es besser machen und sagen, nach spätestens 60 Tagen wird etwas veröffentlicht, also viel härtere Fristen machen und nicht, wie wir es jetzt haben, Zero-Day-Exploits, die teilweise sieben Jahre schlummern und ausgenutzt werden, bis dann tatsächlich veröffentlicht wird. Also uns fehlt bisher noch diese Balance, weil es neue Technik ist und wir noch nicht richtig wissen, wie gehen wir damit um."
    Wie gefährlich wir in diesen digitalen Zeiten leben, haben wir eben noch immer nicht erkannt. Offenbar sind die Gefahren zu weit weg. Professor Jochen Schiller schlägt deshalb folgendes vor.
    "Das ist schon der Hauptpunkt der Lösung, dass man sagt ja, wir sind als Gesellschaft extrem davon abhängig, und wir müssen diese Idee IT nicht als etwas Separates betrachten, dass man das man sagt, aha, das ist jetzt jemand, der ist dafür zuständig, sondern wirklich schauen in allem politischen Handeln, in allen Feldern, wo stecken jetzt diese ganzen neuen Technologien drin, wo durchdringt es das Ernährung, Ernährungsvorsorge, so ein Riesenthema, hat man früher nie dran gedacht, aber ohne IT geht das gar nicht mehr. Und so gibt es weitere Felder. Pflege, der ganze ambulante Pflegebereich, welche Auswirkungen hat das? Wenn man sich dessen bewusster wird, dann denke ich auch, versteht jeder Angeordnete, jede Abgeordnete, was bedeutet das für mein Feld, wo und auf was muss ich achten und wo muss ich sozusagen positiv Lobbying betreiben."