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Ökonom hält Schuldenschnitt für Griechenland für "unausweichlich"

Der Ökonom Carsten Brzeski glaubt nicht, dass die Kreditgeber Griechenlands an einem Schuldenschnitt für Athen vorbeikommen werden. Athen werde es niemals schaffen, seine Schulden auf ein tragfähiges Niveau zurückzuführen. Alternativ dazu sieht Brzeski ein drittes Hilfspaket.

Das Gespräch führte Sandra Schulz | 19.11.2012
    Sandra Schulz: Die Zahlen sind und bleiben ernüchternd. Mit der griechischen Wirtschaft geht es auch dieses Jahr bergab, das fünfte Jahr in Folge, allen Kraftanstrengungen zum Trotz, und auch für das kommende Jahr prognostizieren Experten Düsteres. Unter anderem darum soll Griechenland mehr Zeit bekommen, so sieht das die Euro-Gruppe, und Zeit heißt auch Geld - den Berechnungen der Troika aus EZB, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds zufolge mehr als 30 Milliarden Euro. Wo die herkommen sollen, darüber herrscht Streit, und Fundamentalopposition kommt vom Internationalen Währungsfonds, dessen Chefin Lagarde droht, der IWF müsse sich zurückziehen, wenn Griechenland für den Schuldenabbau mehr Zeit bekomme. Auch vor der Sondersitzung der Euro-Finanzminister zu Griechenland morgen hat sich zuletzt keine Annäherung abgezeichnet, und darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich Carsten Brzeski, er ist Chefvolkswirt der DiBa und Europaexperte des niederländischen Finanzkonzerns ING. Guten Morgen.

    Carsten Brzeski: Guten Morgen.

    Schulz: EU-Kommissar Günther Oettinger hält einen Schuldenschnitt für unausweichlich, die Bundesregierung sträubt sich dagegen. Wer wird denn Recht behalten?

    Brzeski: Beide! Letztendlich ist ein Schuldenschnitt unausweichlich für Griechenland. Die Griechen werden es einfach niemals schaffen, ihre Schulden auf ein tragfähiges Niveau, was irgendwann mal definiert wurde als 120 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, zurückzuführen. Aber dieser Schuldenschnitt wird jetzt nicht in den nächsten ein, zwei Jahren passieren. Das heißt, wenn die Minister sich morgen treffen werden in Brüssel, dann werden sie sich wahrscheinlich nur einigen können, wie man jetzt diese Finanzierungslücke für die nächsten zwei Jahre finanzieren kann. Ein Schuldenschnitt wird aber nicht zur Diskussion stehen.

    Schulz: Aber wenn Sie sagen, es zeichnet sich jetzt schon ab, dass der Schuldenschnitt kommt – wenn, dann auch erst nach der Bundestagswahl -, stimmt dann nicht trotzdem das Argument der Bundesregierung, das sie jetzt auch zu Felde führt, nämlich dass, sobald sich der Druck lockert oder gelockert wird, die Anstrengungen auch möglicherweise wieder nachlassen?

    Brzeski: Ganz genau. Ich denke, das ist das stärkste Argument. Das andere Argument ist natürlich auch: Wenn es jetzt schon einen Schuldenschnitt gäbe für Griechenland, was sagt man dann den Spaniern, den Portugiesen, den Iren, die ja eigentlich noch mehr Anstrengungen unternommen haben als die Griechen in den letzten Jahren, die aber keinen Schuldenschnitt bekommen. Denn im Augenblick wäre ein Schuldenschnitt eine deutliche Erleichterung für Griechenland, und ich kann mir nicht vorstellen, dass man das wirklich durchführen möchte. Also eine Lockerung und Erleichterung für Griechenland wird es so nicht geben. Das heißt, am Ende dieser ganzen Verhandlungen, am Ende der Reformen kann man vielleicht einen Schuldenschnitt in Aussicht stellen, aber nicht jetzt.

    Schulz: Wir sprechen ja jetzt wieder über einen Schuldenschnitt, der dann wahrscheinlich in erster Linie öffentliche Gläubiger treffen wird. Wie teuer wird es denn?

    Brzeski: Das ist im Augenblick unheimlich schwierig zu sagen. Das liegt ja auch daran, wie viele Kredite die Griechen jetzt in den nächsten Jahren noch bekommen werden. Ich denke aber sicherlich, wenn man sich die Berechnungen anschaut, dann laut Troika-Bericht würde ja die griechische Schuldenquote im Jahr 2020 irgendwo bei 140 Prozent des BIPs rauskommen. Man hat irgendwann mal gesagt, 120 wäre tragfähig. Wahrscheinlich würde man eher 100 Prozent anvisieren im Jahre 2020. Ich denke, dass wir wahrscheinlich sicherlich noch mal über 50 bis 100 Milliarden Euro reden.

    Schulz: Warum sind diese 120 Prozent überhaupt so eine "magische Zahl"?

    Brzeski: Das ist einfach wirklich aus der Luft gegriffen letztendlich. Man hat sich darauf geeinigt mit dem letzten Bericht der Troika im Sommer noch. Wir dürfen nicht vergessen: Letztendlich sagen die Maastricht-Kriterien für alle europäischen Länder, 60 Prozent sind tragfähige Schulden. Also 120 Prozent ist in diesem Sinne wirklich aus der Luft gegriffen. Das war vor einem Jahr ein eventuell realistisches Ziel für Griechenland, ist aber mittlerweile auch wieder komplett unrealistisch geworden.

    Schulz: Und da würde ich gerne noch mal zurückkommen auf die Größenordnung, die Sie gerade genannt haben, was der Schuldenschnitt dann kosten würde. Das müssen Sie uns noch ein bisschen helfen zu sortieren. Der Schuldenschnitt, wäre der denn das dritte Hilfspaket für Griechenland, von dem jetzt auch schon wieder die Rede ist?

    Brzeski: Nein. Letztendlich wäre es eine Alternative zum dritten Hilfspaket. Es geht darum, dass man Griechenland entweder noch mal ein richtiges drittes Paket geben würde. Dann könnte man auch diese Schuldentragfähigkeit weiterhin verzögern. Dann bräuchte ja Griechenland keinen Zugang zu den Finanzmärkten zu bekommen, weil Griechenland dann über die internationalen und öffentlichen Kreditgeber finanziert wäre. Die Alternative wäre der Schuldenschnitt. In dem Falle würde ich zwei Alternativen sehen: entweder drittes Paket, oder Schuldenschnitt.

    Schulz: Aber die Kosten, die auf die Steuerzahler zukämen, die wären so oder so immens?

    Brzeski: Wenn wir uns das jetzt anschauen, dann ist es letztendlich so, dass der Steuerzahler hier die Kosten tragen wird – nicht nur, um die griechischen Schulden wieder tragfähig zu machen, sondern auch schon, um diese Finanzierungslücke, um die es ja auch geht. Die Finanzierungslücke ist die Lücke jetzt in den nächsten ein bis zwei Jahren. Das sind diese gut 30 Milliarden Euro. Die müssen auch gefunden werden. Die werden wahrscheinlich gefunden, indem man die Zinsen auf die laufenden Kredite senkt. Die werden auch gefunden werden, indem man die Laufzeit der jetzigen zwei Kredite verlängert. Das sind natürlich auch indirekte Kosten für den Steuerzahler, da sich der Staat teilweise teurer finanzieren muss als das Geld, das er von den Griechen dann zurückbekommt. Das heißt auch, dass weniger Geld in die Kassen des Haushaltes gespült wird, weil weniger Geld von Griechenland zurückkommt. Also diese 30 Milliarden Euro sind auch schon indirekt Kosten für den Steuerzahler. Der Schuldenschnitt, so er denn kommen würde, oder das dritte Rettungspaket, das wären noch mal zusätzliche Kosten für den Steuerzahler.

    Schulz: Wenn wir jetzt unterstellen – das EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen sieht das ja so -, dass ein drittes Hilfspaket unvermeidbar ist, trauen Sie sich jetzt schon eine Prognose? Wird das dann das letzte Hilfspaket, oder ist das dann auch wieder nur ein vorletztes oder vorvorletztes?

    Brzeski: Ich denke, so eine Prognose traue ich mich nicht abzugeben für Griechenland. Wir haben zu häufig gesehen, dass bei Griechenland doch immer noch sozusagen ein paar Leichen im Schrank versteckt waren. Hier ist es wirklich so: Die beste Strategie für Griechenland ist, um immer wieder die nächsten ein, zwei Jahre sich anzuschauen, um zu sagen, dass nach dem dritten Paket Schluss wäre, denke ich, ist im Augenblick kein realistisches Szenario.

    Schulz: Wir haben darüber jetzt ja schon viele Monate gesprochen. Das Problem in Griechenland ist und bleibt ja offenbar die fehlende Wettbewerbsfähigkeit. Ist denn überhaupt schon was passiert, oder hat sich was getan, dass sich an diesem Grundproblem etwas ändert?

    Brzeski: Es ist natürlich schon viel passiert, wenn man sich anschaut, dass natürlich auch der griechische Staat enorme Sparanstrengungen unternommen hat. So ist es ja nicht in Griechenland. Die Bevölkerung leidet deutlich unter diesen Reformen. Einige Sachen sind weiterhin noch nicht durchgeführt worden. Es heißt aber auch, dass man wirklich Griechenland, die Situation in dem Lande, komplett unterschätzt hat, meiner Meinung nach. Das heißt, dass Griechenland wirklich von der Infrastruktur und von der Verwaltungsstruktur doch eine Art Dritte-Welt-Land gewesen ist. Das heißt, die Strukturen müssen komplett neu aufgebaut werden in diesem Land, und auch die Rolle des Staates ist eine ganz andere, als wir die in Westeuropa kennen. Das heißt, es müssen hier enorme Anstrengungen unternommen werden, es muss auch enorm geholfen werden von Europa, will man Griechenland wirklich nicht nur wieder wettbewerbsfähig machen, aber will man auch eigentlich die ganze Volkswirtschaft komplett reformieren.

    Schulz: Und die Sparprogramme, waren die dann nicht eigentlich kontraproduktiv, eben weil die Menschen jetzt ja so gut wie kein Geld mehr zum ausgeben haben?

    Brzeski: Ich denke, dass sie nicht kontraproduktiv waren, denn meistens sind ja die Sparprogramme nicht nur Sparprogramme, wie sie häufig in der Öffentlichkeit dargestellt werden, sondern Sparprogramme in den letzten Jahren waren immer kombiniert auch mit Strukturreformen. Von daher war es der richtige Weg auch für Griechenland. Es ist natürlich eine Art Schocktherapie: jetzt steuert man ein bisschen bei, man sieht, es war zu viel, man muss den Griechen also ein bisschen mehr Zeit geben, um diese negativen Folgen der Maßnahmen ein bisschen abfangen zu können. Aber ich denke, an der Tatsache, dass gespart werden musste, dass die Volkswirtschaft reformiert werden muss, dafür gab es keine Alternative.

    Schulz: Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der DiBa und Europaexperte des niederländischen Finanzkonzerns ING, heute hier in den "Informationen am Morgen". Haben Sie herzlichen Dank dafür.

    Brzeski: Gern geschehen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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