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"Ökologie und Ökomie zusammen denken"

Ökologie sei Gewinn und keine Bedrohung, sagt Kerstin Andreae, die sich für den Fraktionsvorsitz der Grünen bewirbt. Den wirtschaftspolitischen Kurs der Partei möchte sie betonen und die grünen Klimaziele gemeinsam mit der Unternehmerschaft erreichen.

Kerstin Andreae im Gespräch mit Friedbert Meurer | 02.10.2013
    Friedbert Meurer: Nächsten Dienstag wollen die Grünen zwei wichtige Personalien klären. Wer wird Nachfolger von Renate Künast und von Jürgen Trittin, die lange Jahre das Gesicht der Grünen geprägt haben, im Bundestag, in den Talkshows. Beide sind zurückgetreten, weil die Grünen so schwach abgeschnitten haben bei der Bundestagswahl. Auf Jürgen Trittin folgt wohl Anton Hofreiter vom linken Flügel, so sind ein bisschen die Spielregeln bei den Grünen. Und auf die Nachfolge von Renate Künast gibt es zwei Kandidatinnen vom Realoflügel, Katrin Göring-Eckardt, bekannt als Spitzenkandidatin aus dem Wahlkampf, und Kerstin Andreae. Sie ist bislang die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, leitet den Arbeitskreis Wirtschaft und Haushalt und kommt aus Baden-Württemberg und ist bei uns am Telefon. Guten Morgen, Frau Andreae.

    Kerstin Andreae: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Wann war der Zeitpunkt, dass Sie sich entschieden haben, ich will als Fraktionsvorsitzende antreten, 22. September 18:01 Uhr?

    Andreae: Nein.

    Meurer: Vorher?

    Andreae: Na ja, auch nicht so richtig. Das ist eine Überlegung, die muss ja reifen, und wir haben im Wahlkampf gemerkt, dass wir Grünen auf eine schiefe Bahn geraten sind, dass die Umfragewerte immer weiter heruntergegangen sind, dass wir unser Potenzial überhaupt nicht mehr haben schätzen können, die Leute nicht mehr haben ansprechen können, und da ist natürlich auch eine Überlegung, was heißt das für den Kurs, den die Grünen auch in der Zukunft einschlagen. Jetzt gibt es da keinen Zeitpunkt, keine Uhrzeit, zu der dann bei mir der Groschen gefallen ist im Sinne von: "Ich kandidiere". Aber tatsächlich hat sich das dann nach der Wahl doch durchaus verfestigt, auch in der Rücksprache mit vielen Grünen-Mitgliedern.

    Meurer: Warum haben Sie während des Wahlkampfs nicht Alarm geschlagen?

    Andreae: Wir haben versucht, das Thema im Rahmen der Programmdiskussion doch noch mal deutlicher zu setzen. Ich finde, gerade der Wirtschaftsteil im Programm gibt eigentlich diesen Kurs auch her. Das ist ja nicht so, dass wir das alles neu erfinden müssen, dass wir sagen, wir brauchen die Unternehmen für die ökologische Wende, wir sehen hier auch Partner. Das steht alles im Programm, die ganze Frage von Innovation, Kreativität, Forschung. Aber es ist nicht gelungen, das gleichrangig bei der Themensetzung zu stellen und den Leuten auch darzulegen, wie hier unsere Thematiken sind.

    Meurer: Um das kurz festzuhalten: Sie haben ja einen Mittelstandspreis bekommen und Sie sind aber für Steuererhöhungen. Auch für Unternehmen? Das war richtig?

    Andreae: Das ist absolut richtig, dass wir im Wahlkampf sehr ehrlich waren im Hinblick auf die nachhaltige Finanzpolitik und gesagt haben, wir werden nach der Wahl zur Finanzierung von Infrastruktur, zur Finanzierung der Energiewende Steuererhöhungen brauchen. Wir nehmen die Schuldenbremse sehr ernst.

    Meurer: Wieso positionieren Sie sich da so links und räumen das gesamte Feld der CDU?

    Andreae: Das ist ja keineswegs links. Wenn Sie jetzt die Äußerungen aus der CDU zu Steuererhöhungen hören, allen Dementi zum Trotz, sage ich Ihnen nach wie vor voraus, dass wir eine Einkommenssteuer-Anpassung bekommen, dass es Steuererhöhungen beim Spitzensteuersatz geben wird. Problematisch an unserem Programm war, dass wir das Gefühl vermittelt haben, wir drehen jeden Stein gleichzeitig um, wir drehen jede Schraube. Da ist die Priorisierung abhandengekommen, da ist abhandengekommen, dass wir das Gefühl vermitteln, wir nehmen euch ernst, wir nehmen euere Sorgen auch ernst. Da ist Sensibilität abhandengekommen und dem müssen wir uns auch ernsthaft stellen, im Übrigen auch ich.

    Meurer: Warum ist das bei den Grünen eigentlich so schlimm, wenn man einen Preis von einer Union mittelständischer Unternehmer bekommt, so wie Sie?

    Andreae: Ich habe das nicht als schlimm empfunden, sondern durchaus als Ehre, weil die Thematik, die wir setzen und die ich auch immer in meiner Politik gesetzt habe, zu sagen, wir müssen Ökologie und Ökonomie zusammen denken – und das ist ja durchaus manchmal ein Spannungsfeld …

    Meurer: Aber in der Partei hat es Ihnen geschadet, oder?

    Andreae: Nein, in der Partei hat mir das nicht geschadet. Ich bin stellvertretende Fraktionsvorsitzende, ich habe hier sehr viel Zuspruch bekommen. Aber es ist natürlich durchaus ein Kurs, der auch in der Partei zu Diskussionen führt. Ich habe ja gesagt, es ist ein Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie, und das, was in der Wirtschaft als Spannung ankommt, kommt natürlich auch in der Partei als Spannung an. Das muss man aber auch immer wieder austragen. Ich sage ganz klar: Ökologie ist Gewinn und keine Bedrohung für die Unternehmen, und den Rahmen müssen wir dafür schaffen. Das heißt aber auch, die Ansprache dafür zu schaffen, den Gesprächsfaden dafür zu haben und die Brücken zu der Unternehmerschaft zu bauen.

    Meurer: Wie unterscheiden Sie sich, Frau Andreae, von Katrin Göring-Eckardt?

    Andreae: Vom Typ her muss man uns einzeln bewerten. Aber ich denke, es ist die Frage der inhaltlichen Ausrichtung. Das, was ich gerade beschrieben habe, ist ein Kurs, den ich den Grünen empfehle, dass ich sage, lasst uns das Thema ökologische Modernisierung, ökologische Wende, Klimaschutz, was für Grüne nicht verhandelbar ist – der Klimaschutz ist zentraler grüner Gründungsimpuls -, diesen umzusetzen, lasst uns das gemeinsam mit der Unternehmerschaft machen, lasst uns hier einen Gesprächsfaden aufbauen, Brücken aufbauen, weil wir Politiker, wir sind ja nicht die Ingenieure, wir sind nicht die Planer. Ich habe in den vergangenen Jahren unglaublich viele engagierte Unternehmerinnen und Unternehmer kennengelernt, die sagen, ja, wir wollen hier gemeinsam vorankommen, mit Innovationen, mit Kreativität, und diese Brücken möchte ich bauen.

    Meurer: Diese Brücken, Entschuldigung, zu den Unternehmerinnen und Unternehmern, hatte das Katrin Göring-Eckardt verpasst, im Wahlkampf diese Brücken herzustellen?

    Andreae: Das kann ich so nicht sagen. Ich denke, sie hat genau wie auch Jürgen Trittin hier mehr oder weniger, vielleicht sie auch mehr den Anknüpfungspunkt gesucht. Aber die Thematiken im Wahlkampf lagen schwerpunktmäßig auf der Sozial- und Steuerpolitik. Ich finde, es ist sehr wichtig, dass man sich in beiden Punkten positioniert, bei der Sozialpolitik, bei der Steuer- und nachhaltigen Finanzpolitik, aber es wäre eben wichtig gewesen – und das ist das, was ich anbieten möchte -, dass wir hier an der Stelle noch mal deutlicher auch unseren wirtschaftspolitischen Kurs in den Vordergrund stellen. Der ist ja da, der muss ja nicht neu erfunden werden, da hat die Partei viele Jahre diskutiert und darum gerungen, bei den Fragen Effizienz und Innovation.

    Meurer: Dann könnte es ja mit der CDU doch gehen. Sind Sie für Schwarz-Grün?

    Andreae: Im Augenblick geht es um Sondierungsgespräche und da wird ja erst mal darüber gesprochen, über was kann denn in einem Koalitionsvertrag verhandelt werden. Es wäre jetzt an meiner Stelle zu früh, hier schon ein Themen-Setting aufzumachen und zu einer Bewertung zu kommen. Ich habe im Wahlkampf immer gesagt, wir kämpfen für Rot-Grün, und wenn es dafür nicht reicht, reden wir mit den Anderen. Aber entscheidend ist, was dann in einem Koalitionsvertrag steht, und da gibt es für Grüne klare Themen, die sind zentral, die müssen dann in den Sondierungsgesprächen und eventuell in weiteren Verhandlungen ausgesprochen werden. Aber da stehen wir ja noch ganz am Anfang. Ich glaube, dass es durchaus schwierig wird, hier zu einem gemeinsamen Agieren zu kommen.

    Meurer: Sehen Sie umgekehrt eine Chance für die Grünen, dass etwas Positives daraus entstehen könnte, für die Grünen aus Schwarz-Grün?

    Andreae: In jedem Moment ist immer eine Chance, wenn man sie richtig nutzt und wenn man sie gut nutzt. Aber Sie müssen auch sehen, dass wir in einem Wahlkampf sehr deutlich aufgetreten sind gegen die Union und die Union im Übrigen auch sehr deutlich gegen uns. Und Sie müssen die Menschen ja auch immer ein Stück weit mitnehmen bei der Frage von Koalitionen und von Regierungen. Sie müssen stabile Mehrheiten schaffen. Sie muss ja auch über vier Jahre tragen. Das ist ja nicht nur Sondierungsgespräche, sondern das ist eine Regierungszeit über vier Jahre. Insofern: Chancen sind da immer. Das Zeitfenster für Klimaschutz, das Zeitfenster zum Umsetzen der Energiewende wird auch immer enger, und ich würde es sehr begrüßen, wenn Grüne hier mitarbeiten. Aber wir haben ja wenig im Kreuz mit 8,4 Prozent. Das muss man sehen, dass wir ein sehr kleiner Partner wären. Deswegen würde es sehr darauf ankommen, was sich inhaltlich tatsächlich umsetzen lässt, und da bin ich skeptisch.

    Meurer: Kerstin Andreae will Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen werden und sie ist skeptisch, ob das mit Schwarz-Grün klappen könnte. Frau Andreae, danke Ihnen für die Zeit, die Sie sich genommen haben. Schönen Tag, auf Wiederhören!

    Andreae: Danke, Herr Meurer. Auf Wiederhören!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.