Donnerstag, 25. April 2024

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Österreichische Präsidentenwahl
"Politiker haben sich in den letzten Jahren versteckt"

Das Wahldebakel der Großen Koalition in Österreich sei mehrheitlich ein Abstrafen der Regierungsparteien gewesen, sagte der SPÖ-Politiker Hannes Swoboda im DLF. In den letzten Monaten habe es eine "Hü-Hott-Politik" gegeben: einmal eine Politik für die Flüchtlinge und dann wieder eine Politik der Abschottung. In diesem Chaos habe die FPÖ mit Norbert Hofer hoch punkten können.

Hannes Swoboda im Gespräch mit Daniel Heinrich | 25.04.2016
    Der österreichische Sozialdemokrat Hannes Swoboda bei einem Wahlkampfauftritt am 17.3.2014.
    Der österreichische Sozialdemokrat Hannes Swoboda bei einem Wahlkampfauftritt am 17.3.2014. (imago / Elbner Europa)
    Daniel Heinrich: Am Telefon ist der österreichische Europapolitiker und Sozialdemokrat Hannes Swoboda, viele Jahre Abgeordneter im Europäischen Parlament. Herr Swoboda, muss man in Europa Angst bekommen vor Österreich?
    Hannes Swoboda: Ich hoffe nicht. Ich glaube eher, dass Österreich Angst bekommen muss, es wird so werden und weil es durch den neuen Bundespräsidenten, sollte er Hofer heißen, viel blockieren könnte in Europa. Insofern gilt es für beide. Österreich muss Angst haben, isoliert zu werden, und Europa muss Angst haben, eine neue Blockade zu bekommen zu einigen anderen in den letzten Jahren.
    Heinrich: Was ist da am Sonntag passiert?
    Swoboda: Passiert ist, dass die Regierungsparteien nicht aufgepasst haben, dass sie gewusst haben oder hätten wissen müssen, dass großes Misstrauen besteht, dass man zwei oder einen besonders hervorstechenden Kandidaten/Kandidatin hätte nominieren müssen. Passiert ist natürlich, dass über die letzten Monate eine Hü-Hott-Politik, das heißt eine Politik einmal eher für die Flüchtlinge, dann wieder zur Abschottung und zur Abgrenzung gemacht worden ist, und in dieses Chaos hinein hat die FPÖ, die Freiheitliche Partei Österreichs, mit Norbert Hofer hoch punkten können.
    "Der Dialog mit der Bevölkerung gefehlt hat"
    Heinrich: Sie sprechen schon die Fehler der Traditionsparteien an. Wie konnten die denn so blind sein?
    Swoboda: Weil sie nur sich selbst sehen und das in einem immer engeren Kreis, weil der Dialog mit der Bevölkerung gefehlt hat und weil Leute aufgestellt worden sind, die Erfahrungen haben, die aber nicht mit dem jungen Norbert Hofer der freiheitlichen Partei, mit dem quasi unbescholtenen, von Macht und Establishment befreiten konkurrieren hätten können.
    Heinrich: Dringen die überhaupt noch durch zu den Menschen, die Politiker?
    Swoboda: Immer weniger, das ist richtig. Natürlich sind die Medien viel kritischer und schreiben auch eine Regierung hinunter. Das ist gerade auch in Österreich passiert: Es gibt keine Reformen und es geht nichts weiter. Dennoch ist Österreich eines der stabilsten Länder, was die wirtschaftliche Lage betrifft. Aber die Unzufriedenheit ist da und auf diese Unzufriedenheit muss man mit einer gewissen Führungsqualität und mit Dialog und einer intensiven Kommunikation reagieren, und das hat gefehlt.
    Heinrich: Wie fängt man denn so jemanden ein wie Norbert Hofer? Was muss man denn da machen?
    Swoboda: Einfangen ist schwierig. Man muss klare Grenzen setzen durch die Verfassung und durch die Europäische Union. Die Grenzen darf man nicht überschreiten. Aber man muss gleichzeitig ihn jetzt nicht zum Teufel hochstilisieren, das glaubt niemand, sondern man muss einfach eine Politik betreiben, wo man selber den eigenen Weg geht, vor allem nicht ihn nachmachen, vor allem nicht auf den Feldern der FPÖ versuchen, der FPÖ Konkurrenz zu machen, zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage, in der Ausländerfrage. Dieses Nachmachen, dieses Imitieren einer freiheitlichen Partei, einer rechtspopulistisch bis rechtsextremen Partei, das bringt gar nichts. Aber genau diesen Fehler haben die Regierungsparteien gemacht.
    "Es war mehrheitlich eine Proteststimmung"
    Heinrich: Norbert Hofer hat im Wahlkampf von einer Invasion von Muslimen gesprochen, bezogen auf die Flüchtlingskrise. Meinen Sie, dass die Österreicher dem zustimmen, oder war das eine Protestwahl in Richtung Regierung?
    Swoboda: Es war beides. Es gibt natürlich Leute, die einfach Angst haben, die dem zustimmen. Da wird immer Köln erwähnt, die Ereignisse von Köln, und vieles andere mehr. Aber es war mehrheitlich eine Proteststimmung. Ich glaube, viele wissen gar nicht, was Muslime sind. Sie kennen sie nicht. Sie haben natürlich Nachrichten empfangen über Terrorismus. Aber all diese Dinge muss man aufgreifen von der traditionellen Politik. Man muss mit den Menschen darüber reden, man muss erklären, worum es geht und dass es natürlich auch unter den Flüchtlingen genauso Leute gibt, die Böses tun wollen, wie unter den Österreichern und dass die Österreicher und Österreicherinnen ja auch aus verschiedenen Ländern stammen, dass ja ein buntes Gemisch schon da ist in Österreich. Dieses Modell der Reinheit, das jetzt verletzt wird durch Muslime, die über Flüchtlinge kommen, ist ja als solches schon ein Unsinn. Aber all diese Fragen muss man offen diskutieren und nicht scheuen und sich nicht verstecken. Österreichische Politiker und Politikerinnen haben sich in den letzten Jahren versteckt, und das ist gefährlich.
    Heinrich: Glauben Sie, dass sich das in Zukunft ändert?
    Swoboda: Die ersten Reaktionen zeigen nicht, dass sich das ändert, zumindest nicht unmittelbar. Ich fürchte fast, es bedarf noch eines weiteren Rückschlages bei den nächsten Parlamentswahlen, bevor sich das ändert. Aber momentan in den traditionellen Parteien gibt es sehr, sehr wenig Bewegung und sehr, sehr wenig Lernprozesse.
    Heinrich: Sie sagen, da wird sich nichts ändern. Was muss denn noch passieren?
    Swoboda: Ich fürchte fast, dass wir auch noch einen Regierungschef von den Freiheitlichen bekommen. Momentan buhlen beide Regierungsparteien oder gewisse Leute in beiden Regierungsparteien sich schon irgendwie an an die FPÖ, um dann mit ihnen gemeinsam regieren zu können, immer mit dem Versuch, man wird sie schon Bändigen und man wird sie schon zähmen, und das wäre natürlich sehr gefährlich. Ich sehe momentan schwarz, aber ein bisschen Hoffnung habe ich doch, dass vor allem viele jüngere Leute einfach da nicht zuschauen können.
    "Ohne Werte, ohne klare Richtungen kann man nicht der FPÖ Paroli bieten"
    Heinrich: Jetzt haben Sie schon sowohl Ihre SPÖ wie auch die ÖVP kritisiert. Sie haben auch schon angesprochen, bisher will man keine personellen Konsequenzen ziehen. Herr Swoboda, kurz zum Schluss: Wären Sie Kanzler in Österreich, wie hätten Sie reagiert am Sonntag?
    Swoboda: Am Sonntag wäre es schon zu spät gewesen. Und wenn ich reagiert hätte, hätte ich gesagt: Wir haben Fehler gemacht. Wir müssen ganz neu denken. Wir werden jetzt einen großen Diskussionsprozess beginnen innerhalb der Parteien über die Ziele der Partei und auch außerhalb. Ohne Werte, ohne klare Richtungen kann man nicht der FPÖ Paroli bieten. Nur pragmatisch allein ist zu wenig. Man braucht Grundsätze und diese Grundsätze sind den Parteien verloren gegangen.
    Heinrich: Der österreichische Sozialdemokrat und langjährige Europapolitiker Hannes Swoboda. Herzlichen Dank für das Gespräch nach Wien.
    Swoboda: Bitte! Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.