Donnerstag, 18. April 2024

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Ökonom zur Leiharbeit
Keine organisierte Lohndrückerei

Leiharbeiter würden schlechter bezahlt, weil sie zum Teil schlechter qualifiziert seien, sagte Lars Peter Feld im Dlf. Außerdem sei Leiharbeit für Steuerzahler sinnvoll, weil die finanzielle Aufstockung des Lohns durch den Staat weniger kostet als die volle Zahlung des Arbeitslosengeldes, so der Ökonom.

Lars Peter Feld im Gespräch mit Christiane Kaess | 09.08.2017
    Lars Peter Feld, Leiter des Walter Eucken Instituts, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und einer der fünf Wirtschaftsweisen
    Bricht eine Lanze für die vielfach kritisierte Leiharbeit: Lars Peter Feld, Leiter des Walter Eucken Instituts, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und einer der fünf Wirtschaftsweisen (dpa)
    Christiane Kaess: Die Zahl der Leiharbeiter in Deutschland wächst ständig: Ende letzten Jahres waren fast eine Millionen Menschen in derartigen Jobs beschäftigt. Das belegt die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Das sind 40.000 Leiharbeiter mehr als im Jahr davor. Die große Koalition hat in dieser Wahlperiode die Regeln für Leiharbeit und Werkverträge zwar verschärft - seit April gilt ein Gesetz, das den Einsatz von Leiharbeitern auf 18 Monate beschränkt, danach muss das Unternehmen sie übernehmen. Außerdem müssen Leiharbeiter jetzt nach neun Monaten den gleichen Lohn erhalten wie die Stammbelegschaft, aber viele Leiharbeiter werden wesentlich kürzer beschäftigt. Zuletzt wurde mehr als die Hälfte von ihnen für maximal drei Monate sozusagen ausgeliehen. Die Regelung kann also nur bedingt greifen. Die Linkspartei spricht von organisierter Lohndrückerei. Darüber sprechen möchte ich mit Lars Peter Feld. Er ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, und er ist Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der die Bundesregierung berät. Guten Morgen, Herr Feld!
    Lars Peter Feld: Guten Morgen!
    Leiharbeit als "Ventil beim restriktiven Kündigungsschutz"
    Kaess: Ist Leiharbeit organisierte Lohndrückerei?
    Feld: Nein, das kann man so natürlich nicht sagen. Man muss feststellen, dass Leiharbeit, als sie erleichtert worden ist unter der rot-grünen Bundesregierung vor vielen Jahren, zunächst mal eine Funktion hatte, nämlich als Ventil beim ziemlich restriktiven Kündigungsschutz, den wir in Deutschland haben, zu dienen. Ohne diese Restriktivität hält die Leiharbeit die Funktion, wie sie sie in Ländern wie der Schweiz oder in Dänemark hat, wo wir einen sehr flexiblen Arbeitsmarkt und flexibles Arbeitsrecht haben. Nämlich dann würde die Leiharbeit einzig dazu dienen, die Spitzen am Arbeitsmarkt abzudecken, insbesondere die konjunkturellen Spitzen nach oben, also wenn es besonders gut läuft und die Unternehmen noch unsicher sind, ob es so weitergeht.
    Kaess: Aber das heißt, vor allem die Unternehmen profitieren davon.
    Feld: Das kann man so nicht sagen, denn auf der anderen Seite haben wir ja eine Situation, in der in Deutschland immer noch eine relativ große Zahl von Menschen nicht beschäftigt ist, arbeitslos ist. Das sind vor allen Dingen Personen, die eine geringere Qualifikation haben. In dem Bereich hat sich Arbeitslosigkeit sehr verfestigt über die Jahre, und die Leiharbeit bietet auch eine Möglichkeit, für Geringerqualifizierte einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu finden. Ob sie dann aus der Leiharbeit weiter rauskommen in normale sozialversicherungspflichtig beschäftigte Verhältnisse, die auf normalen Verträgen basieren, ist dann wiederum eine andere Frage.
    Leiharbeiter können oft "qualifikatorisch nicht ganz mithalten"
    Kaess: Das passiert ja meistens nicht, wie die Zahlen belegen. Woran liegt das denn?
    Feld: Na ja, das liegt in der Regel daran, dass die Personen, die dort beschäftigt sind, eben im Vergleich zu der Stammbelegschaft qualifikatorisch nicht ganz mithalten können, und dann zögern die Unternehmen, diese Personen einzustellen. Es kommt auch dann hinzu, dass wir gerade in der jetzigen Situation doch ein sehr starkes Anziehen der Konjunktur haben, dass wir sozusagen in einer Boomphase sind, die Unternehmen aber noch nicht bereit sind, ihre Kapazitäten auszureizen und die Spitzen eben auch abdecken mit Leiharbeitern.
    Kaess: Jetzt liegt das durchschnittliche Monatseinkommen von Leiharbeitern - das sind Zahlen aus dem Jahr 2016 -, also Ende 2016 lag das bei gut 1.800 Euro. Ein anderer regulär Beschäftigter verdient im Vergleich dazu 3.100 Euro. Ist das politisch und gesellschaftlich vertretbar, dass es da so eine Diskrepanz gibt?
    Feld: Wenn Sie einfach nur die Durchschnitte nehmen, haben Sie ja die Unterschiede im Qualifikationsniveau in der Arbeitsmarkthistorie der beobachteten Personen …
    Geringerer Lohn wegen "geringerer Qualifikation" und "schlechterer Arbeitsmarkthistorie"
    Kaess: Aber es ist ja dennoch die gleiche Arbeit.
    Feld: Na ja, aber gleichwohl wissen Sie ja nicht, ob jemand, der eine geringere Qualifikation hat beziehungsweise eine schlechtere Arbeitsmarkthistorie, die Arbeit genauso gut macht wie jemand, der in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ist. Das ist ja gerade das Problem, das wir dabei haben: Wir kommen ja aus einem Arbeitsmarkt, in dem Arbeitslosigkeit relativ lange in hohem Maße existiert hat, und Leiharbeit und Zeitarbeit, wie sie heute noch gelebt wird, kämpft natürlich auch mit diesem Phänomen.
    Kaess: Aber ich habe das noch nicht so ganz genau verstanden: Warum ist das nicht durchzusetzen, gleicher Lohn bei gleicher Arbeit oder zumindest diesen riesigen Unterschied zu mindern?
    Feld: Wir haben ja den Versuch in der letzten Verschärfung der Leiharbeit, Zeitarbeit gehabt. Die Reaktionen der Unternehmen darauf ist, dass man die Leiharbeiter dann kürzere Zeit im jeweiligen Unternehmen belässt.
    Feld: Leiharbeit kein allgemeiner, permanenter Trend
    Kaess: Also machen sich die Unternehmen einen schlanken Fuß.
    Feld: Ich würde nicht sagen, die machen sich einen schlanken Fuß, sondern sie reagieren auf diese Regelungen. Wenn Sie jetzt, wie gesagt, sehr liberales Arbeitsrecht hätten, dann hätten Sie diese Situation überhaupt nicht. Dann würden wir gar nicht in so eine Lage hineinkommen, dass wir anfangen, Leiharbeiter mit anderen zu vergleichen und sie in prekäre Beschäftigung hinein zu definieren, sondern wir würden anfangen zu überlegen, was erhöht die Flexibilität im Arbeitsmarkt noch ein bisschen mehr.
    Kaess: Und sollte das so kommen oder soll es weiter so laufen wie es sich jetzt im Moment entwickelt, dass Leiharbeit, so wie sie derzeit existiert, quasi als Modell der Arbeit der Zukunft sich schon herauskristallisiert?
    Feld: Nein, wir haben jetzt am aktuellen Rand eine Zunahme der Leiharbeit, Zeitarbeit. Ich habe darauf hingewiesen, dass das meines Erachtens vor allen Dingen mit der sehr, sehr guten wirtschaftlichen Lage zu tun hat, die Unternehmen aber noch zurückhaltend sind, Kapazitäten auszuweiten. Man muss schon sagen, dass die Leiharbeit jetzt nicht im Trend, seit sie liberalisiert worden ist unter Rot-Grün, permanent zugenommen hat und Zahlen erreicht, die eine Erosion des Normalarbeitsverhältnisses nahelegen. In der Situation sind wir bei Weitem nicht, und wir laufen doch in einen Arbeitsmarkt hinein, wo die Arbeitskräfte immer knapper werden.
    Feld: Lohnarbeit für Steuerzahler besser
    Kaess: Ja, aber - da können wir auch gleich noch drüber sprechen - wir haben trotzdem eine Situation, wo die Leiharbeiter auch einen immer größer werdenden Teil der sogenannten Aufstocker bilden, also das heißt, Arbeitnehmer, die staatliche Leistungen brauchen, um überhaupt davon leben zu können, obwohl sie in Vollzeit arbeiten. Also der Steuerzahler zahlt letztendlich das, was die Unternehmen sparen. Was muss sich denn da auf Unternehmensseite ändern?
    Feld: Auf Unternehmensseite muss sich da nichts ändern. Das Problem ist doch, dass wir - auch darauf habe ich eben hingewiesen - in dieser Gruppe der Leiharbeiter, Zeitarbeiter Personen haben, die aus der Langzeitarbeitslosigkeit kommen, die deswegen auch eine ganz andere Arbeitsmarkthistorie haben und vor dem Hintergrund auch geringere Löhne bekommen. Dass sie dann aufstocken ist doch besser, als dass der volle Lohnersatz vom Staat geleistet wird in Form von Arbeitslosengeld beziehungsweise Arbeitslosengeld II.
    Kaess: Aber es schafft eben auch eine äußerst komfortable Situation für die Unternehmen. Herr Feld, der eine Punkt noch - Sie haben es gerade kurz angesprochen -, es gibt gleichzeitig ein Rekordhoch von offenen Stellen in Deutschland: 1,1 Millionen Jobs. Davon war gestern die Rede. Wie passt das eigentlich zusammen?
    Feld: Na ja, das passt immer nur über die Frage, wie ist der Match zwischen den Anforderungen, die eine solche Stelle mit sich bringt, und den Qualifikationen, dem Profil, das Arbeitnehmer, die noch keine Stelle haben oder die in Leiharbeit und anderen Beschäftigungsverhältnissen sind, vorweisen können.
    Feld: Fortbildungen nur teilweise sinnvoll
    Kaess: Und da bringen auch Fortbildungen nichts.
    Feld: Fortbildungen bringen immer nur ein Stück weit etwas. Auch da haben wir ja sehr viel Erfahrung in den vergangenen Jahrzehnten aufgehäuft und können feststellen, dass manche gelingen und manche nicht. Die, die gelingen, sind vor allen die, die sehr nahe an den jeweiligen Jobs am Arbeitsmarkt dran sind. Man kann eben auch die Arbeitnehmer nicht unendlich fortbilden von einem Niveau aus, das unzureichend ist.
    Kaess: Sagt Lars Peter Feld. Er ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, und er ist Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung. Danke für Ihre Zeit heute Morgen!
    Feld: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.