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Ökumenische Sozialinitiative
Die Kirchen und die Grenzen des Wachstums

"Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft", lautet der Titel der jüngsten ökumenischen Sozialinitiative. Kritiker bemängeln, die Kirchen machten es sich darin zu einfach mit ihrem Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft.

Von Matthias Bertsch | 20.06.2014
    Erzbischof Robert Zollitsch (r), damals Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und der Vorsitzende der EKD in Deutschland, Nikolaus Schneider stellen im Febraur 2014 einen Entwurf der ökumenischen Sozialinitiative vor.
    Erzbischof Robert Zollitsch (r), damals Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und der Vorsitzende der EKD in Deutschland, Nikolaus Schneider stellen im Febraur 2014 einen Entwurf der ökumenischen Sozialinitiative vor. (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Seit dem Erscheinen des Gemeinsamen Wortes zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von 1997 ist viel passiert. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat das Vertrauen unzähliger Menschen erschüttert, die wachsende Globalisierung empfinden viele als Bedrohung. Dennoch ist der Tenor des jüngsten Sozialwortes der gleiche wie vor 17 Jahren: Die soziale Marktwirtschaft, die der Bundesrepublik nach dem Krieg Wohlstand für viele beschert hat, ist nach wie vor das von der katholischen und evangelischen Kirche favorisierte Modell, um die Option für die Armen in die Praxis umzusetzen. Auch der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, hält dieses Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft für richtig, und doch mache es sich die Sozialinitiative damit zu leicht:
    "Die ethische Orientierung reicht nicht, sondern es kommt hinzu – zum Beispiel – was sind die notwendigen ökonomischen Grundlagen, um den Sozialstaat entsprechend zu finanzieren, und was müssen wir tun im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung der sozialen Marktwirtschaft, damit wir eben auch morgen und übermorgen in dieser Welt ökonomisch so bestehen können, dass wir unseren Sozialstaat so weiterführen können. Dieser Aspekt fehlt mir in diesem Papier."
    Wer die soziale Marktwirtschaft ernst nehme, so Glück, müsse auch über Markt und Wettbewerb sprechen:
    "Ich meine, dass man auch stärker akzentuieren muss, wo die Eigeninitiative der gesellschaftlichen Kräfte und des einzelnen liegen und mobilisiert werden müssen, wir sind im kirchlichen Bereich leider auch oft sehr schnell in der Tendenz, den Staat anzurufen und zu sagen: Staat, mach mal! Der Staat hat wichtige, unersetzliche Aufgaben, aber es geht auch um die Mobilisierung der eigenen Kräfte, und das Subsidiaritätsprinzip der christlichen Soziallehre ist dafür eine fantastische Orientierung."
    Auch Traugott Jähnichen hält den ökumenischen Text für perspektivverzerrt. Die Sozialinitiative, so der Professor für Christliche Gesellschaftslehre, thematisiere zwar die weltweiten Probleme der internationalen Finanzmärkte, beschränke sich ansonsten aber zu sehr auf Deutschland.
    "Ich spitz meine These mal ein bisschen zu: Ein Großteil der sozialen Frage bei uns haben wir ausgelagert in Länder des Südens, ich nenne nur exemplarisch die Textilindustrie. Ich würde mal sagen: 90 Prozent dessen, was wir tragen hier konkret, ist in Ländern des Südens produziert worden, Bangladesch ist da nur die Spitze des Eisbergs, auch da wo's formal seriöser zugeht, sind, ich sag's mal überspitzt, Bedingungen des Frühkapitalismus, des Manchester-Kapitalismus, das ist, glaube ich, unsere Verantwortung als reiche Konsumenten, darauf zu achten und zu sehen, wie in der Welt die Dinge, die wir konsumieren, produziert werden."
    Das Wachstum hinterfragen
    Eine Mitverantwortung nicht nur für die Produktionsbedingungen, sondern auch für den weltweiten Ressourcenverbrauch sieht Markus Kerber. Solange ein großer Teil der Menschheit auf der Welt noch in Armut lebe, könne man ihm ein quantitatives, Ressourcen verschleißendes Wachstum nicht vorenthalten, so der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Wachstum hierzulande dagegen müsse qualitativ, das heißt, ressourcenschonend sein.
    "Ein weiter so, wie wir bislang in den letzten 200 Jahren gelebt haben, wird es sicher nicht geben, wegen der schieren Anzahl von Menschen, die auf diesem Planeten leben, das heißt, der eine Teil muss mit dem anderen arbeiten, ohne dass der eine Teil den anderen in ihrer Lebensführung bevormundend entgegentritt, das ist ein großes ethisches Problem, ob wir in den reichen Staaten des Nordens, also in Deutschland beispielsweise Rezepte entwickeln können, Handlungsempfehlungen, die den anderen ihre Konsummöglichkeiten einschränkt."
    Doch ganz gleich ob quantitativ oder qualitativ: Die Überzeugung, dass es Wachstum brauche, habe längst eine quasi-religiöse Bedeutung, kritisiert der Beauftragte des Rates der EKD für Umweltfragen, Hans Diefenbacher. Dabei müsse ganz grundsätzlich über Lebensstile nachgedacht werden.
    "Was am Ende überwiegt, wachsen oder schrumpfen, bei einem guten ökologischen Umsteuern, das intelligent gemacht ist, um die Grenzen der Tragfähigkeit, der ökologischen Tragfähigkeit unseres Planeten einzuhalten, das ist im Moment nicht klar, und die Gefahr ist, dass wir jetzt einfach sagen: wir brauchen grünes Wachstum, so wie in dem Papier, und damit setzen wir die Politik in eine schizophrene Situation herein, denn sie soll auf der einen Seite unbedingt wachsen und sie soll ökologisch umsteuern."
    Balance finden
    Auch Sozialethiker Jähnischen hätte sich im Sozialwort der Kirchen eine stärkere Auseinandersetzung mit Fragen nach den Grenzen des Wachstums gewünscht.
    "Wir versuchen bislang ja immer so zu argumentieren, dass wir eine möglichst starke Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch hinkriegen müssen, um das einigermaßen in der Balance zu halten. Da kann man in der Tat fragen, und ich bin da auch skeptisch, ob wir uns da nicht ein Stück weit Sand in die Augen streuen, ob diese Effizienzgewinne so möglich sind, um den Wachstumspfad einfach so weiterzuführen. Wahrscheinlich stehen uns da tief greifendere Transformationen ins Haus im Sinne wirklich auch von Gerechtigkeit für kommende Generationen und die Mitwelt, als es auch in diesem Text bis jetzt angesprochen wurde."
    Die soziale Marktwirtschaft muss um das Kriterium der ökologischen Verträglichkeit erweitert werden, so lautet denn auch das Fazit des bayerischen Landesbischofs, Heinrich Bedford-Strohm:
    "Es ist hier noch mal ganz klar gesagt worden, dass der Lebensstil, den wir jetzt pflegen, nicht verträglich ist mit dem fairen Anteil an den Ressourcen durch den Rest der Welt, und auch nicht mit dem fairen Anteil an den Ressourcen durch zukünftige Generationen, das heißt, wir müssen hier wirklich eine grundlegende Transformation unserer Wirtschaft erreichen. Und da darf man zwei Dinge nicht gegeneinander ausspielen, das ist nämlich der persönliche Lebensstil, die Werte und die politisch-strukturellen Fragen: beides muss unbedingt aufeinander bezogen werden, denn natürlich fördern bestimmte Strukturen auch ein bestimmtes persönliches Verhalten."
    Acht Monate lang wollen die beiden Kirchen über die Thesen des gemeinsamen Papieres diskutieren, dann soll, ein Jahr nach Erscheinen des Sozialwortes, der Prozess beendet werden - mit einer ökumenischen Feststellung der Deutschen Bischofskonferenz und der EKD.