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Ökosysteme
Arten bioakustisch überwachen

300 Aufnahmegeräte zeichnen die Geräusche der Natur auf. Und ein Algorithmus stellt danach fest, welche Arten dort vorkommen. Das Mammutprojekt soll die Grundlage für ein akustisches Monitoring ganzer Ökosysteme sein.

Von Volker Mrasek | 28.08.2015
    Ein Auerhahn (Tetrao urogallus) im Nationalpark Bayerischer Wald
    Ein Auerhahn (Tetrao urogallus) im Nationalpark Bayerischer Wald: Audiorekorder sollen helfen, Ökosysteme zu überwachen. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Der Nationalpark Unteres Odertal an der Grenze zu Polen:
    "Ich würde sagen, kurz nach 21 Uhr."
    Ein Feuchtgebiet, das hörbar zum Leben erwacht, als es dunkel wird.
    "Also, Tüpfelsumpfhuhn. Drei Rufer, die da am Rufen sind. Und dann noch Wasserfrösche, die da am Quaken sind. Im Gebüsch hatte ein Blaukehlchen angefangen, zu singen. Eine Wasserralle hatte auch gerufen. Das kam ein bisschen wie ein Schwein, so ein Quieken."
    Tüpfelsumpfhuhn, Blaukehlchen und Wasserralle - Vogelarten, die man höchstens noch in unberührten Schutzgebieten antrifft. Und dann auch erst nach Sonnenuntergang. Um die seltenen Tiere zu erfassen, müsste Karl-Heinz Frommolt eigentlich die ganze Nacht lang seine Ohren aufsperren. Doch der Biologe vom Museum von Naturkunde in Berlin behilft sich anders: Er hat an mehreren Stellen wetterfeste Audio-Rekorder mit Mikrofonen in dem Feuchtbiotop positioniert.
    "Morgen früh wird die Technik eingeholt. Und dann haben wir ganze Nacht drauf. Und dann geht's auch erst mal an die Auswertung."
    Artspezifische Audiogramme auf den Tonaufnahmen
    Auch die erledigt Frommolt nicht selber. Das macht ein Computerprogramm für ihn. Es durchforstet die Tonaufnahmen und erkennt darin die Lautäußerungen der Vögel - ihre artspezifischen Audiogramme.
    "Die Methodik hat einen großen Vorteil, wenn es darum geht, nachtaktive Arten zu erfassen. Die fallen sonst immer etwas durch das Beobachtungsraster."
    Bioakustisches Monitoring: So nennt sich das Ganze.
    "Es entwickelt sich sehr stark weiter momentan. Und vor allem, was die automatisierte Erfassung von Arten anbelangt, da läuft momentan relativ viel."
    Michael Scherer-Lorenzen, Professor für Geobotanik an der Universität Freiburg. Seine Arbeitsgruppe startet jetzt den ganz großen Lauschangriff.
    "Wir laufen jetzt direkt auf eine kleine Wetterstation zu. Und da wird dann auch der Rekorder hängen."
    Mammutprojekt mit 300 Aufnahmegeräten
    Insgesamt 300 Aufnahmegeräte hat die Biologin Sandra Müller in diesem Jahr in Wäldern und Wiesen aufgestellt. Auf der Schwäbischen Alb, im Nationalpark Hainich bei Jena und im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin an der Grenze zu Polen. Ein Mammutprojekt. Und bisher ohne Beispiel.
    - "Den kleinen Hang hinauf, legen wir dann gleich die Strecke, wo wir dann die Testaufnahmen machen."
    - "Unser Ziel ist momentan, dass wir ein komplettes Jahr an allen 300 Standorten alle zehn Minuten für eine Minute eine solche Tonaufnahme machen."
    - "Dann müssen wir noch mal uns verbinden, den Sender und Empfänger."
    - "Um dann zu schauen: Wie verhält sich diese Klanglandschaft über das ganze Jahr hinweg, aber auch über den Tag hinweg."
    - "Jetzt senden wir hier die Töne. Und es wird ziemlich laut und auch hochfrequent nachher."
    - "Unsere Idee ist eben, diese Klanglandschaft als Ganzes zu erfassen. Um zu schauen, ob sie Indikator sein kann für die Biodiversität in einem Ökosystem. Wie steht es um die biologische Vielfalt eines Ökosystems?"
    - "Und los!"
    - "Man könnte damit auch feststellen, ob sich in einem Ökosystem Veränderungen vollziehen. Ohne dass man jetzt relativ zeitaufwendig ins Gelände geht und alle Pflanzen- und Tierarten einzeln erfasst, was man in vielen Fällen einfach nicht machen kann."
    - "Aktuell kann man sich auch vorstellen, dass im Rahmen des Klimawandels natürlich Veränderungen in Ökosystemen dramatisch ablaufen. Neue Tierarten wandern ein. Und so etwas könnte man über so ein akustisches Monitoring zum Beispiel ja auch erfassen."
    - "Es geht darum, an ausgewählten Ökosystemen so etwas durchzuführen und diese Methoden zunächst einmal zu testen."
    Noch wartet aber jede Menge Arbeit. Computeralgorithmen zur Identifizierung einzelner Tierarten gibt es erst wenige. Die Bioakustiker müssen und wollen noch viele weitere entwickeln - zumal sie ja nun auch ganze Ökosysteme belauschen. Und die können sehr vielstimmig sein. Karl-Heinz Frommolt ist aber optimistisch:
    "Es wird ein breites Anwendungsgebiet geben. Auf jeden Fall erst mal in Nationalparks. Um Informationen auch über unberührte Teile des Gebiets zu erfassen. Und es kann durchaus sein, dass irgendwann mal die Forderung kommt: Bevor jetzt eine Baumaßnahme ist - dokumentiert auch akustisch die Umgebung!"