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Öko-Berghütte als Vorbild fürs Flachland

Die Eidgenössisch Technische Hochschule Zürich hat mit der Neuen Monte-Rosa-Hütte ein fast energieautarkes Gebäude entwickelt, das auf 3000 Meter Höhe im Ökomodus funktioniert. Mittlerweile dient die Herberge aber auch als Vorbild für die Entwicklung energieeffizienter Gebäudesteuerung im Flachland.

Von Folkert Lenz | 29.07.2013
    Es ist ein langer Marsch hinauf zur Neuen Monte-Rosa-Hütte. Steigeisen unter den Schuhen sind nötig, um über den zerrissenen Gornergletscher bis auf knapp 3000 Meter zu gelangen. Erst nach vier Stunden erreicht man den silbern glänzenden Klotz am höchsten Schweizer Berg. Das Aluminium-Polyeder, das ein bisschen aussieht wie ein Bergkristall, ist nicht nur ein architektonischer Hingucker. Ungewöhnlich sind auch die technischen Eingeweide des Hauses. Unsichtbar für die Besucher, ziehen sich sechs Kilometer Kabel und Datenleitungen durch das Innere, denn das Gebäude ist mit rund 150 Sensoren gespickt, erklärt der Projektingenieur Matthias Sulzer.

    "Mit diesen Sensoren kann ich wirklich alles überprüfen: Welche Temperaturen in der Hütte sind, wie viel Wasser benötigt wird, wie viel Strom produziert wird. Wie viel Strom wird verbraucht und wo wird dieser Strom verbraucht? Welche Temperaturen herrschen im System: Im Blockheizkraftwerk? Oder auch die Speichertemperaturen werden im Detail aufgezeichnet."

    Hintergrund der Datensammelei: Sulzer und die Wissenschaftler von der ETH Zürich wollen den Beweis antreten, dass sich im Hochgebirge ein Gebäude zu 90 Prozent selbst mit Energie versorgen kann. Die Südfassade der neuen Monte-Rosa-Hütte besteht darum aus dunkelblauen Solarzellen. Batterien speichern den Sonnenstrom, mit dem auch die biologische Kläranlage betrieben wird. An der Westseite des Hauses wird am Nachmittag warmes Wasser aus Kollektoren gewonnen. Herkömmliche Öko-Technologie eigentlich. Das Neue: Die Vernetzung der Komponenten. Dabei sollen auch Prognosedaten in die Steuerung einfließen – die geplante Bettenbelegung oder die vorhergesagte Sonnenscheindauer zum Beispiel.

    Doch nach drei Jahren Praxisbetrieb schlagen sich die Forscher noch mit Kinderkrankheiten des Systems herum. Auch, weil das Energiemanagement dem Ansturm der Menschen nicht gewachsen war, sagt Sulzer.

    "Die Hütte ist für 6500 Leute geplant gewesen. Gekommen sind 11.000. Und diese Leute brauchen natürlich mehr Strom. Weil sie zum Beispiel auch aufs WC gehen."

    Die biologische Kläranlage – die aus Toilettenabwässern Grauwasser zum Duschen und Waschen macht – hat sich als wahrer Stromfresser erwiesen. So musste der Diesel-Generator im Keller, eigentlich ein Aggregat für den Notfall, zuletzt fast täglich anspringen. Erst im Frühsommer wurde die Solaranlage vergrößert, um doch noch auf Dauer 90 Prozent Energieautarkie herzustellen.

    Trotz der Probleme der Anlage konnte Samuel Fux vom Institut für Dynamische Systeme und Regelungstechnik der ETH Zürich jetzt ein prädiktives Modell zur Gebäudesteuerung entwickeln. In den Algorithmus für den energieeffizienten Betrieb der Berghütte fließen nicht nur klassische Daten wie der Stromverbrauch oder die Temperaturregelung ein, sondern auch Vorhersagen.

    "Wir haben verschiedene Informationen über die Zukunft. Einerseits eben die Wetterprognosen, die von einer Wetterstation direkt neben der Hütte kommen. Dann haben wir ein Online-Reservationssystem. Von daher wissen wir, wie viele Leute wir erwarten. Davon können wir ableiten, wie groß der Verbrauch sein wird. Dann haben wir eben ein Modell der Hütte entwickelt, mit dem wir das Verhalten der Hütte auch vorhersagen können."

    Mit dem vorausschauenden Modell sollen Heizung, Lüftung und Energieverbrauch der Berghütte so gesteuert werden, dass immer genügend Strom oder warmes Wasser in den Speichern des Hauses steckt. Selbst an Tagen, an denen die Sonne mal nicht scheint und als Energiespender ausfällt.

    Das System vom Berg testen die Wissenschaftler jetzt auch im Tal: an einem Bürogebäude in Allschwil bei Basel. Bei der prädiktiven Gebäudesteuerung des Forschungsprojektes OptiControl spielen die Prognosen eine noch größere Rolle, so Martin a Porta von Siemens Building Technologies:

    "Wichtige Parameter sind dabei: Elektrischer und thermischer Energieverbrauch. Dann die Raumtemperatur. Die Helligkeit, CO2-Konzentration, die Feuchtigkeit. Geöffnete Fenster und natürlich zu guter Letzt die Anwesenheit der Mitarbeiter."

    Reagiert herkömmliche Haustechnik auf Dinge in der Vergangenheit, blicke vorausschauende Gebäudesteuerung in die Zukunft, so a Porta: Wann wird in den Büros gearbeitet? In welchen genau? Wird das Wetter in den nächsten Tagen heiß oder kalt?

    "Frequentierte Gebäude wie zum Beispiel Bürogebäude, Hotels, aber auch Flughäfen, Schulen, Universitäten sind da sicher im Fokus. Und da wird man auch einiges an Einsparungen erzielen können. Wir rechnen damit, dass diese Einsparungen im Rahmen von zehn bis 15 Prozent noch einmal liegen."

    Die Neue Monte-Rosa-Hütte ist dabei Vorbild fürs Flachland. Für sie wäre ein bisschen mehr Klimaschutz perfekt. Denn wegen der Erderwärmung sind die umliegenden Gletscher so weit abgeschmolzen, dass der Weg vom Eis zur Hütte im vergangenen Jahrzehnt um fast eine Stunde länger wurde.