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Österreich
Mutmaßliche NSA-Villa wird zur Touristenattraktion

Wien ist um eine Attraktion reicher: Im Westen der Stadt ist die mutmaßliche US-Geheimdienst-Dependance zur neuen Sehenswürdigkeit geworden - für Österreicher gleich welcher politischen Couleur.

Von Tom Schimmeck | 24.01.2014
    "Pötzleinsdorf, ein Viertel im Westen von Wien. Viel Grün, stattliche Villen. In der Pötzleinsdorfer Straße 126 steht ein besonderschmuckes Exemplar. Vierstöckig, gelb, mit Türmchen. Etwa ein Dutzend Überwachungskameras. Zwei Edelstahl-Poller sperren die Zufahrt.
    "Also dieses Grundstück."
    Die Villa ist seit dem Herbst zum öffentlichen Ausflugsziel geworden. Seit sich herumgesprochen hat, dass dort Geheimes geschieht. Prompt belagerten 200 Aktivisten, die sich als "Freunde der Architekturfotografie" bezeichneten, den Zaun.
    "Ich darf euch alle bitten, Fotos zu machen und diese dann auf Facebook zu veröffentlichen mit dem Hashtag NSA-Villa."
    Inspektion vor Ort. Ein Polizist ist präsent.
    " Entschuldigen, das ist doch hier die berühmte NSA-Villa, oder?" - "Ich weiß nicht, wo Sie diesen Blödsinn herhaben." - "Aus den Zeitungen?" - "Ja, glauben's alles, was in den Zeitungen steht?" - "Nein." - "Also, wenn es tatsächlich NSA wäre, könnten Sie dann so reinschauen?"
    Das ist natürlich ein Argument. Aber was ist es denn nun?
    "Das ist offiziell eine diplomatische Vertretung. Und alles andere weiß ich nicht."
    Dieses Schicksal teilen viele.
    "In unserem politischen Volksmund heißt diese Villa in der Pötzleinsdorfer Straße in Wien jetzt NSA-Villa. Es ist aber eine CIA-Villa",
    meint der grüne Abgeordnete Peter Pilz. Ein Stachel im Fleisch des Wiener Amtsschimmels. Es gebe einen alten Geheimvertrag zwischen NSA und dem österreichischen Heeresnachrichtendienst, sagt Pilz.
    "Der Verteidigungsminister weigert sich, rechtswidrig, uns diese Verträge offenzulegen."
    Im November kam es zum Showdown im Parlament.
    "Ich muss Sie, geschätzte Abgeordnete, um Verständnis bitten, dass ich zum Thema der Zusammenarbeit nicht näher ins Detail gehen kann, da es sich auch um Fragen der nationalen Sicherheit handelt."
    Verteidigungsminister Gerald Klug sagt: Die parlamentarische Kontrolle funktioniert. Pilz kontert: keineswegs.
    "Im Interesse der USA schaltet ein österreichischer Verteidigungsminister die parlamentarische Kontrolle aus, damit er nach wie vor österreichische Daten den USA liefern kann. Das ist die klassische, bananenrepublikanische österreichische Tradition."
    Die österreichische Hauptstadt, an der Nahtstelle zwischen Ost und West gelegen, galt schon zu Kaisers Zeiten als Hort der Spionage. Im Kalten Krieg wurde sie zum Spielplatz für Agenten aus aller Welt. Auch heute ist die UNO-Stadt Wien attraktiv für Spione. An die 17000 Diplomaten leben hier.
    "Österreich ist attraktiver denn je für Geheimdienste",
    findet Gert-René Polli, ehemaliger Chef des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz.
    "Sie können von Österreich aus gegen Mitglieder der Europäischen Union spionieren oder gegen Unternehmen in Deutschland, Frankreich oder Italien, ohne dass das strafbar ist. Und das ist eine Attraktivität für Agenten, die heute noch sehr, sehr wirksam ist."
    Da sei ein regelrechtes Vakuum entstanden, meint Polli.
    "Wissen wir, was die NSA tut? Natürlich nicht. Selbstverständlich. Ich wage daher die Behauptung, dass die dafür zuständigen Stellen für die Spionageabwehr, und da schließe ich auch das Militär mit ein, weitgehend über die Dimension der Spionage in Österreich im Dunklen liegen und weitgehend auch ahnungslos sind."
    "Grüß Gott, ich heiße Alexa Wesner. Ich habe die große Ehre, als neue US-Botschafterin in Österreich zu dienen. Meine Familie."
    Seit September haben die USA eine neue Botschafterin in Wien: Alexa Wesner, einst Spitzen-Triathletin, heute erfolgreiche Unternehmerin und noch erfolgreichere Spendensammlerin für Barack Obama. In der geheimnisvollen Villa in Pötzleinsdorf, sagt sie, würden nur "öffentlich zugängliche Daten" gesammelt.
    "Als Kind hab ich schon gewusst: In Pötsleinsdorf gibt's eine Villa, die vom amerikanischen Nachrichtendienst betrieben wird. Das haben alle Leut' dort gewusst. Gibt es heute immer noch."
    Der Historiker Professor Gerhard Jagschitz kann über so viel Arglosigkeit nur lächeln.
    "Also in Österreich ist nach 55 in überwiegendem Maße für die Amerikaner gelauscht worden – Richtung Osten: Gleichzeitig aber wurde ein stillschweigendes oder vielleicht sogar paktiertes Agreement ausgegeben: Spione in Österreich sind vollkommen frei und unbelästigt, wenn sie nicht gegen Österreich spionieren. Was bedeutet hat, dass alle nachrichtendienstlichen Tätigkeiten so quasi im Paradies stattgefunden haben."