Donnerstag, 28. März 2024

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Öffentlicher Dienst
"Die Streiks müssen nicht sein"

Das Instrument des Warnstreiks werde im Fall der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst missbraucht, sagte Tarifexperte Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln im Deutschlandfunk. Erfolgreiche Verhandlungen seien auch ohne die Streiks möglich.

Hagen Lesch im Gespräch mit Bettina Klein | 27.03.2014
    Warnstreik der Gewerkschaft Verdi am Flughafen Stuttgart
    Warnstreik der Gewerkschaft Verdi am Flughafen Stuttgart (dpa / Sebastian Kahnert)
    Bettina Klein: Warnstreiks im öffentlichen Dienst in mehreren Bundesländern auch heute. Geschlossene Kindertagesstätten und eingeschränkter Nahverkehr, damit haben viele Bürgerinnen und Bürger bereits in den vergangenen Tagen Erfahrungen sammeln dürfen. Die Gewerkschaft ver.di zieht die Schrauben aber noch etwas weiter an. Insgesamt sieben Flughäfen in Deutschland werden offiziell bestreikt, darunter auch der größte in Frankfurt am Main. Hagen Lesch ist unter anderem zuständig für Tarifpolitik beim Institut der deutschen Wirtschaft hier in Köln und jetzt am Telefon. Ich grüße Sie, Herr Lesch.
    Hagen Lesch: Guten Tag, Frau Klein.
    Klein: Die Arbeitgeber bewegen sich ja im öffentlichen Dienst im Augenblick keinen Zentimeter, wie es aussieht. Sie geben nicht mal Interviews und sie wollen auch kein neues Angebot vorlegen. Dafür haben wir jetzt massive Streiks und massive Behinderungen. Herr Lesch, muss das sein?
    Lesch: Ja nun, die Arbeitgeber legen selten in der ersten Verhandlungsrunde ein Angebot vor. In der zweiten hatte man sich nach Angaben der Gewerkschaften angenähert. In der dritten könnte man also durchaus einen Durchbruch erzielen. Insofern sehe ich den Verhandlungsstand der Tarifrunde bislang jedenfalls auf einem zielführenden Weg. Dazu passend: Die Streiks müssen vor diesem Hintergrund aus meiner Sicht nicht sein, vor allen Dingen auch schon die letzte Woche. Die sehr früh stattfindende Warnstreik-Welle halte ich zu diesem Zeitpunkt auch nicht für zielführend. Das führt auch nicht schneller zu einem Tarifergebnis. Und vor allen Dingen ist auch das Instrument des Warnstreiks missbraucht, weil aus einem Warnstreik, der früher ein paar Stunden dauerte, ist ja mittlerweile ein Tagesstreik geworden, der dann auch massiv ins Wirtschaftsleben eingreift.
    Warnstreiks nicht förderlich
    Klein: Aber wenn Sie sagen, Sie gehen da von Bewegung auf Arbeitgeberseite aus, dann scheint, sich ja die Aktion der Gewerkschaften bereits gelohnt zu haben?
    Lesch: Nein. Es ist ja normal, dass man sich zunächst einmal in einer Tarifverhandlung zusammensetzt und seine Positionen austauscht. Die Gewerkschaften tragen in der Regel ihre Lohnforderung vor, die steht ja auch schon vorher fest, und ein Verhandlungsangebot gibt es in der Regel nicht in der ersten Runde, auch nicht im öffentlichen Dienst, sondern das kommt erst nach einer gewissen Weise. Insofern hat das Verhalten der Arbeitgeber zunächst mal überhaupt nichts mit dem Verhalten der Gewerkschaften zu tun. Wenn der Streik förderlich wäre, dann hätte ja schon nach dem Warnstreik von letzter Woche ein so tolles Arbeitgeberangebot kommen müssen, dass man sich schon in der letzten Runde geeinigt hat, und das war ja offensichtlich nicht der Fall.
    Klein: Wenn Sie davon ausgehen, Herr Lesch, da ist Bewegung, welche Art von Nachbesserung werden die Arbeitgeber dann am Ende vorlegen?
    Lesch: Ich bin nicht Tarifverhandlungspartner und kommentiere auch nicht das Angebot der Arbeitgeber. Ich glaube, das Hauptproblem besteht doch darin, dass eine Gewerkschaft Druckmittel wählt und damit auch, sagen wir mal, Drittbetroffene in einer Weise berührt, die aus meiner Sicht nicht mehr verhältnismäßig sind, denn getroffen ist ja nicht nur der Arbeitgeber. Der mag auch einen gewissen wirtschaftlichen Schaden haben. Betroffen sind vor allen Dingen Unbeteiligte an diesem Streit und die Rechtsprechung schützt die Interessen der Unbeteiligten eigentlich nicht, wie man auch hier sieht, und man muss sich schon fragen, ob ver.di hier in einer Art und Weise Tarifverhandlungen führt, die zum ja wohl bekannten deutschen System der industriellen Beziehungen noch passen. Ich bin der Meinung, die Gewerkschaft überspannt hier den Bogen. Das hat sicherlich organisationspolitische Ziele. ver.di scheint ja einen Organisationsstreik zu führen, um mehr Mitglieder zu gewinnen, und scheint auch all diejenigen Berufsgruppen in den Streik schicken zu wollen, die sich möglicherweise eines Tages mal in Berufsgruppengewerkschaften selbstständig machen können. Das heißt, hier haben wir eine ganz neue Dimension eines Arbeitskonfliktes.
    Klein: Dem wie Ihrer Meinung nach Einhalt geboten werden sollte? Ich meine, das ist ja alles nach Recht und Gesetz, was hier abläuft.
    Aggressivität durch Gewerkschaftskonkurrenz
    Lesch: Das ist nach Recht und Gesetz, zumindest solange niemand klagt. Das ist ja das Problem des deutschen Arbeitskampfrechts, dass die Interessen Dritter gerade in der Daseinsvorsorge nicht geschützt werden. Wir diskutieren seit Langem darüber, unter dem Stichwort Regelung zur Tarifeinheit. Nur wenn Sie natürlich einer kleinen Spartengewerkschaft jetzt das Streikrecht nehmen würden, dann hindert das natürlich nicht ver.di am streiken. Aber das Grundproblem ist ja, dass die Aggressivität, die wir bei vielen kleinen Spartengewerkschaften gesehen haben, die großen Gewerkschaften vor sich hertreibt, und die großen Gewerkschaften, das sind halt ver.di, die durch diese Gewerkschaftskonkurrenz betroffen ist, und auch die Eisenbahngewerkschaft EVG, und diese Gewerkschaften werden gezwungen, mehr oder minder auch eine aggressivere Gangart zu wählen.
    Klein: Aber, Herr Lesch, das sind ja nun wirklich keine kleinen Gewerkschaften, ver.di, die irgendwelche Partikularinteressen vertreten, zulasten der Mehrheit in der Gesellschaft, sondern ver.di ist eine sehr große Gewerkschaft.
    Lesch: Nein, Frau Klein. Das ist ja das Argument. Die kleinen Gewerkschaften treiben die großen hinterher, um zu vermeiden, dass sich noch mehr streikmächtige Berufsgruppen wie die Betriebsfeuerwehren oder wie bestimmte Berufsgruppen an Flughäfen, Kontrolleure abspalten, eigene Gewerkschaften bilden. Um das zu verhindern, muss man gerade diese Gruppen mobilisieren und für die besonders gute Arbeitsbedingungen rausholen.
    Klein: Das sagen Sie jetzt, Herr Lesch. Wir hören noch mal kurz, was ver.di-Chef Frank Bsirske heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk dazu gesagt hat.
    O-Ton Frank Bsirske: “Besser Warnstreiks als klares Signal an die Arbeitgeber, die dann auch sich ein Bild machen können von der Stimmungslage in den Betrieben, als dass der Eindruck entsteht, da ruht der See still, und am Ende wundern sich alle, dass man sich in einem breiten großen Arbeitskampf befindet, weil die Arbeitgeber die Stimmungslage in den Betrieben falsch eingeschätzt haben.“
    Klein: So argumentiert ver.di heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Im öffentlichen Dienst seien die Beschäftigten in den letzten 13 Jahren im Rückstand im Vergleich zur Tariflohnentwicklung in der Gesamtwirtschaft. Was halten Sie dagegen?
    Probleme bei der Bezahlung höherer Tarifgruppen
    Lesch: Frau Klein, zunächst mal ist Bsirske selber mit dem Kommentar aus der letzten Runde rausgegangen, man habe sich angenähert. Ich weiß nicht, ob es dazu passt, wenn man sich angenähert hat, dann anschließend Warnstreiks zu machen, die 24 Stunden dauern und die Grenze zum regulären Streik ja schon fließend ist. Zu den Berechnungen des öffentlichen Dienstes: Je nachdem, was Sie für ein Basisjahr nehmen, kommen Sie zu ganz unterschiedlichen Berechnungen. Der öffentliche Dienst hat seit 2008 massiv in der Einkommensentwicklung aufgeholt und aufgeschlossen gegenüber anderen Bereichen. Im übrigen ist das Problem des öffentlichen Dienstes nicht so sehr die schlechte Bezahlung in den unteren Tarifgruppen, sondern die schlechte Bezahlung in höheren Tarifgruppen. Das wird zumindest von Arbeitgeberseite immer wieder gesagt. Und die Forderung nach einem extrem hohen Zuschuss oder einer überproportionalen Anhebung der unteren Lohngruppen durch die hohe Pauschalsumme…
    Klein: Sockelbetrag 100 Euro fordert ver.di, noch mal zur Information.
    Lesch: Ganz genau! – Das ist gigantisch teuer und das verteuert natürlich auch die unteren Lohngruppen, lockt aber dann nicht qualifizierte Leute in den öffentlichen Dienst, und soweit ich das immer verstanden habe, leidet der öffentliche Dienst vor allen Dingen daran, dass qualifiziertere Leute nicht dahin wollen. Insofern ist das eine Tarifpolitik von gestern, die ver.di betreibt, und nicht eine zukunftsorientierte.
    Klein: Und genau mit diesem Wettbewerbsargument argumentiert ver.di in der Tat. Nicht nur der Sockelbeitrag, der angehoben werden soll um 100 Euro, egal für welche Gehaltsgruppe, sondern es wird ja auch eine Steigerung von 3,5 Prozent verlangt. – Aber, Herr Lesch, noch mal zu einem anderen Argument, was vielen sich nicht erschließt. Weshalb wird eigentlich ein Bereich mit so unterschiedlichen Branchen und auch so unterschiedlich finanzstarken Kommunen zusammen genommen in einen Arbeitskampf, der dann flächendeckend auch zu diesen Behinderungen führen kann?
    Verhandlungen sind schwierig für ver.di
    Lesch: Ja das ist das Problem, was Sie immer bei Flächentarifverträgen haben oder Branchentarifverträgen. Sie haben auch in der Metallindustrie gut laufende Unternehmen und schlecht laufende, und für die müssen Sie irgendwie ein gemeinsames Tarifwerk zimmern. Im öffentlichen Dienst ist die Heterogenität natürlich genauso, wie Sie das sagen. Da haben wir das Problem, dass wir die Differenzierungen nicht quasi übertariflich vornehmen. Die Kommunen zahlen wirklich das, was im Tarifvertrag steht. Also ist ver.di gezwungen, möglichst viel rauszuholen aus diesen Runden. Würde viel mehr übertariflich bezahlt, dann könnte man auch viel mehr Differenzierung zulassen. Dann würde man sich mehr an den Schwächeren orientieren und die Stärkeren würden halt mehr bezahlen und etwas oben drauflegen. Das sind Mechanismen dieser übertariflichen Bezahlung, die wir zumindest mal aus der Privatwirtschaft kennen. Das gibt es im öffentlichen Dienst so nicht und das macht es natürlich für ver.di schwieriger, die Verhandlungen zu führen. Und man muss natürlich auch sagen: Ver.di hat ja jahrelang immer hören müssen, die Kommunen sind verschuldet, überhaupt die öffentlichen Haushalte, es ist kein Platz da, um die Löhne zu erhöhen. Insofern ist natürlich auch klar, dass die Gewerkschaft dann irgendwann den Druck erhöht. Aber wie gesagt: Ich hatte gesagt, dass ver.di gute Tarifabschlüsse eigentlich seit 2008, 2009 - da gab es übrigens auch gigantische Warnstreikwellen - durchgesetzt hat. Also aus meiner Wahrnehmung heraus ist der Rückstand inzwischen ganz gut egalisiert und rechtfertigt jedenfalls nicht gerade diese extreme Anhebung dieser unteren Lohngruppen, die ja auch offensichtlich für die Arbeitgeber ein Problem darstellt.
    Klein: Sie haben andererseits gerade gesagt, dass Sie das nicht kommentieren wollen, wohin da möglicherweise die Reise geht. Bisher lehnen die Arbeitgeber das strikt ab, was ver.di fordert. Unter dem Strich und abschließend gefragt: Gehen Sie davon auf jeden Fall aus, wir haben nächste Woche eine Einigung?
    Lesch: Das ist schwer. Es wird wahrscheinlich mehrtägige Verhandlungen geben. Wenn die Verhandlungen scheitern, gibt es eine Schlichtung im öffentlichen Dienst. Das will ich nicht ausschließen. Auf der anderen Seite wissen wir aus den vergangenen Tarifkonflikten, dass normalerweise, auch selbst wenn es jetzt zu einem Scheitern käme, man sich in letzter Minute vor einer Schlichtung dann doch noch einigt und es eben nicht zum regulären Arbeitskampf kommt. Wenn man zurückblickt, die letzten Konflikte waren eigentlich alles Warnstreik-Konflikte. Insofern gehe ich auch davon aus, dass man sich in diesem Jahr einigen wird und jetzt nicht weitere Warnstreikwellen in diesem Ausmaß auf uns zukommen.
    Klein: …, sagt Hagen Lesch, der Tarifexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, heute Mittag hier im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Lesch.
    Lesch: Gerne, Frau Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.