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Österreich
Wo die Bürgerversicherung schon Realität ist

Ob Spitzenverdiener oder Arbeitsloser, selbständig oder beamtet - in Österreich ist jeder Bürger automatisch krankenversichert. Das österreichische System gilt sogar als sehr effizient. Es ist aber auch ziemlich komplex.

Von Srdjan Govedarica | 04.01.2018
    Ein Schild mit der Aufschrift "Klinik", aufgenommen am Samstag (18.02.2012) in Innsbruck in Österreich vor der Universitätsklinik für Allgemeine und Chirurgische Intensivmedizin, die im Hintergrund zu sehen ist.
    Wer es sich in Österreich leisten kann, geht zu sogenannten Wahlärzten, die keine Kassenverträge haben. (dpa / Tobias Hase)
    "Wir bieten für den gleichen Beitragssatz quer durch Österreich die gleiche Leistung und das auf einem sehr hohen Niveau", sagt Alexander Biach, Vorstandsvorsitzender des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger. Der Grundgedanke sei der einer Krankenversicherung, die für alle gleich ist. "Das gelingt uns, weil wir letzten Endes im internationalen Vergleich auch hier Spitzenpositionen einnehmen und ähnlich wie Deutschland bei einer Abdeckung von über 99 Prozent aller medizinischen Bedürfnisse alleine aufgrund des Versicherungswesens liegen."
    Der Unterschied zu Deutschland ist, dass alle erwerbstätigen Österreicher automatisch und verpflichtend versichert sind. Auch Spitzenverdiener, Selbständige und sogar Beamte. Eine freie Wahl der Krankenkassen gibt es nicht und dementsprechend auch keinen Wettbewerb zwischen den Kassen. Das führt zu vergleichsweise geringen Verwaltungskosten, sagt Alexander Biach:
    "Wenn Sie Deutschland nehmen aufgrund des Versicherungssystems, wo man sich das aussuchen kann, muss natürlich Werbung gemacht werden, sind die Kosten höher. Da liegt man laut OECD bei 5,4 Prozent und Österreich kann sich diese Werbungskosten ersparen und liegt damit bei einem Verwaltungskostenanteil von lediglich 2,8 Prozent."
    Beitragssätze sind gesetzlich festgeschrieben
    Das österreichische System gilt zwar als effizient, aber gleichzeitig auch als ziemlich komplex. Es gibt 21 Sozialversicherungsträger, die im Wesentlichen für die haus- und fachärztliche Versorgung zuständig sind. Auf der anderen Seite sind die Bundesländer für den Betrieb von Krankenhäusern verantwortlich und tragen etwa die Hälfte der Kosten. Hier wird viel Geld aus Steuermitteln zugeschossen.
    Gleichzeitig sind die gesetzlich festgeschriebenen Beitragssätze vergleichsweise günstig. Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen sich einen Beitrag von rund 7,5 Prozent des Lohnes. Damit den Kassen mit Blick auf den demografischen Wandel das Geld nicht ausgeht, wollen die Sozialversicherungsträger im bestehenden System gegensteuern.
    "Das Ziel einer künftigen Gesundheitspolitik in Österreich müsste es sein, Komplexität zurückzufahren und die Zahler des Systems enger aneinander zu binden, damit sie gemeinsam einkaufen und Doppelt- und Mehrgleisigkeiten vermeiden."
    Patienten klagen über Kassenarzt-Mangel
    Die Patientenanwältin der Stadt Wien, Sigrid Pilz, teilt diesen Befund, hält ihn aber nicht für das dringendste Problem im Gesundheitswesen. Sie und ihr Team beraten Patientinnen und Patienten in Gesundheitsfragen und vermitteln in Konfliktfällen. Viele beklagen sich darüber, dass sie in ihrer Wohngegend keinen Kassenarzt finden, der noch Patienten aufnimmt:
    "Man kriegt ein Baby als Familie, als Eltern und ruft dann an und entweder geht keiner zum Telefon oder man kriegt eine abschlägige Antwort und wird in andere Bezirke verwiesen. Da ist für manche die Möglichkeit gegeben zu sagen: Dann nehme ich mir auch für das Kind einen Wahlarzt. Für die meisten Betroffenen nicht, die stehen dann da und gehen in die Spitalsambulanzen, was weder gesund noch sinnvoll ist."
    Wer es sich in Österreich leisten kann, geht zu sogenannten Wahlärzten, die keine Kassenverträge haben. Der Patient bezahlt die erbrachten Leistungen zunächst aus eigener Tasche, kann sich aber einen bestimmten Teil der Kosten von seiner Krankenasse rückerstatten lassen. Während die Zahl der Kassenärzte seit dem Jahr 2000 stagniert, gibt es bei den Wahlärzten laut Ärztekammer einen Zuwachs von fast 50 Prozent.
    "Weil sich die Ärzte und Ärztinnen eine klare Rechnung aufmachen. Sie wollen den Aufwand, den sie der Kasse gegenüber eingehen, nicht auf sich nehmen. Und Wahlarzt sein ist demgegenüber eine freie und selbständigere Tätigkeit und es gibt da genügend Patienten, die sich das aussuchen. Das bedeutet, dass die Kasse versorgen will, aber nicht kann."