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Österreich
Vorzeigemodell: Lehre mit Matura

Seit 2008 geht Österreich in der Lehre neue Wege: Parallel zur Ausbildung können die Jugendlichen das Abitur machen. Das ist arbeitsintensiv und erfordert große Disziplin. Die sogenannte Berufsmatura ist in Europa einmalig und wird in der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck angeboten.

Von Susanne Lettenbauer | 29.08.2015
    Der Blick in ein Container-Klassenzimmer
    Als Lehrling am Abend die Schulbank für's Abitur drücken. (picture-alliance / dpa/Bernd Weißbrod)
    Noch ist alles ruhig in den Fluren des Innsbrucker Bildungsinstitutes BFI - Schulferien. Erst Mitte September geht hier das Ausbildungsjahr wieder los. Großzüge Glastüren führen zu den Schulungsräumen. Im Erdgeschoss locken moderne Loungesessel. Das BFI bietet als anerkanntes Bildungsinstitut ganz normale Abendkurse an, hier kann man das allgemeine Abitur neben der Arbeit nachholen oder ein Fachabitur erwerben, das hier Studienberechtigungsprüfung heißt. Seit sieben Jahren sitzen aber auch Lehrlinge in den hellen Räumen nur wenige Minuten vom Innsbrucker Bahnhof entfernt. Auszubildende ab einem Alter von 15 Jahren und dem Mittelschulabschluss können hier neben der Lehre mit dem Abitur beginnen, erklärt Lehrlingscoach Anna Jehle.
    Zuvor müssen sie aber eine anspruchsvolle Aufnahmeprüfung, ein Bewerbungs- und Aufnahmegespräch erfolgreich bestehen: "Es geht vor allem darum, Jugendlichen klarzumachen, ist es wirklich die richtige Ausbildung für mich und ist es vor allem der richtige Zeitpunkt für mich. Es ist ein Unterschied, ob einer im ersten Lehrjahr mit 15 beginnt oder im zweiten Lehrjahr, was ja möglich ist, mit 17 oder manche sind im zweiten Lehrjahr ja dann gar schon 18."
    Doppelbelastung durch die Berufsmatura
    Rund fünf Prozent der Lehrlinge in Österreich werden pro Jahr für die Berufsmatura angenommen. Einige winken gleich nach dem Bewerbungsgespräch ab, andere bestehen die Aufnahmeprüfung nicht. Die Doppelbelastung dürfe man nicht unterschätzen betont Jehle, auch wenn sich der Unterricht in den Tiroler Bezirken auf einen Tag in der Woche beschränkt und nur vier Hauptfächer abgelegt werden müssen: "Chemie, Physik, Geschichte - diese Fächer werden nicht unterrichtet. Also eine lebende Fremdsprache, Deutsch und Mathematik und eben ein Fachbereich je nach Lehrberuf."
    Auch wenn die vier Fächer wahlweise nacheinander abgelegt werden können, erfordere die Berufsmatura ein striktes Zeitmanagement, so die Fächerkoordinatorin. Die meisten Lehrlinge brauchen vier Semester für ein Fach und rund vier Jahre bis zur letzten Prüfung nach immerhin 900 Schulstunden, so ihre Erfahrung. Bis zum Ende der Ausbildungszeit, die meistens drei Jahre dauert, bleibt die Berufsmatura kostenfrei. Auch danach kann man sich insgesamt bis zu acht Jahre Zeit lassen, je nach den Umständen des künftigen Abiturienten. In diesem Jahr wurde das Modellprojekt gerade vom Bundesministerium für Bildung und Frauen in Wien für drei Jahre verlängert.
    Der Grund: Österreich will den Stellenwert der Lehre aufwerten, erklärt Hanna Lindmayr, Leiterin der BFI-Aus- und Weiterbildung. Ähnlich wie in Deutschland bleiben in den österreichischen Ausbildungsfirmen jedes Jahr eine Vielzahl von Lehrstellen offen. Die Berufsmatura soll Schüler dazu bewegen, gleichzeitig zum Abitur bereits eine Lehre zu absolvieren: "Der Bund hat für sich entschieden, dass es wichtig genug ist, diese Zielgruppe zu fördern, dass Lehrlinge eine Zielgruppe sind, die finanziell nicht die Möglichkeiten haben wie Erwachsene, uns aber trotzdem wichtig ist, auch schon in dem Alter und neben der Lehre die Möglichkeit der Matura zu schaffen."
    Vorteile für Lehrlinge und Firmen
    Die Berufsmatura biete Vorteile für die Lehrlinge wie für die Firmen, die ihre jungen Mitarbeiter gleich weiterschicken könnten an die Universitäten, ist Hanna Lindmayr überzeugt. An erster Stelle stehe für die Firmen jedoch trotz aller Unterstützung die Lehrausbildung und ein fristgerechter Abschluss. Nicht immer ganz einfach bei der Koordination der Kurse. Falls es da zu Problemen kommt, verfallen die absolvierten Stunden jedoch nicht, sondern können später auch an einer anderen Bildungseinrichtung angerechnet werden: "Die einzelnen Fächer einer absolvierten Prüfung, die bestanden wurde, die verfällt nicht, die bleibt ein Leben lang gültig. Das ist ein Vorteil. Wenn man eine Prüfung absolviert hat und dann aus beruflichen Gründen sagt, ich muss eine Pause einlegen, das geht einem nicht verloren. Man kann da auch drei Jahre später noch kommen und dann die Berufsreifeprüfung für Erwachsene machen. Das geht nicht endlos kostenfrei, da sagt der Gesetzgeber, da gibt es eine Frist, innerhalb der man das machen kann."
    Deutsche können die Berufsmatura ebenfalls kostenfrei nutzen, sobald sie eine Lehre in Österreich beginnen und auch im Land wohnen. Derzeit nutzen knapp ein halbes Dutzend diese Möglichkeit. Als vollwertiges Abitur wird die Ausbildung aber nur in Österreich anerkannt. Das heißt, man muss an einer österreichischen Universität das Studium, egal welches Fach, beginnen und kann dann problemlos an eine deutsche Hochschule wechseln.