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Ökologische Beerdigung
Kompostieren als Bestattungsmethode

Wer sich mit dem eigenen Ableben beschäftigt, stellt sich früher oder später die Frage: Beerdigung in einem Sarg oder in einer Urne? Doch es gibt noch einen dritten Weg - die ökologische Bestattung. Dabei werden die sterblichen Überreste in einem speziellen Behälter beerdigt - und zu Humus umgewandelt.

Von Michael Stang | 26.01.2021
Grabstein
Bei der ökologischen Bestattung werden die sterblichen Überreste komplett kompostiert (imago/Martin Bäuml Fotodesign)
Am Ende des Lebens stellen sich die meisten Menschen eine Frage: "Was wird mit meinem Körper passieren, wenn ich sterbe?" Über 30 Jahre lang beschäftigte sich die schwedische Biologin Susanne Wiigh-Mäsak mit der Kompostierung organischer Stoffe – menschliche Körper eingeschlossen.
"Alle organischen Materialien haben nach dem Tod drei Optionen: entweder werden sie wieder zu Erde oder sie verrotten irgendwie oder sie verbrennen. Menschen können heute nur zwischen Option B und C wählen, also Verrotten oder Verbrennen. Die Möglichkeit, die der Natur am nächsten steht – Plan A – kann heute niemand auswählen."

Promession: Der Körper zerfällt zu Pulver

Susanne Wiigh-Mäsak verfolgte daher einen neuen Ansatz im Bestattungswesen. Im westschwedischen Nösund hatte sie eine ökologische Bestattungsmethode namens Promession entwickelt. Dabei soll das organische Material eines toten Körpers in den Kreislauf der Natur zurückgeführt werden. Die Technik soll den Leichnam in seiner organischen Substanz erhalten, ihn jedoch in einen Zustand überführen, in dem er rasch zu Humus umgewandelt werden kann. Bei ihrer Methode wird der Leichnam zunächst auf minus 18 Grad Celsius heruntergekühlt. Ein wichtiger Faktor ist das Wasser, aus dem ein menschlicher Körper zu etwa 70 Prozent besteht.
"Um das Wasser zu entfernen, habe ich mich für das Gefriertrocknen entschieden. Dabei bleibt das organische Material erhalten. Zudem ist der Körper, nachdem er in flüssigen Stickstoff getaucht wurde, sehr zerbrechlich. Wir haben eine Technik entwickelt, bei der der Körper durch eine Erschütterung innerhalb von Sekunden zerfällt."

Der in flüssigen Stickstoff getauchte Körper wird in einer Kammer Vibrationen ausgesetzt, wo er in binnen kurzer Zeit zu einem groben Pulver zerfällt. In einer Vakuumkammer wird das Wasser entfernt und später noch vorhandenes Metall, zum Beispiel Zahnfüllungen und künstliche Gelenke, entfernt. Das verbliebene biologische Material – ein Drittel des ursprünglichen Körpergewichts - wird in einen kompostierbaren Sarg etwa aus Maisstärke gebettet. Dieser Sarg kann in einer wesentlich geringeren Tiefe als herkömmliche Totenkisten beigesetzt werden. Binnen sechs bis 18 Monaten haben sich alle menschlichen Überreste vollständig aufgelöst und in Humus umgewandelt. Diese neue Bestattungsmethode, gab sich Susanne Wiigh-Mäsak beim Interview 2007 überzeugt, wird die Welt verändern.
Michael Stang hat die Biologin Susanne Wiigh-Mäsak 2007 auf einer Insel in Westschweden besucht 
Michael Stang hat die Biologin Susanne Wiigh-Mäsak 2007 auf einer Insel in Westschweden besucht (Copyright: Michael Stang / Deutschlandfunk)
Ein Waldfriedhof in Herten im Ruhrgebiet. Auf einer Bank sitzt eine Frau, davor steht ein Holzkreuz.
Diskussion über naturnahe Bestattungen
Rund 400 Urnen- oder Bestattungswälder gibt es in Deutschland. Die Idee, Totenasche außerhalb von Friedhöfen zu bestatten, stammt aus der Schweiz und wird auch hier immer populärer. Die Anbieter bewerben diese Art der Bestattung als besonders umweltfreundlich, Kritiker sehen Probleme.

Konkurrenz-Methode aus den USA

Für die als Promation bezeichnete Methode hatte sie 1999 in Schweden ein Patent angemeldet. Das Verfahren wurde weiterentwickelt und in Dutzenden Ländern ebenfalls patentiert. Doch die Finanzierung war schwierig, die bürokratischen Hürden führe Firma Promessa hoch. Der Betrieb eines Friedhofs und der Bau einer entsprechenden Anlage scheiterten. Doch die Idee lebt weiter. In mehreren Ländern gibt es Promessa-Beauftragte, um die ökologische Bestattungsmethode doch noch Realität werden zu lassen, vor allem in den USA. Eine von ihnen ist Rachel Caldwell, die 2019 im US-Sender KCTV5 News darauf hinwies, warum die Methode besser ist als die bisherigen Optionen.
"Promation ist weltweit erste und einzige Methode, mit der ein toter menschlicher Körper nicht beseitigt werden kann."

Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn es gibt Konkurrenz in Form des US-Unternehmens Recompose. Dort geschieht die Umwandlung eines Körpers ohne flüssigen Stickstoff und Gefriertrocknung. In einem eigens entwickelten Hochspeicher, ein begehbares Gebäude, befinden sich auf der obersten Etage riesige Waben. In diese werden die Toten gebettet und mit Holzspänen und anderen Pflanzenresten bedeckt. Anschließend wird die Wabe verschlossen und die Mikroorganismen beginnen damit, den Körper zersetzen und zu kompostieren. Und es funktioniert nicht nur in der Theorie, so Gründerin Katrina Spade.
"Seit 2014 führen wir ein Projekt in den Hügeln von North Carolina mit der Abteilung für forensische Anthropologie der Western Carolina University durch. Sechs Spenderkörper wurden dort mit Holzspänen bedeckt, es gab genug Sauerstoff und die Mikroben machten sich direkt ans Werk. Mit diesem Pilotprogramm konnten wir zeigen, dass es möglich ist, die unglaubliche Kraft der natürlichen Zersetzung zu nutzen, um menschliche Körper in Humus zu verwandeln."
Der Friedwald in Schönebeck/Elbe (Sachsen-Anhalt). Rund 26 Hektar Wald stehen auf dem ostelbischen Gelände für Bestattungen zur Verfügung. 
Bestattungswälder - Asche zu Asche, Schwermetall zu Schwermetall
In Deutschland werden über 60 Prozent der Verstorbenen in einer Urne beigesetzt. Meist auf dem Friedhof, manchmal aber auch in einem Bestattungswald. Es wird nun untersucht, ob die Schwermetalle in der Totenasche den Pflanzen und Grundwasser Schaden zufügen können.

Kompostierung erzeugt Wärme - für weitere Nutzung?

Im Mai 2020 wurde die Methode der natürlichen organischen Reduktion in Washington zugelassen, weitere Bundesstaaten sollen folgen. Im November 2020 sollte in Seattle die erste Einrichtung, ein eigens entworfenes Gebäude, wo die Kompostierung vorgenommen wird, eröffnet werden. Doch es gab Verzögerungen. Deswegen könne Katrina Spade auch derzeit keine Interviews geben, da alle mit Hochdruck an der Eröffnung des ersten Standorts arbeiten. Deswegen verweist die Presseabteilung auf einen TED-Talk, der auf der Unternehmensseite zu sehen ist. Dort preist die Gründerin auch positive Nebeneffekte an, die sie bei dem Pilotprojekt festgestellt haben.
"Die Kompostierung erzeugte übrigens viel Wärme, insbesondere diese besondere Art der Kompostierung. Eine Woche, nachdem wir mit der Kompostierung unseres fünften Spenderkörpers begonnen hatten, erreichte die Temperatur in diesem Holzhackschnitzel 70 Grad Celsius. Stellen Sie sich vor, Sie nutzen diese Wärme, um Energie zu erzeugen und die Trauernden an einem kalten Tag zu trösten. Die Revolution der Bestattungsbranche hat begonnen."
Das Unternehmen Recompose hat im Gegensatz zu Promessa keine Finanzierungsprobleme. Im Sommer 2020 waren bereits 6,75 Millionen US-Dollar über Spenden und Beiträge der zahlenden Kundschaft zusammengekommen. Der Grundpreis für eine Bestattung liegt bei 5.500 US-Dollar. Die Eröffnung eines Gebäudes, wo eine organische Bestattung offiziell stattfinden darf, wird die schwedische Biologin Susanne Wiigh-Mäsak nicht mehr erleben, sie erlag am 1. September 2020 einem Krebsleiden.