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Ökonom schlägt teilweisen Schuldenerlass für Griechenland vor

Der Ökonom Jens Bastian hält Griechenlands Schuldenberg für zu hoch, als dass er allein durch Sparen reduziert werden könne. Das Land brauche Investitionen, Hilfe beim Aufbau von Steuerverwaltungsstrukturen und: einen teilweisen Erlass der Schulden des Landes.

Jens Bastian im Gespräch mit Peter Kapern | 14.09.2011
    Jasper Barenberg: Scheitert der Euro, scheitert Europa. Mit diesen Worten hat Angela Merkel vergangene Woche noch vor den Abgeordneten des Bundestages für ihren Kurs geworben. Schon wieder aber schießen jetzt Spekulationen ins Kraut, und zwar nicht nur bei uns. In den USA warnt Präsident Obama, die Euro-Krise bedrohe die Weltwirtschaft. So ernst bewertet man in Washington offenbar die Lage, dass der US-Finanzminister zum ersten Mal überhaupt an einem Treffen seiner europäischen Kollegen teilnehmen wird. Und in Berlin aus der Regierungskoalition dunkle Andeutungen über eine Staatspleite Griechenlands und über den möglichen Ausschluss des Landes aus dem gemeinsamen Währungsverbund.
    Über beide Möglichkeiten hat mein Kollege Peter Kapern mit dem Ökonomen Jens Bastian gesprochen, der in Athen für die griechische Stiftung für europäische und auswärtige Politik arbeitet, für ELIAMEP.

    Jens Bastian: Beide Vorschläge aus Berlin sind überhaupt nicht zielführend. Sie helfen Griechenland nicht weiter und sie kommen auch, wenn sie überhaupt einen realistischen Kern haben, wesentlich zu spät. Wir haben in Europa keine Insolvenzordnung, dafür muss der Baukasten erst noch geschaffen werden. Und die Rausschmiss-Androhung ist ja eine Bestrafung für Griechenland. Der Euro ist eine der wenigen Errungenschaften, mit der sich diese Gesellschaft identifiziert. Das werden sie mit Händen und Füßen auch verteidigen.

    Peter Kapern: Aber innerhalb des Euros kann Griechenland nur bleiben, wenn es irgendwann wieder Wettbewerbsfähigkeit gewinnt. Kann das gelingen?

    Bastian: Das ist schwer, jetzt gerade unter den Bedingungen, die in der Tat sehr Besorgnis erregend sind, vorauszusagen. Was nicht hilfreich ist jetzt gerade, sind Empfehlungen, die auch am Kern der Sache vorbeigehen. Sie haben völlig recht: Griechenland braucht Wettbewerbsfähigkeit. Die wird allerdings nicht alleine durch eine Konzentrierung auf Sparen erreicht. Griechenland braucht zur Herstellung dieser Wettbewerbsfähigkeit auch Investitionen. Diese können Arbeitsplätze schaffen. Griechenland kann aus eigener Kraft diese Investitionen, zum Beispiel aus dem öffentlichen Budget, nicht stemmen, dafür braucht es Hilfe von seinen europäischen Partnern und auch bilaterale Investitionen, zum Beispiel aus Deutschland, und da kommen ja erste Ansätze von deutschem Interesse an Investitionen in Griechenland.

    Kapern: Gleichwohl, Herr Bastian, bleibt ja festzuhalten: Die Kunst bei der Staatssanierung besteht ja eigentlich einerseits darin, drastisch zu sparen, und andererseits gleichzeitig, das Wirtschaftsgeschehen nicht vollständig zum Erliegen zu bringen, und nun hören wir aus Griechenland, die Wirtschaft schrumpft dieses Jahr um mehr als fünf Prozent. Da muss man doch sagen, die notwendige Balance ist völlig außer Acht geraten, oder?

    Bastian: In der Tat! Deswegen, wie ich eben sagte, Sparen alleine, das ist eine Einbahnstraße, obwohl Griechenland Sparerfolge hat in den vergangenen 15 Monaten, und die können sich auch sehen lassen. Das reicht jetzt nicht mehr. Wenn wir weiterhin Griechenland weitere Sparpakete aufdrängen, wenn Premierminister Papandreou eine Sparmaßnahme nach der anderen alle drei Monate ankündigen muss, dann verliert er nicht nur in der Realwirtschaft Griechenlands an Unterstützung, sondern dann verliert er auch die soziale Akzeptanz für diesen Reformprozess. Das ist also eine Herkules-Aufgabe, wo wir eine Horizonterweiterung brauchen, und ich sehe erste Ansätze dafür, dass wir Griechenland nicht mehr nur Sparzwänge auferlegen, sondern auch Alternativen vorschlagen, die konstruktiv sind, die auf Investitionen, auch auf die Zurverfügungstellung von technischer Expertise hinweisen.

    Kapern: Welche Ansätze meinen Sie da?

    Bastian: Zum Beispiel Griechenland hat ja nicht vornehmlich ein Ausgabeproblem, sondern ein Einnahmeproblem. Da geht es vor allen Dingen um Korruption, um Defizite massiver Art in der Steuerverwaltung, die Fähigkeit der Steuerbehörden, die Steuern, die gezahlt werden müssen, einzutreiben. Das fängt an bei den Steuerbeamten und deren Streikrecht, das geht weiter bei ihrer Bezahlung, bei ihren Pensionsansprüchen, aber es geht auch darum, in der Art und Weise, wie wir in der griechischen Gesellschaft stärker Steuerehrlichkeit versuchen, zu verankern. Und hier versucht zum Beispiel die Europäische Kommission dieser Tage durch den Aufbau einer sogenannten Griechenland-Taskforce technische Expertise vor allen Dingen im Verwaltungsbereich zur Verfügung zu stellen, damit wir auch den Blickwinkel etwas erweitern, nicht mehr nur auf finanzielle Hilfe, sondern auch auf den Aufbau, die Konsolidierung von Verwaltungsstrukturen, damit zum Beispiel die Steuern eingetrieben werden können.

    Kapern: Aber, Herr Bastian, fühlt sich Griechenland nicht gegängelt, entmündigt durch so etwas?

    Bastian: Dieser Eindruck ist in der Tat möglich, aber die Entmündigung, die hat bereits früher begonnen. Die Entmündigung beginnt damit, dass ein Land einen solchen Schuldenberg aufhäuft, der einem dann die Souveränität zum Handeln nimmt, und die Entmündigung setzt sich dann fort, wenn die einzige Möglichkeit, weiterhin sich Geld zu leihen, darin besteht, dass man nach Washington zum Internationalen Währungsfonds geht, oder nach Frankfurt zur Europäischen Zentralbank. Und dann kommt der dritte Teil der Entmündigung, dass in der Tat die griechische Gesellschaft zunehmend den Eindruck hat, wofür sparen wir eigentlich, geht es nur darum, dass wir die Staatsanleihen zurückzahlen, die europäische Banken uns angeboten haben und gekauft haben.

    Kapern: Na ja, Sie sagen "nur". Aber ist es nicht ein üblicher Umgang im gegenseitigen Geschäftsverkehr, dass man seine Schulden auch bezahlt?

    Bastian: Natürlich müssen diese Schulden gezahlt werden. Aber wenn diese Schulden dadurch gezahlt werden, dass man einem Land nur durch Sparen die Schuldenrückzahlung auferlegt, dann wird das nicht mehr klappen. Der Schuldenberg ist zu hoch. Wir müssen konstruktive Lösungen uns überlegen, wie kann man – und das ist ja jetzt zum ersten Mal seit ein paar Wochen geschehen – den privaten Sektor beteiligen, dass er einen bestimmten Teil der Staatsanleihen, den er von Griechenland gekauft hat, abschreibt, eine Wertberichtigung vornimmt. Ich glaube allerdings auch, dass wir aufgrund der Tiefe des Problems und der begrenzten Lösungsmöglichkeiten uns auch irgendwann – ich glaube, das ist eine Frage der Zeit – darüber Gedanken machen müssen, ob wir am Beispiel Griechenlands etwas auf den Weg bringen, das wir in Afrika schon mal gemacht haben: ein teilweiser Schuldenerlass.

    Kapern: Wann, denken Sie, wäre der Zeitpunkt dafür gekommen?

    Bastian: Im Grunde genommen schon vergangenes Jahr. Griechenland häuft ja immer weitere Schulden an, weil die Wirtschaft in einer tiefen Krise ist und weil Griechenland nicht in der Lage ist, durch eigene Investitionen, durch eigenes Wirtschaftswachstum einen Teil dieser Schulden zurückzuzahlen. Wir haben ja die paradoxe Situation, dass Griechenland weiter spart und der Schuldenberg steigt weiter an. Das heißt, konstruktive, innovative Schuldenlösungsmöglichkeiten hätten wir im Grunde genommen schon voriges Jahr auf den Weg bringen müssen. Die kommen jetzt ein Jahr zu spät. Aber wir müssen es dann eben auch jetzt machen! Aber wir sollten es nicht in einer Form tun, dass wir Griechenland Belehrungen oder Empfehlungen geben, zum Beispiel Rausschmiss aus dem Euro. Das klingt nach Bestrafung, nach Sanktionsmitteln. Und wir sollten auch nicht öffentliche Diskussionen führen über Insolvenzrecht eines Euro-Mitgliedslandes, wenn wir im Grunde genommen den Baukasten für ein solches Insolvenzrecht in Europa überhaupt noch nicht haben. Zum Beispiel: Wer wäre im Falle eines solchen Insolvenzverfahrens eigentlich der Insolvenzverwalter in Europa? Dafür haben wir keine Agentur.

    Barenberg: Offene Fragen also. Der Ökonom Jens Bastian im Gespräch mit meinem Kollegen Peter Kapern.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Sammelportal dradio.de: Euro in der Krise