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ÖPNV der Zukunft
Die Geisterbusse kommen

Wie könnte der öffentliche Nahverkehr der Zukunft aussehen? Darüber haben Experten auf dem 3. Zukunftskongress zum autonomen Fahren in Berlin diskutiert. Der Veranstalter, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, glaubt, dass vor allem das platte Land von selbstfahrenden Bussen und Bahnen profitieren könnte.

Von Maximilian Schönherr | 22.06.2018
    Eine Bushaltestelle in der Uckermark mit einem Elektrobus
    Noch ist unklar, wie der ÖPNV der Zukunft aussehen könnte - autonom fahrende Busse könnten vor allem auf dem Land sinnvoll eingesetzt werden (Steffen Wurzel)
    Gestern Nachmittag, Podiumsdiskussion, hochkarätig besetzt. Die Leiterin des Ressorts Automatisiertes Fahren/Intelligente Verkehrssysteme im Bundesverkehrsministerium Christine Greulich kritisierte die Automobilhersteller, sie würden die neu geschaffenen gesetzlichen Möglichkeiten für das autonome Fahren nicht ausnutzen, weil sie technisch noch nicht so weit seien. Autonomie müsse anfassbar sein.
    Sie ist anfassbar, wenn nur in sehr engen Bereichen. Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag sprach von "Gehegen". Ein Beispiel sind vier rein elektrische Shuttle-Busse im Berliner Charité-Gelände. Sie erfreuen sich mittlerer Beliebtheit bei den Bürgern.
    Im Schweizer Neuhausen am Rheinfall fahren Kleinbusse im Regelbetrieb autonom eine Strecke im Stadtzentrum von gut einem Kilometer ab. Der dafür zuständige Projektleiter Alexander Schulze von Amotech beschreibt, wie der Bus gesteuert wird.
    "Der fährt auf einer virtuellen Schiene. Es muss in der Fahrbahn gar nichts gemacht werden. Sie brauchen keine Infrastruktur, damit sich das Fahrzeug zurecht finden kann, sondern es wird eine Aufnahmefahrt gemacht, meist nachts, damit möglichst wenig Bewegung drumherum ist und man möglichst saubere Daten bekommt. Dann kann das Fahrzeug die sozusagen im Bauch liegenden Schienen automatisiert abfahren. Was das Fahrzeug allerdings noch nicht kann, ist ausweichen zum Beispiel. Wenn also etwas auf der virtuellen Schiene im Weg steht, wird das Fahrzeug stehenbleiben."
    Sowohl im Berliner als auch im Schweizer Bus fahren Begleiter mit, so genannte Stewarts. Der Gesetzgeber fordert das.
    Erste Versuche an der holländisch-deutschen Grenze
    Das holländische Unternehmen Interreg Automated Transport wird im Herbst dieses Jahres Kleinbusse über die Grenze nach Aachen fahren lassen. Projektleiter Joop Veenis verhandelt mit den Behörden auf beiden Seiten, den Bus nicht an der Grenze zu stoppen. Denn aktuell muss er das tun, um sich die Software für die Regelungen auf der anderen Seite herunterzuladen.
    Als der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen VDV den Zukunftskongress vor zwei Jahren zum ersten Mal ausrichtete, zog er weniger Experten an, und die Stimmung war düster: Verschlafen wir hierzulande eine zentrale Entwicklung? Diesmal dagegen herrschte Aufbruchsstimmung, denn es wimmelt regelrecht von Aktivitäten auf diesem Gebiet.
    Das kühnste Projekt ist HEAT in Hamburg. Zum Weltkongress für intelligente Verkehrssysteme 2021 soll da der erste deutsche voll autonome, also unbegleitete Busverkehr mitten in der Stadt starten. Die Stewarts stehen nur noch an den Haltestellen draußen.
    Wirtschaftlich attraktiv für das platte Land
    Der Geschäftsführer für den Bereich öffentlichen Nahverkehr beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen Jan Schilling sieht wirtschaftlich attraktive Chancen fürs platte Land, nämlich:
    "Indem Sie im ländlichen Raum mit einem autonomen Fahrzeug betriebswirtschaftlich andere Angebote darstellen können, als das jetzt der Fall ist. Wir müssen dort ja nicht mit einem Bus und viel heißer Luft durch die Gegend fahren. Da tut’s ja vielleicht auch eine kleinere Einheit. Da liegt eine große Chance in dieser Technologie."
    In Deutschland fahren im typischen Privat-Pkw durchschnittlich nur 1,3 Menschen. Als Lösung wurde "Ride Sharing"genannt, und zwar nicht auf unregulierte Raubbau-Weise wie durch den amerikanischen Konzern Uber, sondern durch mehr oder weniger autonom fahrende Busse, die die Menschen nah am Zuhause abholen und nah am Ziel absetzen.
    Niemand aber kann heute einschätzen, wie der autonome Verkehrsmix in zehn Jahren aussehen wird. Wenn alle entspannt im Fahrzeug zur Arbeit Zeitung lesen können, man aber dabei im Stau von 500 autonomen Autos steht, ist etwas verkehrspolitisch gründlich schiefgegangen.