Freitag, 19. April 2024

Archiv

Ökonom
Streiks und ihre Verhältnismäßigkeit

Die Bundesregierung plant mit einem Gesetzesentwurf, den Einfluss kleiner Gewerkschaften neu zu regeln. Das sei verständlich, sagte der Ökonom Justus Haucap im DLF, denn die großen Unternehmen hätten Interesse, nur mit einer Gewerkschaft zu verhandeln. Doch das Grundgesetz gebe dem Arbeitnehmer ein Recht auf kleine Gewerkschaften.

Justus Haucap im Gespräch mit Sandra Schulz | 28.10.2014
    Ein Mann sitzt am 18.10.2014 in München (Bayern) am Hauptbahnhof an einen Bahnsteig auf seinem Koffer.
    Reisende seien betroffen vom Streik, aber könnten nichts zur Lösung des Tarifkonflikts beitragen, so der Ökonom Justus Haucap. (picture-alliance / dpa / Tobias Hase)
    "Ich bin sehr, sehr gespannt, ob sich vor allen Dingen mittelfristig, wenn das ganze beim Verfassungsgericht gewesen ist, ob sich dann überhaupt was ändert." Er habe große Bedenken, dass das Gesetz bis dahin Bestand haben werde. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles legt heute einen Entwurf für ein Gesetz zur Tarifeinheit vor.
    Es scheine das Anliegen zu geben, die kleinen Gewerkschaften wieder in die großen hineinzuzwingen, von denen sie sich losgelöst hätten, so Haucap. Doch selbst mit der Umsetzung des Gesetzes werde die Republik von Streiks wie zum Beispiel von der GDL nicht verschont bleiben.
    Die Politik sollte laut dem Wirtschaftswissenschaftler eher fragen, wann ein Streik wirklich verhältnismäßig sei. Er fordert, dass bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Streiks, auch berücksichtigt wird, wie Unbeteiligte, die nicht zur Lösung des Tarifkonfliktes beitragen können, eigentlich betroffen seien. Das seien natürlich im Verkehrssektor derzeit ganz offensichtlich die Reisenden.

    Das Interview mit Justus Haucap in voller Länge:
    Sandra Schulz: Gerade in der vergangenen Woche waren es wieder die kleinen Gewerkschaften, die die Republik zum Stillstand gebracht haben. Erst streikten am Wochenende zum Schluss der Herbstferien die Lokführer, kurz darauf die Piloten. Die Bundesregierung will die kleinen, meist aber mächtigen Gewerkschaften jetzt dazu zwingen, mit den großen Gewerkschaften ihres Betriebes stärker gemeinsame Sache zu machen. Heute will Bundesarbeitsministerin Nahles von der SPD ihre Pläne dazu vorstellen.
    Am Telefon ist Professor Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie, der frühere Vorsitzende der Monopolkommission. Guten Morgen!
    Justus Haucap: Guten Morgen!
    Schulz: Die Bundesregierung will jetzt die kleinen Gewerkschaften ein bisschen zähmen. Ist das gut?
    Ein schwieriges Unterfangen
    Haucap: Man kann das verstehen in gewisser Weise, weil ja viele genervt sind von den Streiks und weil die großen Unternehmen, die Bahn oder so, natürlich ein Interesse daran haben, dass es einfacher wäre, mit einer Gewerkschaft zu verhandeln als mit mehreren. Aber dennoch ist das Ganze auch ein schwieriges Unterfangen, denn wir haben auch ein Grundgesetz und das Grundgesetz gibt den Arbeitnehmern auch das Recht, Gewerkschaften zu bilden, und zwar auch kleine Gewerkschaften zu bilden, und auch anderen Gewerkschaften fern zu bleiben, von denen sie sich nicht gut vertreten fühlen. Genau das ist hier das Problem. Hier ist doch so ein bisschen das Anliegen, anscheinend die kleinen Gewerkschaften wieder in die großen hineinzuzwingen, von denen sie sich gerade befreit oder losgelöst haben.
    Schulz: Gehen Sie denn davon aus, wenn das Gesetz so kommt, wie es jetzt vorliegt, und nach allem, was wir bisher darüber wissen, dass solche großen Streiks wie jetzt zum Beispiel der GDL-Streik oder die Pilotenstreiks, dass die Republik davon künftig verschont bleibt?
    Haucap: Das glaube ich, ehrlich gesagt, nicht. In vielen Bereichen haben wir ja ohnehin schon eine Vertretung durch eine Gewerkschaft. Die Lokführer werden im Wesentlichen durch die GDL vertreten, die Piloten im Wesentlichen durch Cockpit, oder die Ärzte im Wesentlichen durch Marburger Bund, und die könnten nach wie vor streiken, weil die relativ leicht die Mehrheit der jeweiligen Berufsgruppe hinter sich vereinen würden.
    Diesen Freiheiten sind auch Grenzen gesetzt
    Schulz: Aber die bräuchten doch dann auch die Mehrheit im Betrieb.
    Haucap: Das ist wiederum die Frage, wie das genau ausgelegt werden wird. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man sagen wird, den Piloten, oder auch den Lokführern, da sie ja quantitativ immer in der Minderheit sind in einem Betrieb, spricht man überhaupt das Recht ab, eine Gewerkschaft zu gründen beziehungsweise eine effektive Gewerkschaft zu gründen, die tatsächlich auch streiken kann. Da würde sicherlich das Verfassungsgericht sehr schnell einen Riegel davorschieben und dann wäre durch das Gesetz gar nichts gewonnen, außer dass man einen etwas längeren Streit vor den Gerichten und insbesondere vor dem Verfassungsgericht am Ende haben wird.
    Schulz: Aber ist es die Idee der Koalitionsfreiheit im Grundgesetz, dass ein paar besonders gut qualifizierte, besonders gut bezahlte Mitarbeiter ihre Interessen vertreten, egal was der Rest der Belegschaft sagt, egal was der Rest der Republik dazu sagt?
    Haucap: Das ist in der Tat ein Problem und natürlich sind diesen Freiheiten auch Grenzen gesetzt, und ich denke, das wäre ein Punkt, an dem die Politik eigentlich besser ansetzen könnte, genau zu fragen, wann ist eigentlich ein Streik verhältnismäßig. Hier müssten vielleicht neue Richtlinien mal eingezogen werden, dass bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Streiks auch berücksichtigt wird, wie viel dritte Unbeteiligte, die nicht zum Tarifkonflikt oder zur Lösung des Tarifkonflikts beitragen können, eigentlich betroffen sind. Das ist ja im Verkehrssektor jetzt ganz offensichtlich. Die Reisenden, die Passagiere können nichts beitragen zur Lösung des Tarifkonflikts. Das wird bisher noch nicht hinreichend berücksichtigt aus meiner Sicht und es gibt eigentlich ganz interessante Lösungsvorschläge, zum Beispiel zu sagen, in diesen sensiblen Bereichen, wo Dritte besonders geschädigt werden, da sollten auch besondere Regeln gelten, zum Beispiel, dass Streiks im Minimum vier Tage vorher angekündigt werden. Dann gibt es immerhin die Möglichkeit, umzudisponieren. Wenn die Streiks natürlich sehr kurzfristig angekündigt werden, dann werden Dritte ganz stark getroffen, und das ist dann die Frage, ob das wirklich noch als verhältnismäßig zu interpretieren sein sollte.
    Verhältnismäßigkeit eines Streiks berücksichtigen
    Schulz: Ein Eingriff in das Streikrecht, wäre das nicht noch ein viel größerer Angriff auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit?
    Haucap: Wir haben in einer sozialen Marktwirtschaft ja eigentlich immer Regeln, wo derjenige, der besonders mächtig ist, auch besondere Verpflichtungen hat. Unternehmen haben besondere Verpflichtungen, wenn sie besonders stark sind, auch die Interessen von anderen zu berücksichtigen. Zum Beispiel muss die Bahn selbst sich auch zahlreiche Tarife genehmigen lassen, weil sie ein besonders mächtiges Unternehmen ist. Das könnte man eigentlich - das hat die Monopolkommission schon vor Längerem vorgeschlagen - auch auf Gewerkschaften übertragen und sagen, wer durch einen Streik besonders viele Dritte schädigt, hat auch besondere Verpflichtungen und muss an diese Dritten, also die Kunden, auch mit denken, zum Beispiel, indem man sagt, in diesen Branchen muss erst mal ein Schlichtungsverfahren durchlaufen werden, bevor gestreikt werden darf. Das könnte man ausdifferenzieren, genauso wie kleine Unternehmen in der Bundesrepublik anders behandelt werden als große Unternehmen.
    Schulz: Das heißt aber alles in allem, auf diese Streiks scheint ja der Gesetzentwurf gar nicht unbedingt abzuzielen. Dass sich was ändert, das wissen wir heute Morgen nicht genau.
    Haucap: Ich bin sehr, sehr gespannt, ob sich vor allen Dingen mittelfristig, wenn das Ganze beim Verfassungsgericht gewesen ist, überhaupt was ändert. Ich habe da die größten Bedenken, dass das bis dahin überhaupt Bestand haben wird.
    Schulz: ..., sagt Professor Justus Haucap, Ökonom von der ...
    Haucap: ... Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.
    Schulz: Das wollte ich eigentlich gerade sagen. Vielen Dank Ihnen, danke für das Gespräch.
    Haucap: Tschüss!
    Schulz: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.