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Ölpreis-Verfall
Moskau unter Zugzwang

Der Ölpreis sinkt seit Monaten, mittlerweile ist er bei unter 30 Dollar pro Barrel. Schlechte Nachrichten für Russland, denn dessen Wirtschaft hängt stark vom Energiepreis ab. Da Putins Regierung es in der Vergangenheit versäumt hat, in eine Modernisierung zu investieren, steht sie nun unter Zugzwang - im Haushalt 2016 klafft ein riesiges Loch.

Von Gesine Dornblüth | 20.01.2016
    Russlands Präsident Wladimir Putin spricht auf einem Treffen während des Internationalen Wirtschaftforums in St. Petersburg.
    Zur Bekämpfung des Haushaltslochs schließt Russlands Präsident Putin nicht aus, staatliche Anteile, zum Beispiel eines Ölkonzerns, an Unternehmen zu verkaufen. (picture alliance / dpa / Alexei Danichev)
    German Gref, Chef der russischen Sparkasse Sberbank, wählte drastische Worte. Beim Gaidar Forum, einem wichtigen alljährlichen Wirtschaftsforum in Moskau, sagte er letzte Woche:
    "Das Ölzeitalter ist so gut wie zu Ende. Wir haben den Konkurrenzkampf verloren. Wir sind auf der Looser-Straße. Wir müssen unser gesamtes staatliches System, die staatlichen Institutionen verändern."
    Russland, so Sberbank-Chef Gref, habe es versäumt, seine Gesellschaft und seine Technologien zu modernisieren. Russlands Haushalt hängt, Experten zufolge, nach wie vor etwa zur Hälfte vom Geschäft mit Öl und Gas ab. Mit dem Ölpreis sinken die Einnahmen, und das zwingt die russische Regierung zum Handeln. Denn im Haushalt 2016 klafft mittlerweile ein riesiges Loch.
    Bringen Privatisierungen die gewünschten Gewinne?
    Der aktuelle Entwurf wurde noch auf der Grundlage eines Ölpreises von 50 Dollar pro Barrel berechnet. Mittlerweile ist der Preis unter 30 Dollar gesackt. Premierminister Dmitrij Medwedew kündigte dann auch Anfang der Woche Handlungsbedarf an:
    "Der Ölpreis hält sich, seine weitere Entwicklung ist schwer vorauszusagen. Dementsprechend bleiben Risiken bestehen. Risiken für den Haushalt, für unsere Haushaltsverpflichtungen und für die Wirtschaft im Ganzen. Wir müssen für zusätzliche Einnahmen sorgen und die Ausgaben energischer kürzen."
    Aber wie? Die Minister suchen nach Lösungen. Regierungschef Medwedew setzt unter anderem darauf, Steuerschlupflöcher zu stopfen. Die Grauzonen sind groß. Große Teile der Löhne zum Beispiel werden in Russland in Umschlägen bar gezahlt, am Fiskus vorbei. Finanzminister Siluanow schlägt vor, staatliche Anteile an Unternehmen zu verkaufen. Konkret geht es um den Ölkonzern Rosneft.
    Derartige Forderungen gibt es schon länger, auch in Bezug auf die staatliche Fluggesellschaft Aeroflot. Im Dezember hatte Präsident Wladimir Putin solche Schritte nicht ausgeschlossen, aber den Zeitpunkt infrage gestellt. Angesichts der schwachen Konjunktur sei nicht sicher, dass eine Privatisierung den gewünschten Gewinn bringe.
    Auch eine Diskussion über die Sozialausgaben steht an. Sie sind in Russland vergleichsweise hoch, und viele Politiker fordern, sie angesichts der wachsenden Armut sogar noch zu erhöhen. Gestern hat die Duma ihre Arbeit nach der Winterpause wieder aufgenommen. Vertreter aller Fraktionen beteuerten, an den Sozialausgaben festzuhalten.
    "Wir stecken in einem Teufelskreis"
    Der Wirtschaftsliberale Aleksej Kudrin, ehemals Finanzminister Russlands, hält das für fatal. Besser müsse die Regierung das Investitionsklima fördern. Die gesetzlich vorgesehene Rentenanpassung zum Beispiel sei in diesem Jahr vermutlich nicht haltbar.
    "Wenn der Ölpreis unter 35 Dollar bleibt, sehe ich dafür keine Möglichkeiten. Wir stecken in einem Teufelskreis. Wenn wir die Sozialausgaben weiter erhöhen, geht das zulasten anderer Haushaltsposten. Und die Wirtschaftsleistung wird weiter sinken."
    In russischen Medien wird seit einigen Wochen über eine Rückkehr Kudrins in die Regierung oder in die Präsidialverwaltung spekuliert. Sie wäre möglicherweise ein Signal für einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik. Doch bisher sind das nicht mehr als Gerüchte. Und Experten sind sich einig: Eine solche Entscheidung läge allein bei Präsident Putin. Der hat erst letzte Woche gesagt, kardinale Veränderungen der Politik seien vorerst nicht nötig. Timothy Colton, Russland-Experte an der Harvard University, erwartet daher auch keine großen Schritte der Regierung. Über die Stimmung unter den Ministern und Experten bei dem Wirtschaftsforum letzte Woche sagte er:
    "Die Stimmung war wie bei einem Begräbnis. Der Patient ist fast tot. Aber wir sind nur die Regierung, wir können nichts tun."